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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen.
Bedingung der Verbindung einer Mehrheit psychischer Ele-
mente für die zeitlichen genau so wie für die räumlichen
Vorstellungen, so ist nun aber die Art dieser Verbindung
dort eine eigenthümliche, von der beim Raum obwaltenden
wesentlich verschiedene.

Die Glieder a b c d e f einer zeitlichen Reihe können
uns, wenn die Reihe bei f angelangt ist, alle unmittelbar
als ein einziges Gebilde gegeben sein, gerade so gut wie
eine Reihe räumlicher Punkte. Aber während die letzteren
vermöge der ursprünglichen Reflexbeziehungen des Auges
stets in ihrem Verhältniss zu dem Centralpunkt des Sehens
geordnet werden, der abwechselnd mit jedem beliebigen der
äußeren Eindrücke a bis f zusammentreffen kann, ist bei der
Zeitvorstellung der momentan gegenwärtige Eindruck
derjenige, nach dem alle andern orientirt sind. Ein neuer
in ähnlicher Weise gegenwärtiger Eindruck wird daher,
auch wenn er nach seinem objectiven Empfindungsinhalte
einem vorangegangenen vollständig gleicht, doch als ein
subjectiv von ihm verschiedener aufgefasst, indem der die
Empfindung begleitende Gefühlszustand zwar dem Gefühls-
inhalt irgend eines andern Momentes verwandt sein kann,
niemals aber mit ihm identisch ist. Gesetzt z. B. auf die
Reihe der Eindrücke a b c d e f folge eine andere a' b' c'
d' e' f'
, bei der dem Empfindungsinhalte nach a'=a, b'=b,
c'=c
u. s. w. ist, so werden, wenn wir die begleitenden Ge-
fühle mit a b g d e ph und a' b' g' d' e' ph' bezeichnen, zwar
a' unda und b' und b, g' und g u. s. w. wegen des überein-
stimmenden Empfindungsinhaltes einander ähnliche Gefühle
sein. Aber sie werden im allgemeinen nicht identisch sein,
weil jedes Gefühlselement außer von der Empfindung, mit
der es unmittelbar verbunden ist, immer auch von dem
durch die Gesammtheit der Erlebnisse bestimmten Zustand
des Subjectes abhängt. Dieser Zustand ist nun bei jedem

§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen.
Bedingung der Verbindung einer Mehrheit psychischer Ele-
mente für die zeitlichen genau so wie für die räumlichen
Vorstellungen, so ist nun aber die Art dieser Verbindung
dort eine eigenthümliche, von der beim Raum obwaltenden
wesentlich verschiedene.

Die Glieder a b c d e f einer zeitlichen Reihe können
uns, wenn die Reihe bei f angelangt ist, alle unmittelbar
als ein einziges Gebilde gegeben sein, gerade so gut wie
eine Reihe räumlicher Punkte. Aber während die letzteren
vermöge der ursprünglichen Reflexbeziehungen des Auges
stets in ihrem Verhältniss zu dem Centralpunkt des Sehens
geordnet werden, der abwechselnd mit jedem beliebigen der
äußeren Eindrücke a bis f zusammentreffen kann, ist bei der
Zeitvorstellung der momentan gegenwärtige Eindruck
derjenige, nach dem alle andern orientirt sind. Ein neuer
in ähnlicher Weise gegenwärtiger Eindruck wird daher,
auch wenn er nach seinem objectiven Empfindungsinhalte
einem vorangegangenen vollständig gleicht, doch als ein
subjectiv von ihm verschiedener aufgefasst, indem der die
Empfindung begleitende Gefühlszustand zwar dem Gefühls-
inhalt irgend eines andern Momentes verwandt sein kann,
niemals aber mit ihm identisch ist. Gesetzt z. B. auf die
Reihe der Eindrücke a b c d e f folge eine andere a′ b′ c′
d′ e′ f′
, bei der dem Empfindungsinhalte nach a′=a, b′=b,
c′=c
u. s. w. ist, so werden, wenn wir die begleitenden Ge-
fühle mit α β γ δ ε φ und α′ β′ γ′ δ′ ε′ φ′ bezeichnen, zwar
α′ undα und β′ und β, γ′ und γ u. s. w. wegen des überein-
stimmenden Empfindungsinhaltes einander ähnliche Gefühle
sein. Aber sie werden im allgemeinen nicht identisch sein,
weil jedes Gefühlselement außer von der Empfindung, mit
der es unmittelbar verbunden ist, immer auch von dem
durch die Gesammtheit der Erlebnisse bestimmten Zustand
des Subjectes abhängt. Dieser Zustand ist nun bei jedem

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[181/0197] § 11. Die zeitlichen Vorstellungen. Bedingung der Verbindung einer Mehrheit psychischer Ele- mente für die zeitlichen genau so wie für die räumlichen Vorstellungen, so ist nun aber die Art dieser Verbindung dort eine eigenthümliche, von der beim Raum obwaltenden wesentlich verschiedene. Die Glieder a b c d e f einer zeitlichen Reihe können uns, wenn die Reihe bei f angelangt ist, alle unmittelbar als ein einziges Gebilde gegeben sein, gerade so gut wie eine Reihe räumlicher Punkte. Aber während die letzteren vermöge der ursprünglichen Reflexbeziehungen des Auges stets in ihrem Verhältniss zu dem Centralpunkt des Sehens geordnet werden, der abwechselnd mit jedem beliebigen der äußeren Eindrücke a bis f zusammentreffen kann, ist bei der Zeitvorstellung der momentan gegenwärtige Eindruck derjenige, nach dem alle andern orientirt sind. Ein neuer in ähnlicher Weise gegenwärtiger Eindruck wird daher, auch wenn er nach seinem objectiven Empfindungsinhalte einem vorangegangenen vollständig gleicht, doch als ein subjectiv von ihm verschiedener aufgefasst, indem der die Empfindung begleitende Gefühlszustand zwar dem Gefühls- inhalt irgend eines andern Momentes verwandt sein kann, niemals aber mit ihm identisch ist. Gesetzt z. B. auf die Reihe der Eindrücke a b c d e f folge eine andere a′ b′ c′ d′ e′ f′, bei der dem Empfindungsinhalte nach a′=a, b′=b, c′=c u. s. w. ist, so werden, wenn wir die begleitenden Ge- fühle mit α β γ δ ε φ und α′ β′ γ′ δ′ ε′ φ′ bezeichnen, zwar α′ undα und β′ und β, γ′ und γ u. s. w. wegen des überein- stimmenden Empfindungsinhaltes einander ähnliche Gefühle sein. Aber sie werden im allgemeinen nicht identisch sein, weil jedes Gefühlselement außer von der Empfindung, mit der es unmittelbar verbunden ist, immer auch von dem durch die Gesammtheit der Erlebnisse bestimmten Zustand des Subjectes abhängt. Dieser Zustand ist nun bei jedem

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/197>, abgerufen am 24.11.2024.