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Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 2. [Braunschweig], [1763].

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Murner in der Hölle.
Christlicher Juden und Wechsler ein reicher Geizhals
verscharrt ist.
Jhn sah über den Hof Rosaura; da stiegen ihr Thränen
Jn die himmlischen Augen; sie rührten den ehrlichen
Raban,
Und er begleitete sie mit seinem zärtlichen Mitleid.
Endlich brach Rosaura das traurige Schweigen, und
sagte:
Geh nun hin, getreue Lisette, bezahle den Gärtner
Für den letzten, dem Cyper erwiesenen, Dienst; und
befiehl ihm
Veilchen zu pflücken, damit ich sein Grab mit Blumen
bestreue!

Also Rosaura; drauf nahm sie den Huth, und
stieg mit dem Onkel
Ueber den Hof. -- Am Graben der Burg stehn heili-
ge Linden
Mit den dicken waldichten Wipfeln bey zackigten Tannen.
Jhre Wurzeln waschen beständig die silbernen Wellen,
Und ein höheres Grün belebet die saftigen Zweige.
Jn der Mitte strecket ihr Haupt die größte von allen
Stolz

Murner in der Hoͤlle.
Chriſtlicher Juden und Wechsler ein reicher Geizhals
verſcharrt iſt.
Jhn ſah uͤber den Hof Roſaura; da ſtiegen ihr Thraͤnen
Jn die himmliſchen Augen; ſie ruͤhrten den ehrlichen
Raban,
Und er begleitete ſie mit ſeinem zaͤrtlichen Mitleid.
Endlich brach Roſaura das traurige Schweigen, und
ſagte:
Geh nun hin, getreue Liſette, bezahle den Gaͤrtner
Fuͤr den letzten, dem Cyper erwieſenen, Dienſt; und
befiehl ihm
Veilchen zu pfluͤcken, damit ich ſein Grab mit Blumen
beſtreue!

Alſo Roſaura; drauf nahm ſie den Huth, und
ſtieg mit dem Onkel
Ueber den Hof. — Am Graben der Burg ſtehn heili-
ge Linden
Mit den dicken waldichten Wipfeln bey zackigten Tannen.
Jhre Wurzeln waſchen beſtaͤndig die ſilbernen Wellen,
Und ein hoͤheres Gruͤn belebet die ſaftigen Zweige.
Jn der Mitte ſtrecket ihr Haupt die groͤßte von allen
Stolz
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[172/0180] Murner in der Hoͤlle. Chriſtlicher Juden und Wechsler ein reicher Geizhals verſcharrt iſt. Jhn ſah uͤber den Hof Roſaura; da ſtiegen ihr Thraͤnen Jn die himmliſchen Augen; ſie ruͤhrten den ehrlichen Raban, Und er begleitete ſie mit ſeinem zaͤrtlichen Mitleid. Endlich brach Roſaura das traurige Schweigen, und ſagte: Geh nun hin, getreue Liſette, bezahle den Gaͤrtner Fuͤr den letzten, dem Cyper erwieſenen, Dienſt; und befiehl ihm Veilchen zu pfluͤcken, damit ich ſein Grab mit Blumen beſtreue! Alſo Roſaura; drauf nahm ſie den Huth, und ſtieg mit dem Onkel Ueber den Hof. — Am Graben der Burg ſtehn heili- ge Linden Mit den dicken waldichten Wipfeln bey zackigten Tannen. Jhre Wurzeln waſchen beſtaͤndig die ſilbernen Wellen, Und ein hoͤheres Gruͤn belebet die ſaftigen Zweige. Jn der Mitte ſtrecket ihr Haupt die groͤßte von allen Stolz

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Zitationshilfe: Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 2. [Braunschweig], [1763], S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften02_1763/180>, abgerufen am 21.11.2024.