Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.I. Die psychischen Elemente. ziehungen abhängen, in denen ein einzelnes Gefühl zu demVerlauf der psychischen Vorgänge steht. Innerhalb dieses Verlaufs wird nämlich jedes Gefühl im allgemeinen eine dreifache Bedeutung haben, insofern es: 1) eine bestimmte Modification des momentan gegenwärtigen Zustandes bedeutet: diese Modification wird durch die Hauptrichtung der Lust- und Unlustgefühle bezeichnet: 2) einen bestimmten Einfluss auf den nachfolgenden Zustand ausübt: dieser Einfluss lässt sich nach seinen Haupt- gegensätzen als Erregung und Hemmung (Beruhigung) unterscheiden; 3) in seiner Eigenart durch den voraus- gehenden Zustand bestimmt ist: die Wirkung des letzteren macht sich in einem gegebenen Gefühl in den Formen der Spannung und Lösung geltend. Diese Bedingungen machen es zugleich wahrscheinlich, dass andere Hauptrich- tungen der Gefühle nicht existiren. 9a. Unter den genannten drei Hauptrichtungen der Gefühle hat I. Die psychischen Elemente. ziehungen abhängen, in denen ein einzelnes Gefühl zu demVerlauf der psychischen Vorgänge steht. Innerhalb dieses Verlaufs wird nämlich jedes Gefühl im allgemeinen eine dreifache Bedeutung haben, insofern es: 1) eine bestimmte Modification des momentan gegenwärtigen Zustandes bedeutet: diese Modification wird durch die Hauptrichtung der Lust- und Unlustgefühle bezeichnet: 2) einen bestimmten Einfluss auf den nachfolgenden Zustand ausübt: dieser Einfluss lässt sich nach seinen Haupt- gegensätzen als Erregung und Hemmung (Beruhigung) unterscheiden; 3) in seiner Eigenart durch den voraus- gehenden Zustand bestimmt ist: die Wirkung des letzteren macht sich in einem gegebenen Gefühl in den Formen der Spannung und Lösung geltend. Diese Bedingungen machen es zugleich wahrscheinlich, dass andere Hauptrich- tungen der Gefühle nicht existiren. 9a. Unter den genannten drei Hauptrichtungen der Gefühle hat <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0116" n="100"/><fw place="top" type="header">I. Die psychischen Elemente.</fw><lb/> ziehungen abhängen, in denen ein einzelnes Gefühl zu dem<lb/><hi rendition="#g">Verlauf der psychischen Vorgänge</hi> steht. Innerhalb<lb/> dieses Verlaufs wird nämlich jedes Gefühl im allgemeinen<lb/> eine <hi rendition="#g">dreifache</hi> Bedeutung haben, insofern es: 1) eine<lb/> bestimmte Modification des momentan <hi rendition="#g">gegenwärtigen</hi><lb/> Zustandes bedeutet: diese Modification wird durch die<lb/> Hauptrichtung der <hi rendition="#g">Lust-</hi> und <hi rendition="#g">Unlustgefühle</hi> bezeichnet:<lb/> 2) einen bestimmten Einfluss auf den <hi rendition="#g">nachfolgenden</hi><lb/> Zustand ausübt: dieser Einfluss lässt sich nach seinen Haupt-<lb/> gegensätzen als <hi rendition="#g">Erregung</hi> und <hi rendition="#g">Hemmung</hi> (Beruhigung)<lb/> unterscheiden; 3) in seiner Eigenart durch den <hi rendition="#g">voraus-<lb/> gehenden</hi> Zustand bestimmt ist: die Wirkung des letzteren<lb/> macht sich in einem gegebenen Gefühl in den Formen<lb/> der <hi rendition="#g">Spannung</hi> und <hi rendition="#g">Lösung</hi> geltend. Diese Bedingungen<lb/> machen es zugleich wahrscheinlich, dass andere Hauptrich-<lb/> tungen der Gefühle nicht existiren.</p><lb/> <p>9a. Unter den genannten drei Hauptrichtungen der Gefühle hat<lb/> in der Regel nur die der Lust und Unlust Beachtung gefunden,<lb/> die übrigen rechnete man den Affecten zu. Da aber die Affecte,<lb/> wie wir in § 13 sehen werden, aus Verbindungen von Gefühlen<lb/> entspringen, so ist es klar, dass die Grundformen der Affecte<lb/> schon in den Gefühlselementen vorgebildet sein müssen. Manche<lb/> Psychologen haben dann außerdem die Lust und die Unlust<lb/> nicht als Collectivbegriffe für eine große Mannigfaltigkeit ein-<lb/> zelner Gefühle, sondern für völlig uniforme concrete Zustände<lb/> angesehen, so dass z. B. die Unlust des Zahnschmerzes, eines<lb/> intellectuellen Misserfolgs, eines tragischen Erlebnisses u. s. w.<lb/> alle ihrem Gefühlsinhalte nach identisch sein sollten. Noch<lb/> andere suchten die Gefühle mit speciellen Empfindungen, na-<lb/> mentlich mit Haut- oder Muskelempfindungen zu identificiren.<lb/> Solche völlig haltlose Behauptungen bedürfen keiner Kritik. Sie<lb/> werfen aber auf den unsichern Zustand, in welchem sich die<lb/> Gefühlslehre zum Theil noch heute befindet, ein bezeichnendes<lb/> Licht.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [100/0116]
I. Die psychischen Elemente.
ziehungen abhängen, in denen ein einzelnes Gefühl zu dem
Verlauf der psychischen Vorgänge steht. Innerhalb
dieses Verlaufs wird nämlich jedes Gefühl im allgemeinen
eine dreifache Bedeutung haben, insofern es: 1) eine
bestimmte Modification des momentan gegenwärtigen
Zustandes bedeutet: diese Modification wird durch die
Hauptrichtung der Lust- und Unlustgefühle bezeichnet:
2) einen bestimmten Einfluss auf den nachfolgenden
Zustand ausübt: dieser Einfluss lässt sich nach seinen Haupt-
gegensätzen als Erregung und Hemmung (Beruhigung)
unterscheiden; 3) in seiner Eigenart durch den voraus-
gehenden Zustand bestimmt ist: die Wirkung des letzteren
macht sich in einem gegebenen Gefühl in den Formen
der Spannung und Lösung geltend. Diese Bedingungen
machen es zugleich wahrscheinlich, dass andere Hauptrich-
tungen der Gefühle nicht existiren.
9a. Unter den genannten drei Hauptrichtungen der Gefühle hat
in der Regel nur die der Lust und Unlust Beachtung gefunden,
die übrigen rechnete man den Affecten zu. Da aber die Affecte,
wie wir in § 13 sehen werden, aus Verbindungen von Gefühlen
entspringen, so ist es klar, dass die Grundformen der Affecte
schon in den Gefühlselementen vorgebildet sein müssen. Manche
Psychologen haben dann außerdem die Lust und die Unlust
nicht als Collectivbegriffe für eine große Mannigfaltigkeit ein-
zelner Gefühle, sondern für völlig uniforme concrete Zustände
angesehen, so dass z. B. die Unlust des Zahnschmerzes, eines
intellectuellen Misserfolgs, eines tragischen Erlebnisses u. s. w.
alle ihrem Gefühlsinhalte nach identisch sein sollten. Noch
andere suchten die Gefühle mit speciellen Empfindungen, na-
mentlich mit Haut- oder Muskelempfindungen zu identificiren.
Solche völlig haltlose Behauptungen bedürfen keiner Kritik. Sie
werfen aber auf den unsichern Zustand, in welchem sich die
Gefühlslehre zum Theil noch heute befindet, ein bezeichnendes
Licht.
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