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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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III. Die Traditionen des Heidenthums.
sittliche Entartung sowie über die Erfindung verschiedener Künste
und Gewerbe werden auf ähnliche Weise mit ihrer Geschichte
verflochten, wie im oben erwähnten chinesischen Parallelberichte.
Jnsbesondere wird Pulastya als Erfinder dämonischer Zauberkünste,
Atri als von Gott gelehrter frommer Beter (vgl. Henoch), Dakscha
als Stammvater von Riesen und Verüber von Freveln beim Opfer,
der deßhalb getödtet wird, Brigu als Verfasser eines heiligen Gesetz-
buchs, und Narada als ascetisch lebender Büßer, der sich des
Kinderzeugens enthalten habe, dargestellt. 1)

Diesen indischen Sagen stehen die der alten Eranier un-
mittelbar nahe, kommen aber zugleich in ihrer Behandlung der
Paradieses- und Sündenfallsgeschichte noch näher mit der alttesta-
mentlichen Ueberlieferung überein. Das Paradies, die "Schöpfung
der Anmuth", der "erste und beste der Plätze" wurde von Ahura-
mazda geschaffen durch die Macht seines Verstands und seiner Weis-
heit. Jnmitten seiner vielen heilsamen Bäume wuchs Gaokerena,
der "weiße Haoma" oder Baum des Lebens, deß Genuß unsterblich
macht. Die ersten Menschen lebten hier, unter Jima's, des Schönen
und Reinen, patriarchalischer Herrschaft, frei vom Tode; sie konnten
in die Sonne sehen, ohne geblendet zu werden; es gab bei ihnen
weder Tod noch Alter noch Sünde, -- bis endlich Jima durch
Stolz und Selbstüberhebung lügnerischer Rede sich hingab, in Sünde
verfiel und, von Ahuramazda verlassen, der Sterblichkeit überliefert
wurde, worauf auch für sein Geschlecht, das von ihm die sündige
Kunst des Fleischessens erlernte, der paradiesche Ursitz verloren ging.
Mit dem Verluste desselben erscheint hier der Eintritt des von den
himmlischen Göttern in Gestalt eines furchtbaren Winters oder
Regenwetters verhängten Gerichts der Sintfluth unmittelbar ver-
flochten; denn Jima selbst, der Menschheitsstammvater, erlebt diese
Fluth noch und baut die rettende Arche. So schon der Vendidad

1) Vgl. Gesetzb. des Manu (Manawadharmasastra) I, 33; III, 192
198. -- Lüken a. a. O., 152 ff., auch daselbst 86 ff., und Fonseca, Mytho-
logie des alten Jndien, S. 25 f.

III. Die Traditionen des Heidenthums.
ſittliche Entartung ſowie über die Erfindung verſchiedener Künſte
und Gewerbe werden auf ähnliche Weiſe mit ihrer Geſchichte
verflochten, wie im oben erwähnten chineſiſchen Parallelberichte.
Jnsbeſondere wird Pulaſtya als Erfinder dämoniſcher Zauberkünſte,
Atri als von Gott gelehrter frommer Beter (vgl. Henoch), Dakſcha
als Stammvater von Rieſen und Verüber von Freveln beim Opfer,
der deßhalb getödtet wird, Brigu als Verfaſſer eines heiligen Geſetz-
buchs, und Narada als ascetiſch lebender Büßer, der ſich des
Kinderzeugens enthalten habe, dargeſtellt. 1)

Dieſen indiſchen Sagen ſtehen die der alten Eranier un-
mittelbar nahe, kommen aber zugleich in ihrer Behandlung der
Paradieſes- und Sündenfallsgeſchichte noch näher mit der altteſta-
mentlichen Ueberlieferung überein. Das Paradies, die „Schöpfung
der Anmuth‟, der „erſte und beſte der Plätze‟ wurde von Ahura-
mazda geſchaffen durch die Macht ſeines Verſtands und ſeiner Weis-
heit. Jnmitten ſeiner vielen heilſamen Bäume wuchs Gaokerena,
der „weiße Haoma‟ oder Baum des Lebens, deß Genuß unſterblich
macht. Die erſten Menſchen lebten hier, unter Jima’s, des Schönen
und Reinen, patriarchaliſcher Herrſchaft, frei vom Tode; ſie konnten
in die Sonne ſehen, ohne geblendet zu werden; es gab bei ihnen
weder Tod noch Alter noch Sünde, — bis endlich Jima durch
Stolz und Selbſtüberhebung lügneriſcher Rede ſich hingab, in Sünde
verfiel und, von Ahuramazda verlaſſen, der Sterblichkeit überliefert
wurde, worauf auch für ſein Geſchlecht, das von ihm die ſündige
Kunſt des Fleiſcheſſens erlernte, der paradieſche Urſitz verloren ging.
Mit dem Verluſte deſſelben erſcheint hier der Eintritt des von den
himmliſchen Göttern in Geſtalt eines furchtbaren Winters oder
Regenwetters verhängten Gerichts der Sintfluth unmittelbar ver-
flochten; denn Jima ſelbſt, der Menſchheitsſtammvater, erlebt dieſe
Fluth noch und baut die rettende Arche. So ſchon der Vendidad

1) Vgl. Geſetzb. des Manu (Manawadharmasâstra) I, 33; III, 192
198. — Lüken a. a. O., 152 ff., auch daſelbſt 86 ff., und Fonſeca, Mytho-
logie des alten Jndien, S. 25 f.
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[91/0101] III. Die Traditionen des Heidenthums. ſittliche Entartung ſowie über die Erfindung verſchiedener Künſte und Gewerbe werden auf ähnliche Weiſe mit ihrer Geſchichte verflochten, wie im oben erwähnten chineſiſchen Parallelberichte. Jnsbeſondere wird Pulaſtya als Erfinder dämoniſcher Zauberkünſte, Atri als von Gott gelehrter frommer Beter (vgl. Henoch), Dakſcha als Stammvater von Rieſen und Verüber von Freveln beim Opfer, der deßhalb getödtet wird, Brigu als Verfaſſer eines heiligen Geſetz- buchs, und Narada als ascetiſch lebender Büßer, der ſich des Kinderzeugens enthalten habe, dargeſtellt. 1) Dieſen indiſchen Sagen ſtehen die der alten Eranier un- mittelbar nahe, kommen aber zugleich in ihrer Behandlung der Paradieſes- und Sündenfallsgeſchichte noch näher mit der altteſta- mentlichen Ueberlieferung überein. Das Paradies, die „Schöpfung der Anmuth‟, der „erſte und beſte der Plätze‟ wurde von Ahura- mazda geſchaffen durch die Macht ſeines Verſtands und ſeiner Weis- heit. Jnmitten ſeiner vielen heilſamen Bäume wuchs Gaokerena, der „weiße Haoma‟ oder Baum des Lebens, deß Genuß unſterblich macht. Die erſten Menſchen lebten hier, unter Jima’s, des Schönen und Reinen, patriarchaliſcher Herrſchaft, frei vom Tode; ſie konnten in die Sonne ſehen, ohne geblendet zu werden; es gab bei ihnen weder Tod noch Alter noch Sünde, — bis endlich Jima durch Stolz und Selbſtüberhebung lügneriſcher Rede ſich hingab, in Sünde verfiel und, von Ahuramazda verlaſſen, der Sterblichkeit überliefert wurde, worauf auch für ſein Geſchlecht, das von ihm die ſündige Kunſt des Fleiſcheſſens erlernte, der paradieſche Urſitz verloren ging. Mit dem Verluſte deſſelben erſcheint hier der Eintritt des von den himmliſchen Göttern in Geſtalt eines furchtbaren Winters oder Regenwetters verhängten Gerichts der Sintfluth unmittelbar ver- flochten; denn Jima ſelbſt, der Menſchheitsſtammvater, erlebt dieſe Fluth noch und baut die rettende Arche. So ſchon der Vendidad 1) Vgl. Geſetzb. des Manu (Manawadharmasâstra) I, 33; III, 192 198. — Lüken a. a. O., 152 ff., auch daſelbſt 86 ff., und Fonſeca, Mytho- logie des alten Jndien, S. 25 f.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/101>, abgerufen am 21.11.2024.