Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_065.001 Zunächst verkörpert Siegfrieds Kampf mit dem Drachen jene pwo_065.008 Der Siegfried-Mythos ist zwar die noch heute in allen Wandlungen pwo_065.016 pwo_065.027 § 42. pwo_065.028 pwo_065.029Poetische Gestaltung der mythologischen Anschauungen. Am plastischsten hat die griechische Poesie diese Naturgottheiten pwo_065.030 pwo_065.001 Zunächst verkörpert Siegfrieds Kampf mit dem Drachen jene pwo_065.008 Der Siegfried-Mythos ist zwar die noch heute in allen Wandlungen pwo_065.016 pwo_065.027 § 42. pwo_065.028 pwo_065.029Poetische Gestaltung der mythologischen Anschauungen. Am plastischsten hat die griechische Poesie diese Naturgottheiten pwo_065.030 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0079" n="65"/><lb n="pwo_065.001"/> der Frühlingsgott den grausamen, starren Winterdämon zu Boden; <lb n="pwo_065.002"/> doch auch er erliegt später dem tödlichen Hauch des Feindes. Schließlich <lb n="pwo_065.003"/> steigert sich der Naturmythos durch ethische Ausdeutung zu einem <lb n="pwo_065.004"/> Symbol: der Vorkämpfer der sittlichen Mächte unterjocht die böse <lb n="pwo_065.005"/> Gewalt; am Ende aber verfällt auch er ihr, weil er ihre Herrschaft <lb n="pwo_065.006"/> in Besitz genommen.</p> <lb n="pwo_065.007"/> <p> Zunächst verkörpert Siegfrieds Kampf mit dem Drachen jene <lb n="pwo_065.008"/> Naturanschauungen. Eine weitere Spiegelung desselben Motivs erscheint <lb n="pwo_065.009"/> in der Beziehung Siegfrieds zu Brunhilde. Wiederum erweckt <lb n="pwo_065.010"/> der Licht- und Frühlingsgott die erstarrte Erde aus dem nächtlichen <lb n="pwo_065.011"/> Winterschlaf; wiederum spinnt dieselbe Macht, die er befreit hat, sein <lb n="pwo_065.012"/> Verderben. Mit einer dritten Wendung derselben Grundvorstellung <lb n="pwo_065.013"/> treten sich schließlich Siegfried und der grimme, düstere Hagen als <lb n="pwo_065.014"/> Repräsentanten der feindlichen Naturmächte gegenüber.</p> <lb n="pwo_065.015"/> <p> Der Siegfried-Mythos ist zwar die noch heute in allen Wandlungen <lb n="pwo_065.016"/> am klarsten übersehbare, doch keineswegs die älteste Umbildung <lb n="pwo_065.017"/> der Naturanschauung in Erzählung von Geschehnissen. Sobald die <lb n="pwo_065.018"/> zunächst unpersönlich angebeteten Naturkräfte in der Phantasie des <lb n="pwo_065.019"/> germanischen Volkes Persönlichkeit gewinnen, werden Himmel und <lb n="pwo_065.020"/> Erde in Wechselwirkung gesetzt: die Erde, vom Himmel liebend umfangen, <lb n="pwo_065.021"/> wird zur Mutter alles Lebenden. Aehnlich hört die erregte <lb n="pwo_065.022"/> Phantasie später aus dem Wehen des Windes das Wesen eines Gottes <lb n="pwo_065.023"/> (deutsch Wodan) heraus, der als Führer des Wilden Heeres dahinbraust. <lb n="pwo_065.024"/> Wie aus dem Rollen des Donners vernimmt die naive <lb n="pwo_065.025"/> Menschheit aus dem Rauschen des Meeres die Stimmen persönlicher <lb n="pwo_065.026"/> Götter.</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_065.027"/> <head> <hi rendition="#c">§ 42. <lb n="pwo_065.028"/> Poetische Gestaltung der mythologischen Anschauungen.</hi> </head> <lb n="pwo_065.029"/> <p> Am plastischsten hat die griechische Poesie diese Naturgottheiten <lb n="pwo_065.030"/> ausgestaltet, am weitesten ihre Jndividualisierung geführt. Jndessen <lb n="pwo_065.031"/> giebt die vollendete Gestalt, in welcher die Göttergestalten in Homers <lb n="pwo_065.032"/> Epen erscheinen, nicht mehr eine klare Vorstellung von der ursprünglichen <lb n="pwo_065.033"/> Mythendichtung. Einen Nachklang von dieser bietet Homer <lb n="pwo_065.034"/> noch am ehesten in den <hi rendition="#g">stehenden Beiworten,</hi> welche überall die <lb n="pwo_065.035"/> erste Form scheinen, in der man das Wesen der Götter darzustellen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0079]
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der Frühlingsgott den grausamen, starren Winterdämon zu Boden; pwo_065.002
doch auch er erliegt später dem tödlichen Hauch des Feindes. Schließlich pwo_065.003
steigert sich der Naturmythos durch ethische Ausdeutung zu einem pwo_065.004
Symbol: der Vorkämpfer der sittlichen Mächte unterjocht die böse pwo_065.005
Gewalt; am Ende aber verfällt auch er ihr, weil er ihre Herrschaft pwo_065.006
in Besitz genommen.
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Zunächst verkörpert Siegfrieds Kampf mit dem Drachen jene pwo_065.008
Naturanschauungen. Eine weitere Spiegelung desselben Motivs erscheint pwo_065.009
in der Beziehung Siegfrieds zu Brunhilde. Wiederum erweckt pwo_065.010
der Licht- und Frühlingsgott die erstarrte Erde aus dem nächtlichen pwo_065.011
Winterschlaf; wiederum spinnt dieselbe Macht, die er befreit hat, sein pwo_065.012
Verderben. Mit einer dritten Wendung derselben Grundvorstellung pwo_065.013
treten sich schließlich Siegfried und der grimme, düstere Hagen als pwo_065.014
Repräsentanten der feindlichen Naturmächte gegenüber.
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Der Siegfried-Mythos ist zwar die noch heute in allen Wandlungen pwo_065.016
am klarsten übersehbare, doch keineswegs die älteste Umbildung pwo_065.017
der Naturanschauung in Erzählung von Geschehnissen. Sobald die pwo_065.018
zunächst unpersönlich angebeteten Naturkräfte in der Phantasie des pwo_065.019
germanischen Volkes Persönlichkeit gewinnen, werden Himmel und pwo_065.020
Erde in Wechselwirkung gesetzt: die Erde, vom Himmel liebend umfangen, pwo_065.021
wird zur Mutter alles Lebenden. Aehnlich hört die erregte pwo_065.022
Phantasie später aus dem Wehen des Windes das Wesen eines Gottes pwo_065.023
(deutsch Wodan) heraus, der als Führer des Wilden Heeres dahinbraust. pwo_065.024
Wie aus dem Rollen des Donners vernimmt die naive pwo_065.025
Menschheit aus dem Rauschen des Meeres die Stimmen persönlicher pwo_065.026
Götter.
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Poetische Gestaltung der mythologischen Anschauungen. pwo_065.029
Am plastischsten hat die griechische Poesie diese Naturgottheiten pwo_065.030
ausgestaltet, am weitesten ihre Jndividualisierung geführt. Jndessen pwo_065.031
giebt die vollendete Gestalt, in welcher die Göttergestalten in Homers pwo_065.032
Epen erscheinen, nicht mehr eine klare Vorstellung von der ursprünglichen pwo_065.033
Mythendichtung. Einen Nachklang von dieser bietet Homer pwo_065.034
noch am ehesten in den stehenden Beiworten, welche überall die pwo_065.035
erste Form scheinen, in der man das Wesen der Götter darzustellen
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