Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.§ 6. Die reinen Empfindungen. von gegensätzlicher Natur sind. Je zwei complementäre Licht-erregungen müssen sich also ähnlich zu einander verhalten wie die bei der farblosen Erregung wirksamen entgegengesetzten Processe. Dennoch walten hier zwei sehr wesentliche Unter- schiede ob. Erstens existirt ein solcher Gegensatz bei der Farben- erregung nicht bloß einmal, sondern für jede überhaupt in der Empfindung unterscheidbare Farbe, so dass also voraussichtlich zu jeder der Stufen photochemischer Farbenerregung, welche nach den Resultaten der Mischung benachbarter Farben anzu- nehmen sind, auch eine bestimmte Stufe von complementärer Wirkung vorhanden ist. Zweitens bilden die Gegenfarben Maxima des subjectiven Unterschiedes der Empfindungen, zwischen denen von jeder dieser Gegenfarben aus nicht bloß nach einer Rich- tung, wie bei Schwarz und Weiß, sondern nach zwei einander entgegengesetzten Richtungen Ausgleichungen des Unterschiedes stattfinden; und dementsprechend lässt sich auch das comple- mentäre Verhalten der Gegenfarben objectiv nach den näm- lichen zwei Richtungen wieder aufheben. Mit demselben Rechte wie aus dem Complementarismus der Gegenfarben auf den Gegen- satz der entsprechenden photochemischen Processe, ist daher aus jener doppelseitigen Ausgleichung zu schließen, dass dem Zurück- laufen der Farbenlinie gegen ihren Ausgangspunkt eine Wieder- kehr verwandter Processe entspricht. Der ganze Vorgang der Farbenerregung, wie er bei stetiger Veränderung der Wellen- länge des objectiven Lichtes, vom äußersten Roth beginnend und schließlich nach Ueberschreitung des Violett durch Hinzunahme der Purpurmischungen am Ausgangspunkt endigend, sich abspielt, wird demnach als eine unbestimmt große Reihenfolge photoche- mischer Processe aufzufassen sein, die zusammen einen in sich geschlossenen Kreisprocess bilden, in welchem es zu jeder Stufe eine sie neutralisirende Gegenstufe und zu dieser zwei nach entgegengesetzten Richtungen gehende Uebergänge gibt. Ueber die Anzahl der im ganzen in diesem Kreisprocess § 6. Die reinen Empfindungen. von gegensätzlicher Natur sind. Je zwei complementäre Licht-erregungen müssen sich also ähnlich zu einander verhalten wie die bei der farblosen Erregung wirksamen entgegengesetzten Processe. Dennoch walten hier zwei sehr wesentliche Unter- schiede ob. Erstens existirt ein solcher Gegensatz bei der Farben- erregung nicht bloß einmal, sondern für jede überhaupt in der Empfindung unterscheidbare Farbe, so dass also voraussichtlich zu jeder der Stufen photochemischer Farbenerregung, welche nach den Resultaten der Mischung benachbarter Farben anzu- nehmen sind, auch eine bestimmte Stufe von complementärer Wirkung vorhanden ist. Zweitens bilden die Gegenfarben Maxima des subjectiven Unterschiedes der Empfindungen, zwischen denen von jeder dieser Gegenfarben aus nicht bloß nach einer Rich- tung, wie bei Schwarz und Weiß, sondern nach zwei einander entgegengesetzten Richtungen Ausgleichungen des Unterschiedes stattfinden; und dementsprechend lässt sich auch das comple- mentäre Verhalten der Gegenfarben objectiv nach den näm- lichen zwei Richtungen wieder aufheben. Mit demselben Rechte wie aus dem Complementarismus der Gegenfarben auf den Gegen- satz der entsprechenden photochemischen Processe, ist daher aus jener doppelseitigen Ausgleichung zu schließen, dass dem Zurück- laufen der Farbenlinie gegen ihren Ausgangspunkt eine Wieder- kehr verwandter Processe entspricht. Der ganze Vorgang der Farbenerregung, wie er bei stetiger Veränderung der Wellen- länge des objectiven Lichtes, vom äußersten Roth beginnend und schließlich nach Ueberschreitung des Violett durch Hinzunahme der Purpurmischungen am Ausgangspunkt endigend, sich abspielt, wird demnach als eine unbestimmt große Reihenfolge photoche- mischer Processe aufzufassen sein, die zusammen einen in sich geschlossenen Kreisprocess bilden, in welchem es zu jeder Stufe eine sie neutralisirende Gegenstufe und zu dieser zwei nach entgegengesetzten Richtungen gehende Uebergänge gibt. 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§ 6. Die reinen Empfindungen.
von gegensätzlicher Natur sind. Je zwei complementäre Licht-
erregungen müssen sich also ähnlich zu einander verhalten wie
die bei der farblosen Erregung wirksamen entgegengesetzten
Processe. Dennoch walten hier zwei sehr wesentliche Unter-
schiede ob. Erstens existirt ein solcher Gegensatz bei der Farben-
erregung nicht bloß einmal, sondern für jede überhaupt in der
Empfindung unterscheidbare Farbe, so dass also voraussichtlich
zu jeder der Stufen photochemischer Farbenerregung, welche
nach den Resultaten der Mischung benachbarter Farben anzu-
nehmen sind, auch eine bestimmte Stufe von complementärer
Wirkung vorhanden ist. Zweitens bilden die Gegenfarben Maxima
des subjectiven Unterschiedes der Empfindungen, zwischen denen
von jeder dieser Gegenfarben aus nicht bloß nach einer Rich-
tung, wie bei Schwarz und Weiß, sondern nach zwei einander
entgegengesetzten Richtungen Ausgleichungen des Unterschiedes
stattfinden; und dementsprechend lässt sich auch das comple-
mentäre Verhalten der Gegenfarben objectiv nach den näm-
lichen zwei Richtungen wieder aufheben. Mit demselben Rechte
wie aus dem Complementarismus der Gegenfarben auf den Gegen-
satz der entsprechenden photochemischen Processe, ist daher aus
jener doppelseitigen Ausgleichung zu schließen, dass dem Zurück-
laufen der Farbenlinie gegen ihren Ausgangspunkt eine Wieder-
kehr verwandter Processe entspricht. Der ganze Vorgang der
Farbenerregung, wie er bei stetiger Veränderung der Wellen-
länge des objectiven Lichtes, vom äußersten Roth beginnend und
schließlich nach Ueberschreitung des Violett durch Hinzunahme
der Purpurmischungen am Ausgangspunkt endigend, sich abspielt,
wird demnach als eine unbestimmt große Reihenfolge photoche-
mischer Processe aufzufassen sein, die zusammen einen in sich
geschlossenen Kreisprocess bilden, in welchem es zu jeder
Stufe eine sie neutralisirende Gegenstufe und zu dieser zwei nach
entgegengesetzten Richtungen gehende Uebergänge gibt.
Ueber die Anzahl der im ganzen in diesem Kreisprocess
vorhandenen photochemischen Stufen wissen wir nichts. Die
mehrfach unternommenen Versuche, alle Farbenempfindungen auf
eine möglichst kleine Anzahl solcher Stufen zurückzuführen, ent-
behren der zureichenden Begründung. Entweder werden bei
ihnen ohne weiteres die Ergebnisse der physikalischen Farben-
mischung in physiologische Processe umgedeutet: so bei der
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