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Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764.

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Unwahrscheinlichkeit der Hypothes.
Prädelineation nicht mehr behaupten, oder aber
zu dieser zwoten Classe von Gelehrten gehören müs-
se. Bey Leibe nicht! Man darf diese Theorie
nur nicht verstanden haben, so ist es immer schon
genug, zur ersten Classe noch gerechnet zu werden.

Jn dem ersten Fall, wenn man keine Theo-
rie der Generation hat, so kommen mir die Hy-
pothesen der Prädelineation bey nahe vor wie die
Hypothese der vorher bestimmten Harmonie zwi-
schen der Seele und dem Körper. Diese ist eben-
falls ein System, woran niemand sonst gedacht
hat, im höchsten Grad künstlich und im höchsten
Grad unnatürlich. Die unübersteigliche Schwie-
rigkeiten, welche entstunden, da man die Wür-
kungen des einen in dem andern verständlich erklä-
wollte, und dieses doch ohne die Seele materiell
zu machen, haben die Philosophen so lange ge-
martert, bis sie auf die glückliche und scharfsinni-
ge Erfindung geriethen, diese Würkungen ohne die
Erfahrung zu beleidigen, schlechtweg zu läugnen.
Man hatte geglaubt, die Erfahrung lehrte unmit-
telbar den physischen Zusammenhang zwischen der
Seele und dem Körper. Sie überlegten die Sa-
che recht, und sahen, daß das nicht wahr sey;
das war genug, die Würkungen nun auch zu läug-
nen. Und nun waren sie für den Theologen auf
der einen, und den Materialisten auf der andern
Seite sicher. Hierin aber hat die Harmonie ei-
nen Vorzug, daß ihre Vertheidiger auch nicht
einmahl zu dem Bekenntniß, ich weiß nicht wie

die

Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
Praͤdelineation nicht mehr behaupten, oder aber
zu dieſer zwoten Claſſe von Gelehrten gehoͤren muͤſ-
ſe. Bey Leibe nicht! Man darf dieſe Theorie
nur nicht verſtanden haben, ſo iſt es immer ſchon
genug, zur erſten Claſſe noch gerechnet zu werden.

Jn dem erſten Fall, wenn man keine Theo-
rie der Generation hat, ſo kommen mir die Hy-
potheſen der Praͤdelineation bey nahe vor wie die
Hypotheſe der vorher beſtimmten Harmonie zwi-
ſchen der Seele und dem Koͤrper. Dieſe iſt eben-
falls ein Syſtem, woran niemand ſonſt gedacht
hat, im hoͤchſten Grad kuͤnſtlich und im hoͤchſten
Grad unnatuͤrlich. Die unuͤberſteigliche Schwie-
rigkeiten, welche entſtunden, da man die Wuͤr-
kungen des einen in dem andern verſtaͤndlich erklaͤ-
wollte, und dieſes doch ohne die Seele materiell
zu machen, haben die Philoſophen ſo lange ge-
martert, bis ſie auf die gluͤckliche und ſcharfſinni-
ge Erfindung geriethen, dieſe Wuͤrkungen ohne die
Erfahrung zu beleidigen, ſchlechtweg zu laͤugnen.
Man hatte geglaubt, die Erfahrung lehrte unmit-
telbar den phyſiſchen Zuſammenhang zwiſchen der
Seele und dem Koͤrper. Sie uͤberlegten die Sa-
che recht, und ſahen, daß das nicht wahr ſey;
das war genug, die Wuͤrkungen nun auch zu laͤug-
nen. Und nun waren ſie fuͤr den Theologen auf
der einen, und den Materialiſten auf der andern
Seite ſicher. Hierin aber hat die Harmonie ei-
nen Vorzug, daß ihre Vertheidiger auch nicht
einmahl zu dem Bekenntniß, ich weiß nicht wie

die
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[66/0088] Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ. Praͤdelineation nicht mehr behaupten, oder aber zu dieſer zwoten Claſſe von Gelehrten gehoͤren muͤſ- ſe. Bey Leibe nicht! Man darf dieſe Theorie nur nicht verſtanden haben, ſo iſt es immer ſchon genug, zur erſten Claſſe noch gerechnet zu werden. Jn dem erſten Fall, wenn man keine Theo- rie der Generation hat, ſo kommen mir die Hy- potheſen der Praͤdelineation bey nahe vor wie die Hypotheſe der vorher beſtimmten Harmonie zwi- ſchen der Seele und dem Koͤrper. Dieſe iſt eben- falls ein Syſtem, woran niemand ſonſt gedacht hat, im hoͤchſten Grad kuͤnſtlich und im hoͤchſten Grad unnatuͤrlich. Die unuͤberſteigliche Schwie- rigkeiten, welche entſtunden, da man die Wuͤr- kungen des einen in dem andern verſtaͤndlich erklaͤ- wollte, und dieſes doch ohne die Seele materiell zu machen, haben die Philoſophen ſo lange ge- martert, bis ſie auf die gluͤckliche und ſcharfſinni- ge Erfindung geriethen, dieſe Wuͤrkungen ohne die Erfahrung zu beleidigen, ſchlechtweg zu laͤugnen. Man hatte geglaubt, die Erfahrung lehrte unmit- telbar den phyſiſchen Zuſammenhang zwiſchen der Seele und dem Koͤrper. Sie uͤberlegten die Sa- che recht, und ſahen, daß das nicht wahr ſey; das war genug, die Wuͤrkungen nun auch zu laͤug- nen. Und nun waren ſie fuͤr den Theologen auf der einen, und den Materialiſten auf der andern Seite ſicher. Hierin aber hat die Harmonie ei- nen Vorzug, daß ihre Vertheidiger auch nicht einmahl zu dem Bekenntniß, ich weiß nicht wie die

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Zitationshilfe: Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/88>, abgerufen am 24.11.2024.