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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IV. Die Opposition des modernen Naturalismus.
systematischer Consequenz und an scheinbarer Unwiderleglichkeit beson-
ders dadurch, daß mehrere ganz neue, früher in selbständiger Existenz
nicht vorhanden gewesene Wissenschaften durch die im Chor geeinigten
Stimmen ihrer angeseheneren Vertreter Zeugniß zu Gunsten der
naturalistischen Auffassung abzulegen anfangen. Die allgemeine
vergleichende Religionswissenschaft thut dieß, besonders sofern die
s. g. Fetischismus-Hypothese oder die Annahme eines Hervorgegan-
genseins sämmtlicher positiven Religionen aus ursprünglichem Fetisch-
dienste bei Vielen ihrer Vertreter Platz greift. Viele linguistische
Forscher und Sprachphilosophen operiren in ähnlicher Richtung auf
Grund ihrer Voraussetzung eines Entsprungenseins der ausgebil-
deteren Sprachen aus thierartig rohen und elementaren naturnach-
ahmenden Lauten, also vermöge ihrer "Wau-wau- oder Päh-päh-
Theorien". Die ethnologisch-archäologische und culturhistorische Forsch-
ung reicht Waffen gegen die kirchliche Ansicht in Gestalt einer
unübersehbaren Reihe von Geräthschaften, Zierrathen, Ceremonien,
Sitten und Gebräuchen der Völker dar, deren vergleichende Be-
trachtung eher poly- als monogenistische Speculationen zu begünstigen
und zugleich mit der Ur-Einheit auch die Ur-Vollkommenheit und
ursprüngliche Unschuld des menschlichen Geschlechts in Frage zu
stellen scheint. Und vollends die durch Cuviers comparativ-anato-
mische und paläontologische Entdeckungen angebahnte, nachgerade
freilich in Widerspruch mit den Annahmen dieses großen Forschers
getretene vorhistorische Anthropologie, das jüngste Kind des in Aus-
gestaltung immer neuer Wissensfächer unermüdlichen und unerschöpf-
lichen Forschungsdranges unsres Jahrhunderts, scheint den Glauben
an einen Urstand in früherer Fassung auf gefahrdrohende Weise zu
erschüttern. Der prähistorische Mensch, in Gestalt fossiler Skelet-
fragmente und Schädeltrümmer aus seit Jahrtausenden verschütteten
Gebirgshöhlen mühsam zu Tage gefördert, mit geschnitzten Mammuth-
zähnen oder Renthierknochen roh-phantastisch geschmückt und mit
derben Kieseläxten bewehrt, scheint der biblischen Paradieses-Tradition
ein steinerner Gast werden und das Festhalten an den heiligen

IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
ſyſtematiſcher Conſequenz und an ſcheinbarer Unwiderleglichkeit beſon-
ders dadurch, daß mehrere ganz neue, früher in ſelbſtändiger Exiſtenz
nicht vorhanden geweſene Wiſſenſchaften durch die im Chor geeinigten
Stimmen ihrer angeſeheneren Vertreter Zeugniß zu Gunſten der
naturaliſtiſchen Auffaſſung abzulegen anfangen. Die allgemeine
vergleichende Religionswiſſenſchaft thut dieß, beſonders ſofern die
ſ. g. Fetiſchismus-Hypotheſe oder die Annahme eines Hervorgegan-
genſeins ſämmtlicher poſitiven Religionen aus urſprünglichem Fetiſch-
dienſte bei Vielen ihrer Vertreter Platz greift. Viele linguiſtiſche
Forſcher und Sprachphiloſophen operiren in ähnlicher Richtung auf
Grund ihrer Vorausſetzung eines Entſprungenſeins der ausgebil-
deteren Sprachen aus thierartig rohen und elementaren naturnach-
ahmenden Lauten, alſo vermöge ihrer „Wau-wau- oder Päh-päh-
Theorien‟. Die ethnologiſch-archäologiſche und culturhiſtoriſche Forſch-
ung reicht Waffen gegen die kirchliche Anſicht in Geſtalt einer
unüberſehbaren Reihe von Geräthſchaften, Zierrathen, Ceremonien,
Sitten und Gebräuchen der Völker dar, deren vergleichende Be-
trachtung eher poly- als monogeniſtiſche Speculationen zu begünſtigen
und zugleich mit der Ur-Einheit auch die Ur-Vollkommenheit und
urſprüngliche Unſchuld des menſchlichen Geſchlechts in Frage zu
ſtellen ſcheint. Und vollends die durch Cuviers comparativ-anato-
miſche und paläontologiſche Entdeckungen angebahnte, nachgerade
freilich in Widerſpruch mit den Annahmen dieſes großen Forſchers
getretene vorhiſtoriſche Anthropologie, das jüngſte Kind des in Aus-
geſtaltung immer neuer Wiſſensfächer unermüdlichen und unerſchöpf-
lichen Forſchungsdranges unſres Jahrhunderts, ſcheint den Glauben
an einen Urſtand in früherer Faſſung auf gefahrdrohende Weiſe zu
erſchüttern. Der prähiſtoriſche Menſch, in Geſtalt foſſiler Skelet-
fragmente und Schädeltrümmer aus ſeit Jahrtauſenden verſchütteten
Gebirgshöhlen mühſam zu Tage gefördert, mit geſchnitzten Mammuth-
zähnen oder Renthierknochen roh-phantaſtiſch geſchmückt und mit
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[124/0134] IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. ſyſtematiſcher Conſequenz und an ſcheinbarer Unwiderleglichkeit beſon- ders dadurch, daß mehrere ganz neue, früher in ſelbſtändiger Exiſtenz nicht vorhanden geweſene Wiſſenſchaften durch die im Chor geeinigten Stimmen ihrer angeſeheneren Vertreter Zeugniß zu Gunſten der naturaliſtiſchen Auffaſſung abzulegen anfangen. Die allgemeine vergleichende Religionswiſſenſchaft thut dieß, beſonders ſofern die ſ. g. Fetiſchismus-Hypotheſe oder die Annahme eines Hervorgegan- genſeins ſämmtlicher poſitiven Religionen aus urſprünglichem Fetiſch- dienſte bei Vielen ihrer Vertreter Platz greift. Viele linguiſtiſche Forſcher und Sprachphiloſophen operiren in ähnlicher Richtung auf Grund ihrer Vorausſetzung eines Entſprungenſeins der ausgebil- deteren Sprachen aus thierartig rohen und elementaren naturnach- ahmenden Lauten, alſo vermöge ihrer „Wau-wau- oder Päh-päh- Theorien‟. Die ethnologiſch-archäologiſche und culturhiſtoriſche Forſch- ung reicht Waffen gegen die kirchliche Anſicht in Geſtalt einer unüberſehbaren Reihe von Geräthſchaften, Zierrathen, Ceremonien, Sitten und Gebräuchen der Völker dar, deren vergleichende Be- trachtung eher poly- als monogeniſtiſche Speculationen zu begünſtigen und zugleich mit der Ur-Einheit auch die Ur-Vollkommenheit und urſprüngliche Unſchuld des menſchlichen Geſchlechts in Frage zu ſtellen ſcheint. Und vollends die durch Cuviers comparativ-anato- miſche und paläontologiſche Entdeckungen angebahnte, nachgerade freilich in Widerſpruch mit den Annahmen dieſes großen Forſchers getretene vorhiſtoriſche Anthropologie, das jüngſte Kind des in Aus- geſtaltung immer neuer Wiſſensfächer unermüdlichen und unerſchöpf- lichen Forſchungsdranges unſres Jahrhunderts, ſcheint den Glauben an einen Urſtand in früherer Faſſung auf gefahrdrohende Weiſe zu erſchüttern. Der prähiſtoriſche Menſch, in Geſtalt foſſiler Skelet- fragmente und Schädeltrümmer aus ſeit Jahrtauſenden verſchütteten Gebirgshöhlen mühſam zu Tage gefördert, mit geſchnitzten Mammuth- zähnen oder Renthierknochen roh-phantaſtiſch geſchmückt und mit derben Kieſeläxten bewehrt, ſcheint der bibliſchen Paradieſes-Tradition ein ſteinerner Gaſt werden und das Feſthalten an den heiligen

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/134>, abgerufen am 21.11.2024.