Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.breitete ihre undurchdringliche Dunkelheit, und ihre tiefe Stille um ihn; so fühlte er jede schmer- zensvolle Empfindung desto tiefer; graunvolle Schrecken, furchtbarer als ein wüthender Sturm in einer dunkeln Nacht, bestürmten sein sanftes Herz von allen Seiten. Er fiel auf sein Ant- litz zur Erde! da liegt Er, der bestimt war, der Lobgesang der Himmel, die Anbetung der Engel, und die Freude der Ewigkeiten zu seyn; liegt im Staube tief zur Erde gebeugt! thränenvoll und klagend, in Nacht und verlaßne Einsamkeit ge- hüllt! keinen Freund an seiner Seite, von kei- ner Creatur bemerkt, demüthig, vor Gott! den Banden, dem Creuze, dem Tode nahe! seiner Unschuld sich bewust! tief verwundet im Her- zen, durch die Bosheit seiner Feinde, und den Kummer feiner Geliebten, hört im Geist schon das Hohngelächter Jerusalems auf Golgatha, und das Angstgeschrei ihrer nahen Verwüstung! sieht durch alle künftige Zeiten den Mißbrauch sei- ner heiligen Lehre, die Scheiterhaufen seiner Märtyrer, den Unglauben und die Laster seiner Christen, und die jammervolle vergebliche Reue der Unseligen in jener Welt, wie vor seinen Au- gen gemahlt! kämpft und leidet. Seine Fein- de sind schon in der Nähe; -- unwißende Hei- den, O 5
breitete ihre undurchdringliche Dunkelheit, und ihre tiefe Stille um ihn; ſo fühlte er jede ſchmer- zensvolle Empfindung deſto tiefer; graunvolle Schrecken, furchtbarer als ein wüthender Sturm in einer dunkeln Nacht, beſtürmten ſein ſanftes Herz von allen Seiten. Er fiel auf ſein Ant- litz zur Erde! da liegt Er, der beſtimt war, der Lobgeſang der Himmel, die Anbetung der Engel, und die Freude der Ewigkeiten zu ſeyn; liegt im Staube tief zur Erde gebeugt! thränenvoll und klagend, in Nacht und verlaßne Einſamkeit ge- hüllt! keinen Freund an ſeiner Seite, von kei- ner Creatur bemerkt, demüthig, vor Gott! den Banden, dem Creuze, dem Tode nahe! ſeiner Unſchuld ſich bewuſt! tief verwundet im Her- zen, durch die Bosheit ſeiner Feinde, und den Kummer feiner Geliebten, hört im Geiſt ſchon das Hohngelächter Jeruſalems auf Golgatha, und das Angſtgeſchrei ihrer nahen Verwüſtung! ſieht durch alle künftige Zeiten den Mißbrauch ſei- ner heiligen Lehre, die Scheiterhaufen ſeiner Märtyrer, den Unglauben und die Laſter ſeiner Chriſten, und die jammervolle vergebliche Reue der Unſeligen in jener Welt, wie vor ſeinen Au- gen gemahlt! kämpft und leidet. Seine Fein- de ſind ſchon in der Nähe; — unwißende Hei- den, O 5
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breitete ihre undurchdringliche Dunkelheit, und
ihre tiefe Stille um ihn; ſo fühlte er jede ſchmer-
zensvolle Empfindung deſto tiefer; graunvolle
Schrecken, furchtbarer als ein wüthender Sturm
in einer dunkeln Nacht, beſtürmten ſein ſanftes
Herz von allen Seiten. Er fiel auf ſein Ant-
litz zur Erde! da liegt Er, der beſtimt war, der
Lobgeſang der Himmel, die Anbetung der Engel,
und die Freude der Ewigkeiten zu ſeyn; liegt im
Staube tief zur Erde gebeugt! thränenvoll und
klagend, in Nacht und verlaßne Einſamkeit ge-
hüllt! keinen Freund an ſeiner Seite, von kei-
ner Creatur bemerkt, demüthig, vor Gott! den
Banden, dem Creuze, dem Tode nahe! ſeiner
Unſchuld ſich bewuſt! tief verwundet im Her-
zen, durch die Bosheit ſeiner Feinde, und den
Kummer feiner Geliebten, hört im Geiſt ſchon
das Hohngelächter Jeruſalems auf Golgatha, und
das Angſtgeſchrei ihrer nahen Verwüſtung! ſieht
durch alle künftige Zeiten den Mißbrauch ſei-
ner heiligen Lehre, die Scheiterhaufen ſeiner
Märtyrer, den Unglauben und die Laſter ſeiner
Chriſten, und die jammervolle vergebliche Reue
der Unſeligen in jener Welt, wie vor ſeinen Au-
gen gemahlt! kämpft und leidet. Seine Fein-
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Zitationshilfe: | Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/269>, abgerufen am 23.06.2024. |