Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_066.001 Die Dichter sind durchaus im Priesterstand, dem alleinigen pwo_066.013 pwo_066.023 § 43. pwo_066.024 pwo_066.025Die Sage. Hellere Beleuchtung erfährt die vorlitterarische Epoche der Poesie, pwo_066.026 Was ist die Sage? Um über die Fülle widersprechender, überaus pwo_066.029 Ein entscheidendes geschichtliches Ereignis ist eingetreten: ein pwo_066.033 pwo_066.001 Die Dichter sind durchaus im Priesterstand, dem alleinigen pwo_066.013 pwo_066.023 § 43. pwo_066.024 pwo_066.025Die Sage. Hellere Beleuchtung erfährt die vorlitterarische Epoche der Poesie, pwo_066.026 Was ist die Sage? Um über die Fülle widersprechender, überaus pwo_066.029 Ein entscheidendes geschichtliches Ereignis ist eingetreten: ein pwo_066.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0080" n="66"/><lb n="pwo_066.001"/> unternahm. Stammelnd versuchte die Sprache in immer neuen Ansätzen <lb n="pwo_066.002"/> die Funktion der Götter zu bezeichnen, ihre Erhabenheit andeutend <lb n="pwo_066.003"/> zu erreichen. Neben adjektivischen Attributen gewinnen deshalb <lb n="pwo_066.004"/> partizipiale den uns bekannten weiten Raum. Wie man von <lb n="pwo_066.005"/> Anschauung ausgeht und zur Personifikation vorschreitet, kleidet gerade <lb n="pwo_066.006"/> diese älteste Dichtung ihre Gegenstände in eine fortlaufende Fülle von <lb n="pwo_066.007"/> Bildern. Das Streben, die Gottheit durch Aufzählung ihrer Großthaten, <lb n="pwo_066.008"/> ihres Segens zu verherrlichen, bildet aus diesen primitiven, <lb n="pwo_066.009"/> zunächst allem Anschein nach thatsächlich rein aufzählenden Stilelementen <lb n="pwo_066.010"/> später eine geordnete Erzählung durch Auflösung der handlungsreichen <lb n="pwo_066.011"/> Beiwörter in entwickelnde Sätze.</p> <lb n="pwo_066.012"/> <p> Die Dichter sind durchaus im Priesterstand, dem alleinigen <lb n="pwo_066.013"/> Träger der Bildung, zu suchen. Aber indem die Gemeinde der <lb n="pwo_066.014"/> Volksgenossen als Publikum vorschwebt und die Bestimmung der Gesänge <lb n="pwo_066.015"/> zum freien Vortrag beim Opfer ausschließlich ist, erscheint die <lb n="pwo_066.016"/> Darstellung naturgemäß aus dem Geiste der Gesamtheit gedacht, unterliegt <lb n="pwo_066.017"/> sonach keinerlei Versuchung zu subjektiven Eingriffen. Die Stoffgrundlage <lb n="pwo_066.018"/> ist durch die religiösen Ueberzeugungen der Gesamtheit d. i. <lb n="pwo_066.019"/> durch den jeweiligen Stand der Mythenbildung gegeben. Auch die <lb n="pwo_066.020"/> Form ist feststehend, primitiv aus dem Charakter der nationalen <lb n="pwo_066.021"/> Sprache geschaffen und der nicht minder einförmigen musikalischen <lb n="pwo_066.022"/> Melodie angeschmiegt.</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_066.023"/> <head> <hi rendition="#c">§ 43. <lb n="pwo_066.024"/> Die Sage.</hi> </head> <lb n="pwo_066.025"/> <p> Hellere Beleuchtung erfährt die vorlitterarische Epoche der Poesie, <lb n="pwo_066.026"/> sobald neben die religiösen Gesänge Heldenlieder treten. Wie der <lb n="pwo_066.027"/> Mythos für jene, bildet für diese die <hi rendition="#g">Sage</hi> den Stoffgehalt.</p> <lb n="pwo_066.028"/> <p> Was ist die Sage? Um über die Fülle widersprechender, überaus <lb n="pwo_066.029"/> unklarer Definitionen hinauszugelangen, halten wir uns am besten <lb n="pwo_066.030"/> an den Gang der Thatsachen und fragen zunächst: wie entsteht <lb n="pwo_066.031"/> die Sage?</p> <lb n="pwo_066.032"/> <p> Ein entscheidendes geschichtliches Ereignis ist eingetreten: ein <lb n="pwo_066.033"/> fruchtbringender Sieg, eine verheerende Niederlage, vor allem eine <lb n="pwo_066.034"/> Verschiebung der Wohnsitze, oder was immer in seiner Wirkung über <lb n="pwo_066.035"/> den Tag hinausdauert. Da das Volk noch unlitterarisch ist, tritt anstelle </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0080]
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unternahm. Stammelnd versuchte die Sprache in immer neuen Ansätzen pwo_066.002
die Funktion der Götter zu bezeichnen, ihre Erhabenheit andeutend pwo_066.003
zu erreichen. Neben adjektivischen Attributen gewinnen deshalb pwo_066.004
partizipiale den uns bekannten weiten Raum. Wie man von pwo_066.005
Anschauung ausgeht und zur Personifikation vorschreitet, kleidet gerade pwo_066.006
diese älteste Dichtung ihre Gegenstände in eine fortlaufende Fülle von pwo_066.007
Bildern. Das Streben, die Gottheit durch Aufzählung ihrer Großthaten, pwo_066.008
ihres Segens zu verherrlichen, bildet aus diesen primitiven, pwo_066.009
zunächst allem Anschein nach thatsächlich rein aufzählenden Stilelementen pwo_066.010
später eine geordnete Erzählung durch Auflösung der handlungsreichen pwo_066.011
Beiwörter in entwickelnde Sätze.
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Die Dichter sind durchaus im Priesterstand, dem alleinigen pwo_066.013
Träger der Bildung, zu suchen. Aber indem die Gemeinde der pwo_066.014
Volksgenossen als Publikum vorschwebt und die Bestimmung der Gesänge pwo_066.015
zum freien Vortrag beim Opfer ausschließlich ist, erscheint die pwo_066.016
Darstellung naturgemäß aus dem Geiste der Gesamtheit gedacht, unterliegt pwo_066.017
sonach keinerlei Versuchung zu subjektiven Eingriffen. Die Stoffgrundlage pwo_066.018
ist durch die religiösen Ueberzeugungen der Gesamtheit d. i. pwo_066.019
durch den jeweiligen Stand der Mythenbildung gegeben. Auch die pwo_066.020
Form ist feststehend, primitiv aus dem Charakter der nationalen pwo_066.021
Sprache geschaffen und der nicht minder einförmigen musikalischen pwo_066.022
Melodie angeschmiegt.
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Die Sage. pwo_066.025
Hellere Beleuchtung erfährt die vorlitterarische Epoche der Poesie, pwo_066.026
sobald neben die religiösen Gesänge Heldenlieder treten. Wie der pwo_066.027
Mythos für jene, bildet für diese die Sage den Stoffgehalt.
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Was ist die Sage? Um über die Fülle widersprechender, überaus pwo_066.029
unklarer Definitionen hinauszugelangen, halten wir uns am besten pwo_066.030
an den Gang der Thatsachen und fragen zunächst: wie entsteht pwo_066.031
die Sage?
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Ein entscheidendes geschichtliches Ereignis ist eingetreten: ein pwo_066.033
fruchtbringender Sieg, eine verheerende Niederlage, vor allem eine pwo_066.034
Verschiebung der Wohnsitze, oder was immer in seiner Wirkung über pwo_066.035
den Tag hinausdauert. Da das Volk noch unlitterarisch ist, tritt anstelle
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