Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite



gatha begleiten, ohne es sich zu sagen: diesen
sauren quaalvollen Weg, gieng dein Heiland
auch für dich? -- und welches Auge, wollte bei
dieser Erinnerung, ihm nicht gern eine Thräne
des innigsten Danks weinen? welches Herz,
nicht gern seiner täglich gedenken? für ihn alles
fühlen; ihm sich ganz aufopfern; ihm ewig leben?
-- wer könnte in der einsamen Stunde, da eine ver-
botne Begierde in ihm aufsteigt, eine stürmische Lei-
denschaft sich empören will; wer in einer lärmen-
den zügellosen Gesellschaft, da seine Tugend in Ge-
fahr geräth, nur mit einem Gedanken sich an seinen
Versöhner erinnern; wie er, von allen tröstenden
Empfindungen leer, in seinem Creuze den schweren
Fluch der Sünde trug, ihn auf Golgatha zu
büßen? und könnte sich dann noch an unreinen
Lüsten weiden; dann noch der Leidenschaft nach-
geben; dann noch mit den sichern Sündern in
Lastern frölich seyn? Wer, wenn er im Begriff
ist, eine Sünde zu begehn, könnte seine War-
nung auf sich anwenden: Wenn man das am
grünen Holze thut; was wird am dürren
geschehen!
und sollte sich nicht von einem heili-
gen Schrecken ergriffen fühlen, das mächtig genug
wäre, jede Lust der Sinne zu ersticken, jeden
Vortheil der Sünde zu vergiften?

Je-



gatha begleiten, ohne es ſich zu ſagen: dieſen
ſauren quaalvollen Weg, gieng dein Heiland
auch für dich? — und welches Auge, wollte bei
dieſer Erinnerung, ihm nicht gern eine Thräne
des innigſten Danks weinen? welches Herz,
nicht gern ſeiner täglich gedenken? für ihn alles
fühlen; ihm ſich ganz aufopfern; ihm ewig leben?
— wer könnte in der einſamen Stunde, da eine ver-
botne Begierde in ihm aufſteigt, eine ſtürmiſche Lei-
denſchaft ſich empören will; wer in einer lärmen-
den zügelloſen Geſellſchaft, da ſeine Tugend in Ge-
fahr geräth, nur mit einem Gedanken ſich an ſeinen
Verſöhner erinnern; wie er, von allen tröſtenden
Empfindungen leer, in ſeinem Creuze den ſchweren
Fluch der Sünde trug, ihn auf Golgatha zu
büßen? und könnte ſich dann noch an unreinen
Lüſten weiden; dann noch der Leidenſchaft nach-
geben; dann noch mit den ſichern Sündern in
Laſtern frölich ſeyn? Wer, wenn er im Begriff
iſt, eine Sünde zu begehn, könnte ſeine War-
nung auf ſich anwenden: Wenn man das am
grünen Holze thut; was wird am dürren
geſchehen!
und ſollte ſich nicht von einem heili-
gen Schrecken ergriffen fühlen, das mächtig genug
wäre, jede Luſt der Sinne zu erſticken, jeden
Vortheil der Sünde zu vergiften?

Je-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0318" n="266"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
gatha begleiten, ohne es &#x017F;ich zu &#x017F;agen: die&#x017F;en<lb/>
&#x017F;auren quaalvollen Weg, gieng dein Heiland<lb/>
auch für dich? &#x2014; und welches Auge, wollte bei<lb/>
die&#x017F;er Erinnerung, ihm nicht gern eine Thräne<lb/>
des innig&#x017F;ten Danks weinen? welches Herz,<lb/>
nicht gern &#x017F;einer täglich gedenken? für ihn alles<lb/>
fühlen; ihm &#x017F;ich ganz aufopfern; ihm ewig leben?<lb/>
&#x2014; wer könnte in der ein&#x017F;amen Stunde, da eine ver-<lb/>
botne Begierde in ihm auf&#x017F;teigt, eine &#x017F;türmi&#x017F;che Lei-<lb/>
den&#x017F;chaft &#x017F;ich empören will; wer in einer lärmen-<lb/>
den zügello&#x017F;en Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, da &#x017F;eine Tugend in Ge-<lb/>
fahr geräth, nur mit einem Gedanken &#x017F;ich an &#x017F;einen<lb/>
Ver&#x017F;öhner erinnern; wie er, von allen trö&#x017F;tenden<lb/>
Empfindungen leer, in &#x017F;einem Creuze den &#x017F;chweren<lb/>
Fluch der Sünde trug, ihn auf Golgatha zu<lb/>
büßen? und könnte &#x017F;ich dann noch an unreinen<lb/>&#x017F;ten weiden; dann noch der Leiden&#x017F;chaft nach-<lb/>
geben; dann noch mit den &#x017F;ichern Sündern in<lb/>
La&#x017F;tern frölich &#x017F;eyn? Wer, wenn er im Begriff<lb/>
i&#x017F;t, eine Sünde zu begehn, könnte &#x017F;eine War-<lb/>
nung auf &#x017F;ich anwenden: <hi rendition="#fr">Wenn man das am<lb/>
grünen Holze thut; was wird am dürren<lb/>
ge&#x017F;chehen!</hi> und &#x017F;ollte &#x017F;ich nicht von einem heili-<lb/>
gen Schrecken ergriffen fühlen, das mächtig genug<lb/>
wäre, jede Lu&#x017F;t der Sinne zu er&#x017F;ticken, jeden<lb/>
Vortheil der Sünde zu vergiften?</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Je-</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0318] gatha begleiten, ohne es ſich zu ſagen: dieſen ſauren quaalvollen Weg, gieng dein Heiland auch für dich? — und welches Auge, wollte bei dieſer Erinnerung, ihm nicht gern eine Thräne des innigſten Danks weinen? welches Herz, nicht gern ſeiner täglich gedenken? für ihn alles fühlen; ihm ſich ganz aufopfern; ihm ewig leben? — wer könnte in der einſamen Stunde, da eine ver- botne Begierde in ihm aufſteigt, eine ſtürmiſche Lei- denſchaft ſich empören will; wer in einer lärmen- den zügelloſen Geſellſchaft, da ſeine Tugend in Ge- fahr geräth, nur mit einem Gedanken ſich an ſeinen Verſöhner erinnern; wie er, von allen tröſtenden Empfindungen leer, in ſeinem Creuze den ſchweren Fluch der Sünde trug, ihn auf Golgatha zu büßen? und könnte ſich dann noch an unreinen Lüſten weiden; dann noch der Leidenſchaft nach- geben; dann noch mit den ſichern Sündern in Laſtern frölich ſeyn? Wer, wenn er im Begriff iſt, eine Sünde zu begehn, könnte ſeine War- nung auf ſich anwenden: Wenn man das am grünen Holze thut; was wird am dürren geſchehen! und ſollte ſich nicht von einem heili- gen Schrecken ergriffen fühlen, das mächtig genug wäre, jede Luſt der Sinne zu erſticken, jeden Vortheil der Sünde zu vergiften? Je-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/318
Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/318>, abgerufen am 22.11.2024.