Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 5. [Braunschweig], [1764].Zweyter Gesang. Redet die treueste Liebe für ihn. Die Schöne bemerketSeine verborgenen Flammen; die junge glühende Wange Stralet mit höherem Roth, und zärtliche holde Ver- wirrung Hebet jeglichen Reiz, indem er mit feurigen Lippen Ganz in Entzückung die Hand ihr küßt. Sie wendet ihr Antlitz Schamhaft zur Seite; dann bebt ihr Verehrer erschro- cken zurücke, Glaubt sie beleidigt zu haben, und kennt nicht seine Triumphe. Aber sein schmeichelndes Bild schwebt stets der Schönen vor Augen. Wenn am Abend zum öden Gemach die Schwermuth sich nahet, Die zu Liebenden gern sich gesellt, und unter den Lauben Sich ihr irrender Schritt voll füsser Gedanken verlieret, Dann erblickt sie, getäuscht von wachenden Träumen, den Jüngling Vor sich stehn, und hört noch entzückt die schmeichelnden Reden Sei- C 4
Zweyter Geſang. Redet die treueſte Liebe fuͤr ihn. Die Schoͤne bemerketSeine verborgenen Flammen; die junge gluͤhende Wange Stralet mit hoͤherem Roth, und zaͤrtliche holde Ver- wirrung Hebet jeglichen Reiz, indem er mit feurigen Lippen Ganz in Entzuͤckung die Hand ihr kuͤßt. Sie wendet ihr Antlitz Schamhaft zur Seite; dann bebt ihr Verehrer erſchro- cken zuruͤcke, Glaubt ſie beleidigt zu haben, und kennt nicht ſeine Triumphe. Aber ſein ſchmeichelndes Bild ſchwebt ſtets der Schoͤnen vor Augen. Wenn am Abend zum oͤden Gemach die Schwermuth ſich nahet, Die zu Liebenden gern ſich geſellt, und unter den Lauben Sich ihr irrender Schritt voll fuͤſſer Gedanken verlieret, Dann erblickt ſie, getaͤuſcht von wachenden Traͤumen, den Juͤngling Vor ſich ſtehn, und hoͤrt noch entzuͤckt die ſchmeichelnden Reden Sei- C 4
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Zweyter Geſang.
Redet die treueſte Liebe fuͤr ihn. Die Schoͤne bemerket
Seine verborgenen Flammen; die junge gluͤhende Wange
Stralet mit hoͤherem Roth, und zaͤrtliche holde Ver-
wirrung
Hebet jeglichen Reiz, indem er mit feurigen Lippen
Ganz in Entzuͤckung die Hand ihr kuͤßt. Sie wendet
ihr Antlitz
Schamhaft zur Seite; dann bebt ihr Verehrer erſchro-
cken zuruͤcke,
Glaubt ſie beleidigt zu haben, und kennt nicht ſeine
Triumphe.
Aber ſein ſchmeichelndes Bild ſchwebt ſtets der Schoͤnen
vor Augen.
Wenn am Abend zum oͤden Gemach die Schwermuth
ſich nahet,
Die zu Liebenden gern ſich geſellt, und unter den Lauben
Sich ihr irrender Schritt voll fuͤſſer Gedanken verlieret,
Dann erblickt ſie, getaͤuſcht von wachenden Traͤumen,
den Juͤngling
Vor ſich ſtehn, und hoͤrt noch entzuͤckt die ſchmeichelnden
Reden
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