Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 4. [Braunschweig], [1764].Der Abend. Doch ihr Meister der Kunst, die ihr mit mächtigenTönen Unsre begeisterten Seelen erhebt; ihr, die ihr den Au- gen Oftmals Thränen entlockt; wenn ihr die inneren Sai- ten Unsers Gefühls zu treffen gewußt; sagt, muß denn die Stimme Des erregten Affekts in krausen Verzierungen klagen? Muß der Gefangne, der Sterbende, noch in Stunden des Abschieds Durch die verrathene Kunst den süssen Betrug uns ent- reissen, Welcher schon anfieng, das Herz zum zärtlichen Mit- leid zu schmelzen? Und muß stets nach einerley Schwung, in einerley Um- lauf, Ewig sich gleich die Arie seyn? -- Jhr künftigen Has- sen, Folgt dem Vorurtheil nicht! Folgt nicht dem Einfall des Sängers, Folgt der wahren Natur! Sucht unsre Herzen zu rüh- ren! Und
Der Abend. Doch ihr Meiſter der Kunſt, die ihr mit maͤchtigenToͤnen Unſre begeiſterten Seelen erhebt; ihr, die ihr den Au- gen Oftmals Thraͤnen entlockt; wenn ihr die inneren Sai- ten Unſers Gefuͤhls zu treffen gewußt; ſagt, muß denn die Stimme Des erregten Affekts in krauſen Verzierungen klagen? Muß der Gefangne, der Sterbende, noch in Stunden des Abſchieds Durch die verrathene Kunſt den ſuͤſſen Betrug uns ent- reiſſen, Welcher ſchon anfieng, das Herz zum zaͤrtlichen Mit- leid zu ſchmelzen? Und muß ſtets nach einerley Schwung, in einerley Um- lauf, Ewig ſich gleich die Arie ſeyn? — Jhr kuͤnftigen Haſ- ſen, Folgt dem Vorurtheil nicht! Folgt nicht dem Einfall des Saͤngers, Folgt der wahren Natur! Sucht unſre Herzen zu ruͤh- ren! Und
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Der Abend.
Doch ihr Meiſter der Kunſt, die ihr mit maͤchtigen
Toͤnen
Unſre begeiſterten Seelen erhebt; ihr, die ihr den Au-
gen
Oftmals Thraͤnen entlockt; wenn ihr die inneren Sai-
ten
Unſers Gefuͤhls zu treffen gewußt; ſagt, muß denn
die Stimme
Des erregten Affekts in krauſen Verzierungen klagen?
Muß der Gefangne, der Sterbende, noch in Stunden
des Abſchieds
Durch die verrathene Kunſt den ſuͤſſen Betrug uns ent-
reiſſen,
Welcher ſchon anfieng, das Herz zum zaͤrtlichen Mit-
leid zu ſchmelzen?
Und muß ſtets nach einerley Schwung, in einerley Um-
lauf,
Ewig ſich gleich die Arie ſeyn? — Jhr kuͤnftigen Haſ-
ſen,
Folgt dem Vorurtheil nicht! Folgt nicht dem Einfall
des Saͤngers,
Folgt der wahren Natur! Sucht unſre Herzen zu ruͤh-
ren!
Und
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