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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Elektricität.
Elementarmagnete resultiren. Die Vorstellung, die wir uns hiernach
von der Constitution der Magnete und der einer Magnetisirung fähigen
Körper bilden können, hat Aehnlichkeit mit der Vorstellung über die
Constitution der Elektrolyte, zu der wir geführt wurden. Wir müssen
annehmen, dass in einem Magneten alle Molecüle, ähnlich wie die
Molecüle des vom Strom durchflossenen Elektrolyten, polarisirt sind,
indem sie ihre Nordpole nach der einen, ihre Südpole nach der an-
dern Richtung kehren. In einem unmagnetischen Eisen- oder Stahl-
stab dagegen werden diese Pole alle möglichen Richtungen besitzen,
so dass die Elementarwirkungen sich aufheben und keine magnetische
Gesammtwirkung zu Stande kommt. Beim Magnetisiren des unmag-
netischen Eisens oder Stahls erhalten nun die Molecüle eine bestimmte
Richtkraft, so dass die Mehrzahl derselben ihre Nordpole nach der
einen und ihre Südpole nach der andern Seite kehrt. Die Thatsachen
nöthigen uns dann weiterhin anzunehmen, dass die Eisen- und Stahl-
molecüle in ihrer jedesmaligen Lage mit einer gewissen Kraft festge-
halten werden, in die sie, wenn sie durch eine äussere Kraft in eine
andere Lage gebracht worden sind, wieder zurückzukehren streben.
Diese Coercitivkraft ist beim Stahl weit grösser als beim weichen Ei-
sen. Die Molecüle des letztern nehmen leicht die polaren Richtungen
an, fallen aber auch ebenso leicht wieder in ihre früheren Richtungen
zurück, während die Molecüle des Stahls schwer ihre Richtungen ver-
lassen, dagegen auch die einmal angenommenen festhalten.

Das in Fig. 225 dargestellte Schema gibt uns hiernach eine An-
schauung von der Molecularanordnung eines magnetischen Körpers.

[Abbildung] Fig. 225.
n1, n2, n3 . . . . sind die Nordpole, s1, s2, s3 . . . . die Südpole der
Molecüle. Denkt man sich nun in der Mitte, bei m, die ganze Mole-
cülreihe in eine rechte und linke Hälfte zerlegt, so ist klar, dass in
m selbst keinerlei magnetische Wirkung bestehen kann, denn n4 wird
durch s4 compensirt, und rechts befinden sich überhaupt genau ebenso
viel Nord- und Südpole und in gleicher Entfernung von m wie links;
die Gesammtwirkung aller dieser Elementarpole auf m muss also
null sein. Um das Hervortreten eines Nord- und Südpolmagnetismus
rechts und links von der Mitte zu erklären, müssen wir aber noch
eine weitere Annahme machen. Dächten wir uns nämlich alle Mole-
cüle gleich stark polarisirt, so würde zwar bei n1 ein freier Nordpol

Von der Elektricität.
Elementarmagnete resultiren. Die Vorstellung, die wir uns hiernach
von der Constitution der Magnete und der einer Magnetisirung fähigen
Körper bilden können, hat Aehnlichkeit mit der Vorstellung über die
Constitution der Elektrolyte, zu der wir geführt wurden. Wir müssen
annehmen, dass in einem Magneten alle Molecüle, ähnlich wie die
Molecüle des vom Strom durchflossenen Elektrolyten, polarisirt sind,
indem sie ihre Nordpole nach der einen, ihre Südpole nach der an-
dern Richtung kehren. In einem unmagnetischen Eisen- oder Stahl-
stab dagegen werden diese Pole alle möglichen Richtungen besitzen,
so dass die Elementarwirkungen sich aufheben und keine magnetische
Gesammtwirkung zu Stande kommt. Beim Magnetisiren des unmag-
netischen Eisens oder Stahls erhalten nun die Molecüle eine bestimmte
Richtkraft, so dass die Mehrzahl derselben ihre Nordpole nach der
einen und ihre Südpole nach der andern Seite kehrt. Die Thatsachen
nöthigen uns dann weiterhin anzunehmen, dass die Eisen- und Stahl-
molecüle in ihrer jedesmaligen Lage mit einer gewissen Kraft festge-
halten werden, in die sie, wenn sie durch eine äussere Kraft in eine
andere Lage gebracht worden sind, wieder zurückzukehren streben.
Diese Coërcitivkraft ist beim Stahl weit grösser als beim weichen Ei-
sen. Die Molecüle des letztern nehmen leicht die polaren Richtungen
an, fallen aber auch ebenso leicht wieder in ihre früheren Richtungen
zurück, während die Molecüle des Stahls schwer ihre Richtungen ver-
lassen, dagegen auch die einmal angenommenen festhalten.

Das in Fig. 225 dargestellte Schema gibt uns hiernach eine An-
schauung von der Molecularanordnung eines magnetischen Körpers.

[Abbildung] Fig. 225.
n1, n2, n3 . . . . sind die Nordpole, s1, s2, s3 . . . . die Südpole der
Molecüle. Denkt man sich nun in der Mitte, bei m, die ganze Mole-
cülreihe in eine rechte und linke Hälfte zerlegt, so ist klar, dass in
m selbst keinerlei magnetische Wirkung bestehen kann, denn n4 wird
durch s4 compensirt, und rechts befinden sich überhaupt genau ebenso
viel Nord- und Südpole und in gleicher Entfernung von m wie links;
die Gesammtwirkung aller dieser Elementarpole auf m muss also
null sein. Um das Hervortreten eines Nord- und Südpolmagnetismus
rechts und links von der Mitte zu erklären, müssen wir aber noch
eine weitere Annahme machen. Dächten wir uns nämlich alle Mole-
cüle gleich stark polarisirt, so würde zwar bei n1 ein freier Nordpol

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[504/0526] Von der Elektricität. Elementarmagnete resultiren. Die Vorstellung, die wir uns hiernach von der Constitution der Magnete und der einer Magnetisirung fähigen Körper bilden können, hat Aehnlichkeit mit der Vorstellung über die Constitution der Elektrolyte, zu der wir geführt wurden. Wir müssen annehmen, dass in einem Magneten alle Molecüle, ähnlich wie die Molecüle des vom Strom durchflossenen Elektrolyten, polarisirt sind, indem sie ihre Nordpole nach der einen, ihre Südpole nach der an- dern Richtung kehren. In einem unmagnetischen Eisen- oder Stahl- stab dagegen werden diese Pole alle möglichen Richtungen besitzen, so dass die Elementarwirkungen sich aufheben und keine magnetische Gesammtwirkung zu Stande kommt. Beim Magnetisiren des unmag- netischen Eisens oder Stahls erhalten nun die Molecüle eine bestimmte Richtkraft, so dass die Mehrzahl derselben ihre Nordpole nach der einen und ihre Südpole nach der andern Seite kehrt. Die Thatsachen nöthigen uns dann weiterhin anzunehmen, dass die Eisen- und Stahl- molecüle in ihrer jedesmaligen Lage mit einer gewissen Kraft festge- halten werden, in die sie, wenn sie durch eine äussere Kraft in eine andere Lage gebracht worden sind, wieder zurückzukehren streben. Diese Coërcitivkraft ist beim Stahl weit grösser als beim weichen Ei- sen. Die Molecüle des letztern nehmen leicht die polaren Richtungen an, fallen aber auch ebenso leicht wieder in ihre früheren Richtungen zurück, während die Molecüle des Stahls schwer ihre Richtungen ver- lassen, dagegen auch die einmal angenommenen festhalten. Das in Fig. 225 dargestellte Schema gibt uns hiernach eine An- schauung von der Molecularanordnung eines magnetischen Körpers. [Abbildung Fig. 225.] n1, n2, n3 . . . . sind die Nordpole, s1, s2, s3 . . . . die Südpole der Molecüle. Denkt man sich nun in der Mitte, bei m, die ganze Mole- cülreihe in eine rechte und linke Hälfte zerlegt, so ist klar, dass in m selbst keinerlei magnetische Wirkung bestehen kann, denn n4 wird durch s4 compensirt, und rechts befinden sich überhaupt genau ebenso viel Nord- und Südpole und in gleicher Entfernung von m wie links; die Gesammtwirkung aller dieser Elementarpole auf m muss also null sein. Um das Hervortreten eines Nord- und Südpolmagnetismus rechts und links von der Mitte zu erklären, müssen wir aber noch eine weitere Annahme machen. Dächten wir uns nämlich alle Mole- cüle gleich stark polarisirt, so würde zwar bei n1 ein freier Nordpol

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/526>, abgerufen am 17.06.2024.