Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

es wird durch unser Denken erkannt, aber es hat nicht
an unserem Denken seinen Bestand, und wird nicht durch
unser Denken erzeugt. Aber wollen wir auch davon
absehen, so folgt doch durchaus nicht, dass die Denk¬
formen, weil sie in der Wirklichkeit immer mit einem
bestimmten Inhalt erfüllt sind, nun auch nicht ohne diesen
Inhalt zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wer¬
den können. Gerade diess ist vielmehr die Aufgabe der
wissenschaftlichen Analyse, dass sie die verschiedenen
Bestandtheile unserer Vorstellungen unterscheide, das,
was in der Erscheinung verknüpft und vermischt ist,
sondere, und uns so in den Stand setze, das Gegebene
aus seinen ursprünglichen Elementen zu erklären. Wenn
diess die Logik in Beziehung auf unser denkendes Be¬
wusstsein überhaupt thut, wenn sie, die allgemeinen
Formen unseres Denkens für sich, und abgesehen von
jedem bestimmten Inhalt, betrachtet, so beschäftigt sie
sich nicht mit etwas Unwirklichem und Unwahrem; man
müsste denn das Gleiche auch der Mathematik vorwerfen,
weil diese Wissenschaft die allgemeinen Eigenschaften
der Zahl ohne Rücksicht auf die nähere Beschaffenheit
des Gezählten, die allgemeinen Verhältnisse der räum¬
lichen Gestalt, abgesehen von der physikalischen Be¬
schaffenheit der Körper, untersucht. Sondern wie in
dem letzteren Fall bestimmte Seiten und Eigenschaften
des Wirklichen für sich herausgehoben und zum Gegen¬
stand der Betrachtung gemacht werden, so hat es auch
die formale Logik mit einem Wirklichen, mit dem Denken,

es wird durch unser Denken erkannt, aber es hat nicht
an unserem Denken seinen Bestand, und wird nicht durch
unser Denken erzeugt. Aber wollen wir auch davon
absehen, so folgt doch durchaus nicht, dass die Denk¬
formen, weil sie in der Wirklichkeit immer mit einem
bestimmten Inhalt erfüllt sind, nun auch nicht ohne diesen
Inhalt zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wer¬
den können. Gerade diess ist vielmehr die Aufgabe der
wissenschaftlichen Analyse, dass sie die verschiedenen
Bestandtheile unserer Vorstellungen unterscheide, das,
was in der Erscheinung verknüpft und vermischt ist,
sondere, und uns so in den Stand setze, das Gegebene
aus seinen ursprünglichen Elementen zu erklären. Wenn
diess die Logik in Beziehung auf unser denkendes Be¬
wusstsein überhaupt thut, wenn sie, die allgemeinen
Formen unseres Denkens für sich, und abgesehen von
jedem bestimmten Inhalt, betrachtet, so beschäftigt sie
sich nicht mit etwas Unwirklichem und Unwahrem; man
müsste denn das Gleiche auch der Mathematik vorwerfen,
weil diese Wissenschaft die allgemeinen Eigenschaften
der Zahl ohne Rücksicht auf die nähere Beschaffenheit
des Gezählten, die allgemeinen Verhältnisse der räum¬
lichen Gestalt, abgesehen von der physikalischen Be¬
schaffenheit der Körper, untersucht. Sondern wie in
dem letzteren Fall bestimmte Seiten und Eigenschaften
des Wirklichen für sich herausgehoben und zum Gegen¬
stand der Betrachtung gemacht werden, so hat es auch
die formale Logik mit einem Wirklichen, mit dem Denken,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="7"/>
es wird durch unser Denken erkannt, aber es hat nicht<lb/>
an unserem Denken seinen Bestand, und wird nicht durch<lb/>
unser Denken erzeugt. Aber wollen wir auch davon<lb/>
absehen, so folgt doch durchaus nicht, dass die Denk¬<lb/>
formen, weil sie in der Wirklichkeit immer mit einem<lb/>
bestimmten Inhalt erfüllt sind, nun auch nicht ohne diesen<lb/>
Inhalt zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wer¬<lb/>
den können. Gerade diess ist vielmehr die Aufgabe der<lb/>
wissenschaftlichen Analyse, dass sie die verschiedenen<lb/>
Bestandtheile unserer Vorstellungen unterscheide, das,<lb/>
was in der Erscheinung verknüpft und vermischt ist,<lb/>
sondere, und uns so in den Stand setze, das Gegebene<lb/>
aus seinen ursprünglichen Elementen zu erklären. Wenn<lb/>
diess die Logik in Beziehung auf unser denkendes Be¬<lb/>
wusstsein überhaupt thut, wenn sie, die allgemeinen<lb/>
Formen unseres Denkens für sich, und abgesehen von<lb/>
jedem bestimmten Inhalt, betrachtet, so beschäftigt sie<lb/>
sich nicht mit etwas Unwirklichem und Unwahrem; man<lb/>
müsste denn das Gleiche auch der Mathematik vorwerfen,<lb/>
weil diese Wissenschaft die allgemeinen Eigenschaften<lb/>
der Zahl ohne Rücksicht auf die nähere Beschaffenheit<lb/>
des Gezählten, die allgemeinen Verhältnisse der räum¬<lb/>
lichen Gestalt, abgesehen von der physikalischen Be¬<lb/>
schaffenheit der Körper, untersucht. Sondern wie in<lb/>
dem letzteren Fall bestimmte Seiten und Eigenschaften<lb/>
des Wirklichen für sich herausgehoben und zum Gegen¬<lb/>
stand der Betrachtung gemacht werden, so hat es auch<lb/>
die formale Logik mit einem Wirklichen, mit dem Denken,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0011] es wird durch unser Denken erkannt, aber es hat nicht an unserem Denken seinen Bestand, und wird nicht durch unser Denken erzeugt. Aber wollen wir auch davon absehen, so folgt doch durchaus nicht, dass die Denk¬ formen, weil sie in der Wirklichkeit immer mit einem bestimmten Inhalt erfüllt sind, nun auch nicht ohne diesen Inhalt zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wer¬ den können. Gerade diess ist vielmehr die Aufgabe der wissenschaftlichen Analyse, dass sie die verschiedenen Bestandtheile unserer Vorstellungen unterscheide, das, was in der Erscheinung verknüpft und vermischt ist, sondere, und uns so in den Stand setze, das Gegebene aus seinen ursprünglichen Elementen zu erklären. Wenn diess die Logik in Beziehung auf unser denkendes Be¬ wusstsein überhaupt thut, wenn sie, die allgemeinen Formen unseres Denkens für sich, und abgesehen von jedem bestimmten Inhalt, betrachtet, so beschäftigt sie sich nicht mit etwas Unwirklichem und Unwahrem; man müsste denn das Gleiche auch der Mathematik vorwerfen, weil diese Wissenschaft die allgemeinen Eigenschaften der Zahl ohne Rücksicht auf die nähere Beschaffenheit des Gezählten, die allgemeinen Verhältnisse der räum¬ lichen Gestalt, abgesehen von der physikalischen Be¬ schaffenheit der Körper, untersucht. Sondern wie in dem letzteren Fall bestimmte Seiten und Eigenschaften des Wirklichen für sich herausgehoben und zum Gegen¬ stand der Betrachtung gemacht werden, so hat es auch die formale Logik mit einem Wirklichen, mit dem Denken,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/11
Zitationshilfe: Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/11>, abgerufen am 21.11.2024.