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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IV. Die Opposition des modernen Naturalismus.
strebend; auf Jahrhunderte mühsamen Aufsteigens folgte (hie und
da) ein Augenblick reißenden Niedersturzes, und die verschiedensten
Klimate der Erde haben den Wechsel des Lichts und der Finsterniß
erfahren. Die Erfahrung von vier Jahrtausenden sollte jedoch unsre
Hoffnungen mehren und unsre Besorgnisse mindern. Wir können
nicht bestimmen, zu welcher Höhe das Menschengeschlecht in seinen
Fortschritten zur Vollkommenheit gelangen möge, dürfen aber mit
Zuversicht annehmen, daß kein Volk, es sei denn das Antlitz der
Natur erführe eine gänzliche Umgestaltung, wieder in seine ursprüng-
liche Barbarei zurückfallen werde .... Seitdem die erste Erfin-
dung der Künste, seitdem Krieg, Handel und Religionseifer unter
den Wilden der alten und neuen Welt diese unschätzbaren Gaben
verbreitet haben, sind sie ununterbrochen fortgepflanzt worden und
können nie wieder verloren gehen. Wir mögen uns daher mit der
frohen Gewißheit beruhigen, daß jedes Zeitalter der Welt den wirk-
lichen Reichthum, das Glück, die Kenntnisse und vielleicht auch die
Tugend (!) des menschlichen Geschlechts vermehrt habe und noch fort-
während vermehre". 1) -- Je besser der optimistische Grundton solcher
Betrachtungen zum allgemeinen Fortschrittsstreben des Zeitalters
paßte und eine Stimmung stolzer Zufriedenheit in Bezug auf die
errungenen Fortschritte begünstigte, desto einflußreicher mußte die
Stimme des vielbewunderten Historikers auch auf dem in Rede
stehenden besondren Gebiete wirken.



Das 19. Jahrhundert hat eine zunehmende Erweiterung und
Befestigung der zwischen den naturalistischen Ansichten von der Ur-
beschaffenheit unsres Geschlechts und der kirchlichen Urstandslehre
vorhandenen Kluft gebracht. Die Opposition nimmt eine immer
radikalere Haltung an. Jhre Angriffe gewinnen an Heftigkeit, an

1) Gibbon, Geschichte des allmäligen Sinkens und endlichen Unterganges
des römischen Weltreichs. A. d. Engl. von Sporschil (4. A. 1863), Kap. 38.

IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
ſtrebend; auf Jahrhunderte mühſamen Aufſteigens folgte (hie und
da) ein Augenblick reißenden Niederſturzes, und die verſchiedenſten
Klimate der Erde haben den Wechſel des Lichts und der Finſterniß
erfahren. Die Erfahrung von vier Jahrtauſenden ſollte jedoch unſre
Hoffnungen mehren und unſre Beſorgniſſe mindern. Wir können
nicht beſtimmen, zu welcher Höhe das Menſchengeſchlecht in ſeinen
Fortſchritten zur Vollkommenheit gelangen möge, dürfen aber mit
Zuverſicht annehmen, daß kein Volk, es ſei denn das Antlitz der
Natur erführe eine gänzliche Umgeſtaltung, wieder in ſeine urſprüng-
liche Barbarei zurückfallen werde .... Seitdem die erſte Erfin-
dung der Künſte, ſeitdem Krieg, Handel und Religionseifer unter
den Wilden der alten und neuen Welt dieſe unſchätzbaren Gaben
verbreitet haben, ſind ſie ununterbrochen fortgepflanzt worden und
können nie wieder verloren gehen. Wir mögen uns daher mit der
frohen Gewißheit beruhigen, daß jedes Zeitalter der Welt den wirk-
lichen Reichthum, das Glück, die Kenntniſſe und vielleicht auch die
Tugend (!) des menſchlichen Geſchlechts vermehrt habe und noch fort-
während vermehre‟. 1) — Je beſſer der optimiſtiſche Grundton ſolcher
Betrachtungen zum allgemeinen Fortſchrittsſtreben des Zeitalters
paßte und eine Stimmung ſtolzer Zufriedenheit in Bezug auf die
errungenen Fortſchritte begünſtigte, deſto einflußreicher mußte die
Stimme des vielbewunderten Hiſtorikers auch auf dem in Rede
ſtehenden beſondren Gebiete wirken.



Das 19. Jahrhundert hat eine zunehmende Erweiterung und
Befeſtigung der zwiſchen den naturaliſtiſchen Anſichten von der Ur-
beſchaffenheit unſres Geſchlechts und der kirchlichen Urſtandslehre
vorhandenen Kluft gebracht. Die Oppoſition nimmt eine immer
radikalere Haltung an. Jhre Angriffe gewinnen an Heftigkeit, an

1) Gibbon, Geſchichte des allmäligen Sinkens und endlichen Unterganges
des römiſchen Weltreichs. A. d. Engl. von Sporſchil (4. A. 1863), Kap. 38.
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[123/0133] IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. ſtrebend; auf Jahrhunderte mühſamen Aufſteigens folgte (hie und da) ein Augenblick reißenden Niederſturzes, und die verſchiedenſten Klimate der Erde haben den Wechſel des Lichts und der Finſterniß erfahren. Die Erfahrung von vier Jahrtauſenden ſollte jedoch unſre Hoffnungen mehren und unſre Beſorgniſſe mindern. Wir können nicht beſtimmen, zu welcher Höhe das Menſchengeſchlecht in ſeinen Fortſchritten zur Vollkommenheit gelangen möge, dürfen aber mit Zuverſicht annehmen, daß kein Volk, es ſei denn das Antlitz der Natur erführe eine gänzliche Umgeſtaltung, wieder in ſeine urſprüng- liche Barbarei zurückfallen werde .... Seitdem die erſte Erfin- dung der Künſte, ſeitdem Krieg, Handel und Religionseifer unter den Wilden der alten und neuen Welt dieſe unſchätzbaren Gaben verbreitet haben, ſind ſie ununterbrochen fortgepflanzt worden und können nie wieder verloren gehen. Wir mögen uns daher mit der frohen Gewißheit beruhigen, daß jedes Zeitalter der Welt den wirk- lichen Reichthum, das Glück, die Kenntniſſe und vielleicht auch die Tugend (!) des menſchlichen Geſchlechts vermehrt habe und noch fort- während vermehre‟. 1) — Je beſſer der optimiſtiſche Grundton ſolcher Betrachtungen zum allgemeinen Fortſchrittsſtreben des Zeitalters paßte und eine Stimmung ſtolzer Zufriedenheit in Bezug auf die errungenen Fortſchritte begünſtigte, deſto einflußreicher mußte die Stimme des vielbewunderten Hiſtorikers auch auf dem in Rede ſtehenden beſondren Gebiete wirken. Das 19. Jahrhundert hat eine zunehmende Erweiterung und Befeſtigung der zwiſchen den naturaliſtiſchen Anſichten von der Ur- beſchaffenheit unſres Geſchlechts und der kirchlichen Urſtandslehre vorhandenen Kluft gebracht. Die Oppoſition nimmt eine immer radikalere Haltung an. Jhre Angriffe gewinnen an Heftigkeit, an 1) Gibbon, Geſchichte des allmäligen Sinkens und endlichen Unterganges des römiſchen Weltreichs. A. d. Engl. von Sporſchil (4. A. 1863), Kap. 38.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/133>, abgerufen am 21.11.2024.