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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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§ 45. pwo_071.002
Abschluß und dichterische Behandlung der Sage.
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Die Fortbildung der Sage als solcher findet mit dem Hereinbrechen pwo_071.004
des litterarischen Zeitalters ihr natürliches Ende. Fortan pwo_071.005
unterliegt die mündliche Ueberlieferung der Kontrole schriftlicher Aufzeichnungen. pwo_071.006
Gelangt eine dichterische Behandlung der Sage erst einmal pwo_071.007
zur Niederschrift und bleibt diese Niederschrift der Kenntnis nicht pwo_071.008
allzu enger Kreise erhalten, so ist damit neuen unbewußten Kombinationen pwo_071.009
der Boden entzogen und die eigentliche Sagenbildung abgeschlossen: pwo_071.010
die Sage setzt sich.

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Um so weniger aber bleibt ihre Gestalt gegen Eingriffe gefeit: pwo_071.012
nur handelt es sich jetzt nicht mehr um echte Sagenbildung, nicht pwo_071.013
mehr um eine unbewußte Schöpfung der Volksphantasie, sondern um pwo_071.014
bewußte Umgestaltungen und Bearbeitungen durch subjektive Eingriffe pwo_071.015
von Einzeldichtern, also um willkürliche Dichtung.

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Freilich tritt die Sage nicht erst durch solche Eigenmächtigkeit pwo_071.017
eines einzelnen in dichterische Gestalt. Jn dieser geschieht vielmehr pwo_071.018
von Anfang an ihre Ueberlieferung: aber nicht individuelle, sondern pwo_071.019
Volksdichtung war sie bislang. Die Sage selbst bleibt immer nur pwo_071.020
Stoffgrundlage; um die Volksdichtung zu fertiger Gestalt zu führen, pwo_071.021
muß dieser Jnhalt in eine Form gegossen werden. Auch sie ist von pwo_071.022
Natur gegeben: jede Sprache erschafft aus ihrem Wesen heraus eine pwo_071.023
eigenartige rhythmische Form. Sobald die nationale Sage in pwo_071.024
diesen nationalen Vers
gegossen ist, kann von einer fertigen pwo_071.025
Volksdichtung die Rede sein.

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§ 46. pwo_071.027
Stil der Volksdichtung.
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Nur wenige Splitter alten Volksgesanges sind uns erhalten. pwo_071.029
Durch Zeugnisse ist eine weitere Anzahl belegt, aus der nur wenige pwo_071.030
ihre Gestalt ahnen lassen. Jn deutscher Sprache sind Heldenlieder pwo_071.031
bereits für die Zeit des Tacitus bezeugt. Da sie von dem Heer besonders pwo_071.032
vor der Schlacht gemeinsam gesungen wurden, muß in ihnen pwo_071.033
noch chorartiger Charakter durchgeführt gewesen sein. Von den zahlreichen pwo_071.034
Liedern aus den Sagenkreisen der Völkerwanderung liegt wenigstens

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Volksdichtung die Rede sein.

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/85>, abgerufen am 25.11.2024.