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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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Einleitung.
zugleich den Vertreter eines nicht gerade extremen Reformjudenthums.
"Fast alle Völker", sagt Lasker, "haben sagenhaft oder als Glaubens-
lehre eine in schuldloser Einfachheit glückselige Vergangenheit als
Urzustand sich vorgestellt. Die geschichtliche Bestätigung fehlt; in
die ersten Anfänge der Völker des heutigen Civilisationssystems
reicht die Beobachtung nicht zurück" ... "Liegt," so fragt derselbe,
"der Höhepunkt des menschlichen Genius hinter uns, und vor uns
allein die Arbeit, die verlorene Höhe wieder zu erklimmen? Viele
glauben es, aber oberflächliche Beobachtungen verleiten sie. Der
einzig erkennbare Faden in der leider nur stückweise bekannten Ge-
schichte der Menschheit zeigt uns diese in ununterbrochenem Fort-
schritte." Es bleibe daher "dahin gestellt das Dunkel der Anfänge,
in welches der Blick keines Forschers gedrungen und nur der ver-
muthende Gedanke sich mit Willkür versetzt!" Man lasse sie fahren,
die Hypothesen jenes nebelhaften Bereichs, wo "die Person des
Schöpfers die letzte Kenntniß des Urgesetzes ersetzt"! -- Beim
Busenfreunde eines Culturforschers wie C. Twesten läßt sich ein
andres Urtheil über den Gegenstand kaum erwarten. Aehnlich
äußert sich der bekannte belgische Fortschrittsphilosoph Laurent,
allerdings sonst ein Vertreter Krausescher Jdeen, aber im Punkte
der Lehre vom Urstande weit radikaler gerichtet als die Schelling-
Krausesche Tradition. 1) -- Von den angeseheneren deutschen Philo-
sophen der Gegenwart, soweit sie eine zwischen extremem Radikalismus
und Orthodoxie vermittelnde Haltung einnehmen, meint Lotze zweifelnd:
ob die Einheit des Menschengeschlechts wie eine schön verzierte Jni-
tiale hinter uns liege, oder ob sie erst das Ziel seiner Entwicklung
bilden werde, dieß könne erst die Zukunft lehren; denkt Carriere
den ersten Menschen einerseits zwar als höchstes Entwicklungsproduct

1) Lasker, Ueber Halbbildung, in der deutschen Rundschau, 1878, Octob.,
S. 30. 47. 49. -- Vgl. C. Twesten, Die relig., polit. und socialen Jdeen der
asiat. Culturvölker etc., Berlin 1872, sowie was Laurent betrifft, seine Phi-
losophie de l' Histoire,
1869, und dazu Rocholl, Die Philos. der Geschichte,
Göttingen 1878, S. 196 f.
1 *

Einleitung.
zugleich den Vertreter eines nicht gerade extremen Reformjudenthums.
„Faſt alle Völker‟, ſagt Lasker, „haben ſagenhaft oder als Glaubens-
lehre eine in ſchuldloſer Einfachheit glückſelige Vergangenheit als
Urzuſtand ſich vorgeſtellt. Die geſchichtliche Beſtätigung fehlt; in
die erſten Anfänge der Völker des heutigen Civiliſationsſyſtems
reicht die Beobachtung nicht zurück‟ … „Liegt,‟ ſo fragt derſelbe,
„der Höhepunkt des menſchlichen Genius hinter uns, und vor uns
allein die Arbeit, die verlorene Höhe wieder zu erklimmen? Viele
glauben es, aber oberflächliche Beobachtungen verleiten ſie. Der
einzig erkennbare Faden in der leider nur ſtückweiſe bekannten Ge-
ſchichte der Menſchheit zeigt uns dieſe in ununterbrochenem Fort-
ſchritte.‟ Es bleibe daher „dahin geſtellt das Dunkel der Anfänge,
in welches der Blick keines Forſchers gedrungen und nur der ver-
muthende Gedanke ſich mit Willkür verſetzt!‟ Man laſſe ſie fahren,
die Hypotheſen jenes nebelhaften Bereichs, wo „die Perſon des
Schöpfers die letzte Kenntniß des Urgeſetzes erſetzt‟! — Beim
Buſenfreunde eines Culturforſchers wie C. Tweſten läßt ſich ein
andres Urtheil über den Gegenſtand kaum erwarten. Aehnlich
äußert ſich der bekannte belgiſche Fortſchrittsphiloſoph Laurent,
allerdings ſonſt ein Vertreter Krauſeſcher Jdeen, aber im Punkte
der Lehre vom Urſtande weit radikaler gerichtet als die Schelling-
Krauſeſche Tradition. 1) — Von den angeſeheneren deutſchen Philo-
ſophen der Gegenwart, ſoweit ſie eine zwiſchen extremem Radikalismus
und Orthodoxie vermittelnde Haltung einnehmen, meint Lotze zweifelnd:
ob die Einheit des Menſchengeſchlechts wie eine ſchön verzierte Jni-
tiale hinter uns liege, oder ob ſie erſt das Ziel ſeiner Entwicklung
bilden werde, dieß könne erſt die Zukunft lehren; denkt Carriere
den erſten Menſchen einerſeits zwar als höchſtes Entwicklungsproduct

1) Lasker, Ueber Halbbildung, in der deutſchen Rundſchau, 1878, Octob.,
S. 30. 47. 49. — Vgl. C. Tweſten, Die relig., polit. und ſocialen Jdeen der
aſiat. Culturvölker ꝛc., Berlin 1872, ſowie was Laurent betrifft, ſeine Phi-
losophie de l’ Histoire,
1869, und dazu Rocholl, Die Philoſ. der Geſchichte,
Göttingen 1878, S. 196 f.
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[3/0013] Einleitung. zugleich den Vertreter eines nicht gerade extremen Reformjudenthums. „Faſt alle Völker‟, ſagt Lasker, „haben ſagenhaft oder als Glaubens- lehre eine in ſchuldloſer Einfachheit glückſelige Vergangenheit als Urzuſtand ſich vorgeſtellt. Die geſchichtliche Beſtätigung fehlt; in die erſten Anfänge der Völker des heutigen Civiliſationsſyſtems reicht die Beobachtung nicht zurück‟ … „Liegt,‟ ſo fragt derſelbe, „der Höhepunkt des menſchlichen Genius hinter uns, und vor uns allein die Arbeit, die verlorene Höhe wieder zu erklimmen? Viele glauben es, aber oberflächliche Beobachtungen verleiten ſie. Der einzig erkennbare Faden in der leider nur ſtückweiſe bekannten Ge- ſchichte der Menſchheit zeigt uns dieſe in ununterbrochenem Fort- ſchritte.‟ Es bleibe daher „dahin geſtellt das Dunkel der Anfänge, in welches der Blick keines Forſchers gedrungen und nur der ver- muthende Gedanke ſich mit Willkür verſetzt!‟ Man laſſe ſie fahren, die Hypotheſen jenes nebelhaften Bereichs, wo „die Perſon des Schöpfers die letzte Kenntniß des Urgeſetzes erſetzt‟! — Beim Buſenfreunde eines Culturforſchers wie C. Tweſten läßt ſich ein andres Urtheil über den Gegenſtand kaum erwarten. Aehnlich äußert ſich der bekannte belgiſche Fortſchrittsphiloſoph Laurent, allerdings ſonſt ein Vertreter Krauſeſcher Jdeen, aber im Punkte der Lehre vom Urſtande weit radikaler gerichtet als die Schelling- Krauſeſche Tradition. 1) — Von den angeſeheneren deutſchen Philo- ſophen der Gegenwart, ſoweit ſie eine zwiſchen extremem Radikalismus und Orthodoxie vermittelnde Haltung einnehmen, meint Lotze zweifelnd: ob die Einheit des Menſchengeſchlechts wie eine ſchön verzierte Jni- tiale hinter uns liege, oder ob ſie erſt das Ziel ſeiner Entwicklung bilden werde, dieß könne erſt die Zukunft lehren; denkt Carriere den erſten Menſchen einerſeits zwar als höchſtes Entwicklungsproduct 1) Lasker, Ueber Halbbildung, in der deutſchen Rundſchau, 1878, Octob., S. 30. 47. 49. — Vgl. C. Tweſten, Die relig., polit. und ſocialen Jdeen der aſiat. Culturvölker ꝛc., Berlin 1872, ſowie was Laurent betrifft, ſeine Phi- losophie de l’ Histoire, 1869, und dazu Rocholl, Die Philoſ. der Geſchichte, Göttingen 1878, S. 196 f. 1 *

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/13>, abgerufen am 21.11.2024.