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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

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glänzender als der andre. -- Weißest du dich so
viel mit deinem Verstande, deiner Wißenschaft,
deiner Weisheit, an welcher du über andre her-
vorragst? wagst es vielleicht gar Gott zu ergrün-
den, Gott zu richten, Gottes Regierung zu
tadeln, Gottes Weisheit Geseze vorzuschreiben,
wenn sie nicht die deinige ist, und dich einen an-
dern Weg führt, als den du gerne wandeln mög-
test? Verstumme, und demütige dich! Gott
lebt und regieret von Ewigkeit, er übersiehet die
Bahnen, die durch jene Sterne des Himmels
führen, bis in die gränzenlose Ewigkeit; und du
siehest auf diesen Erdenwegen keinen Schritt vor
dir in die Zukunft. Er beschämt die Weisen in
ihrer Weisheit: er erschuf deiner Seele den Ver-
stand, und gab dem Engel höhere Weisheit,
und ist selbst die unergründlichste Tiefe des Ver-
stands und der Weisheit. Wundervoll ist sein
Rath, aber er führet ihn herrlich hinaus. Rühmst
du dich deiner Tugend? Lerne dich selbst kennen!
von Irrthümern und Vorurtheilen und Zweifeln
umhergetrieben, in jedem Augenblicke einem neu-
en Fehler ausgesetzt, unaufhörlich wankend auf
dem Wege der Tugend, von widersprechenden
Wünschen und Begierden verwirrt, von toben-
den Leidenschaften ruhelos hin und her gewor-

fen:



glänzender als der andre. — Weißeſt du dich ſo
viel mit deinem Verſtande, deiner Wißenſchaft,
deiner Weisheit, an welcher du über andre her-
vorragſt? wagſt es vielleicht gar Gott zu ergrün-
den, Gott zu richten, Gottes Regierung zu
tadeln, Gottes Weisheit Geſeze vorzuſchreiben,
wenn ſie nicht die deinige iſt, und dich einen an-
dern Weg führt, als den du gerne wandeln mög-
teſt? Verſtumme, und demütige dich! Gott
lebt und regieret von Ewigkeit, er überſiehet die
Bahnen, die durch jene Sterne des Himmels
führen, bis in die gränzenloſe Ewigkeit; und du
ſieheſt auf dieſen Erdenwegen keinen Schritt vor
dir in die Zukunft. Er beſchämt die Weiſen in
ihrer Weisheit: er erſchuf deiner Seele den Ver-
ſtand, und gab dem Engel höhere Weisheit,
und iſt ſelbſt die unergründlichſte Tiefe des Ver-
ſtands und der Weisheit. Wundervoll iſt ſein
Rath, aber er führet ihn herrlich hinaus. Rühmſt
du dich deiner Tugend? Lerne dich ſelbſt kennen!
von Irrthümern und Vorurtheilen und Zweifeln
umhergetrieben, in jedem Augenblicke einem neu-
en Fehler ausgeſetzt, unaufhörlich wankend auf
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[20/0072] glänzender als der andre. — Weißeſt du dich ſo viel mit deinem Verſtande, deiner Wißenſchaft, deiner Weisheit, an welcher du über andre her- vorragſt? wagſt es vielleicht gar Gott zu ergrün- den, Gott zu richten, Gottes Regierung zu tadeln, Gottes Weisheit Geſeze vorzuſchreiben, wenn ſie nicht die deinige iſt, und dich einen an- dern Weg führt, als den du gerne wandeln mög- teſt? Verſtumme, und demütige dich! Gott lebt und regieret von Ewigkeit, er überſiehet die Bahnen, die durch jene Sterne des Himmels führen, bis in die gränzenloſe Ewigkeit; und du ſieheſt auf dieſen Erdenwegen keinen Schritt vor dir in die Zukunft. Er beſchämt die Weiſen in ihrer Weisheit: er erſchuf deiner Seele den Ver- ſtand, und gab dem Engel höhere Weisheit, und iſt ſelbſt die unergründlichſte Tiefe des Ver- ſtands und der Weisheit. Wundervoll iſt ſein Rath, aber er führet ihn herrlich hinaus. Rühmſt du dich deiner Tugend? Lerne dich ſelbſt kennen! von Irrthümern und Vorurtheilen und Zweifeln umhergetrieben, in jedem Augenblicke einem neu- en Fehler ausgeſetzt, unaufhörlich wankend auf dem Wege der Tugend, von widerſprechenden Wünſchen und Begierden verwirrt, von toben- den Leidenſchaften ruhelos hin und her gewor- fen:

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Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/72>, abgerufen am 18.06.2024.