Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.ner Feinde, mit der gelaßensten ruhigsten Miene, die von Unschuld und Größe der Seele zeugte, und, auf der andern, in der armseligsten Gestalt, die so ganz das Gegentheil von allem äussern Ansehn und Glanze verrieth, vor ihm erschien: ein solcher Mann, wird von seinem eignen Vol- ke angeklagt, als hätte er Ansprüche auf eine weltliche Herrschaft über sie gemacht! Wie muste das nicht den heidnischen Richter in Verwunde- rung setzen? Er, der es wuste, mit welchem Ver- langen das jüdische Volk nach einer Erlösung von der römischen Herrschaft schmachtete, dem die Erwartungen eines großen Königs und Erretters, mit welchen sie sich immer schmeichelten, nicht unbekannt seyn konnten, sahe leicht diese Anklage nur als einen Vorwand an, der eine andre ge- heime Ursache ihrer Feindschaft gegen ihn zum Grunde haben müste. Von Jesu Christo er- wartete er nichts gewißer, als daß dieser die Be- schuldigung geradezu ableugnen würde, und war in dem Fall vielleicht schon entschloßen, bei allen diesen zusammentreffenden Umständen ihn von allem Verdacht und aller Strafe loszusprechen. Wie steigt aber sein Erstaunen, da demohnerach- tet Jesus vor ihm von seinem Reiche redet, und auf die wiederhohlte Frage, bei der er seine Be- wun-
ner Feinde, mit der gelaßenſten ruhigſten Miene, die von Unſchuld und Größe der Seele zeugte, und, auf der andern, in der armſeligſten Geſtalt, die ſo ganz das Gegentheil von allem äuſſern Anſehn und Glanze verrieth, vor ihm erſchien: ein ſolcher Mann, wird von ſeinem eignen Vol- ke angeklagt, als hätte er Anſprüche auf eine weltliche Herrſchaft über ſie gemacht! Wie muſte das nicht den heidniſchen Richter in Verwunde- rung ſetzen? Er, der es wuſte, mit welchem Ver- langen das jüdiſche Volk nach einer Erlöſung von der römiſchen Herrſchaft ſchmachtete, dem die Erwartungen eines großen Königs und Erretters, mit welchen ſie ſich immer ſchmeichelten, nicht unbekannt ſeyn konnten, ſahe leicht dieſe Anklage nur als einen Vorwand an, der eine andre ge- heime Urſache ihrer Feindſchaft gegen ihn zum Grunde haben müſte. Von Jeſu Chriſto er- wartete er nichts gewißer, als daß dieſer die Be- ſchuldigung geradezu ableugnen würde, und war in dem Fall vielleicht ſchon entſchloßen, bei allen dieſen zuſammentreffenden Umſtänden ihn von allem Verdacht und aller Strafe loszuſprechen. Wie ſteigt aber ſein Erſtaunen, da demohnerach- tet Jeſus vor ihm von ſeinem Reiche redet, und auf die wiederhohlte Frage, bei der er ſeine Be- wun-
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ner Feinde, mit der gelaßenſten ruhigſten Miene,
die von Unſchuld und Größe der Seele zeugte,
und, auf der andern, in der armſeligſten Geſtalt,
die ſo ganz das Gegentheil von allem äuſſern
Anſehn und Glanze verrieth, vor ihm erſchien:
ein ſolcher Mann, wird von ſeinem eignen Vol-
ke angeklagt, als hätte er Anſprüche auf eine
weltliche Herrſchaft über ſie gemacht! Wie muſte
das nicht den heidniſchen Richter in Verwunde-
rung ſetzen? Er, der es wuſte, mit welchem Ver-
langen das jüdiſche Volk nach einer Erlöſung von
der römiſchen Herrſchaft ſchmachtete, dem die
Erwartungen eines großen Königs und Erretters,
mit welchen ſie ſich immer ſchmeichelten, nicht
unbekannt ſeyn konnten, ſahe leicht dieſe Anklage
nur als einen Vorwand an, der eine andre ge-
heime Urſache ihrer Feindſchaft gegen ihn zum
Grunde haben müſte. Von Jeſu Chriſto er-
wartete er nichts gewißer, als daß dieſer die Be-
ſchuldigung geradezu ableugnen würde, und war
in dem Fall vielleicht ſchon entſchloßen, bei allen
dieſen zuſammentreffenden Umſtänden ihn von
allem Verdacht und aller Strafe loszuſprechen.
Wie ſteigt aber ſein Erſtaunen, da demohnerach-
tet Jeſus vor ihm von ſeinem Reiche redet, und
auf die wiederhohlte Frage, bei der er ſeine Be-
wun-
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