Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.IV. Die Opposition des modernen Naturalismus. Leitung und Mithilfe beruhenden Ursprung der menschlichen Cultur.Die meisten Völker seien im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung von einer ursprünglich inne gehabten höheren Civilisationsstufe all- mählich herabgesunken. Beweis hiefür sei die Erfahrungsthatsache, "daß keine menschliche Gemeinschaft jemals anders, als durch den Beistand fremder Hilfe, aus dem Zustande völliger Barbarei zu einer mit Recht so zu nennenden Civilisation emporgestiegen sei." Wesentlich übereinstimmend mit dem oben erwähnten ähnlichen Satze Niebuhrs erklärte er: "Es gibt nachweislich keinen Fall, wo eigent- liche Wilde von jener aufs Tiefste gesunkenen Art, welche unsre Reisenden uns kennen lehren, irgendwo und irgendwann einmal durch eigne Kraft, ohne Unterweisung oder Beihilfe von bereits civilisirten Völkern, sich in einen Zustand der Civilisation erhoben hätten". -- Diesem auch sonst in Whatelys Schriften1) ausgesprochnen und an- gelegentlich vertheidigten Satze, der in der Negation selbständiger Civilisationsfähigkeit der sündigen Menschheit fast zu weit geht und mit der biblisch-urgeschichtlichen Darstellung (1 Mos. 4, 17 ff.) in Conflict zu gerathen droht, trat einige Zeit nach dem Tode des Erzbischofs, als bereits Darwin's und Wallace's Lehre von einem einheitlichen Ursprunge oder einer Blutsverwandtschaft sämmtlicher thierischer Organismen auf die englischen Naturforscherkreise ihre Einwirkung zu üben begonnen hatte, der gelehrte Jnsectenforscher und Archäologe Sir John Lubbock öffentlich gegenüber. Jn einem vor der Britischen Naturforscherversammlung zu Dundee 1867 ge- haltnen Vortrage über den Ursprung der menschlichen Civilisation suchte er Whatelys These zu entkräften, indem er ihr 1) Beispiele von einem selbständigen Sichemporarbeiten wilder Racen zu culti- virteren Zuständen (die Peruvianer als Cultivatoren des Llama, die Cherokesen, Mandans und andere nordamerikanische Jndianer- stämme, die Australier als Erfinder des Bumerang etc.), 2) Spuren ursprünglicher Wildheit bei jetzigen Culturnationen (z. B. den ger- manischen Völkern, etc.) und 3) Beweise für ein Stehengebliebensein 1) Vgl. z. B. seine Political Economy, p. 68.
IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. Leitung und Mithilfe beruhenden Urſprung der menſchlichen Cultur.Die meiſten Völker ſeien im Laufe ihrer geſchichtlichen Entwicklung von einer urſprünglich inne gehabten höheren Civiliſationsſtufe all- mählich herabgeſunken. Beweis hiefür ſei die Erfahrungsthatſache, „daß keine menſchliche Gemeinſchaft jemals anders, als durch den Beiſtand fremder Hilfe, aus dem Zuſtande völliger Barbarei zu einer mit Recht ſo zu nennenden Civiliſation emporgeſtiegen ſei.‟ Weſentlich übereinſtimmend mit dem oben erwähnten ähnlichen Satze Niebuhrs erklärte er: „Es gibt nachweislich keinen Fall, wo eigent- liche Wilde von jener aufs Tiefſte geſunkenen Art, welche unſre Reiſenden uns kennen lehren, irgendwo und irgendwann einmal durch eigne Kraft, ohne Unterweiſung oder Beihilfe von bereits civiliſirten Völkern, ſich in einen Zuſtand der Civiliſation erhoben hätten‟. — Dieſem auch ſonſt in Whatelys Schriften1) ausgeſprochnen und an- gelegentlich vertheidigten Satze, der in der Negation ſelbſtändiger Civiliſationsfähigkeit der ſündigen Menſchheit faſt zu weit geht und mit der bibliſch-urgeſchichtlichen Darſtellung (1 Moſ. 4, 17 ff.) in Conflict zu gerathen droht, trat einige Zeit nach dem Tode des Erzbiſchofs, als bereits Darwin’s und Wallace’s Lehre von einem einheitlichen Urſprunge oder einer Blutsverwandtſchaft ſämmtlicher thieriſcher Organismen auf die engliſchen Naturforſcherkreiſe ihre Einwirkung zu üben begonnen hatte, der gelehrte Jnſectenforſcher und Archäologe Sir John Lubbock öffentlich gegenüber. Jn einem vor der Britiſchen Naturforſcherverſammlung zu Dundee 1867 ge- haltnen Vortrage über den Urſprung der menſchlichen Civiliſation ſuchte er Whatelys Theſe zu entkräften, indem er ihr 1) Beiſpiele von einem ſelbſtändigen Sichemporarbeiten wilder Racen zu culti- virteren Zuſtänden (die Peruvianer als Cultivatoren des Llama, die Cherokeſen, Mandans und andere nordamerikaniſche Jndianer- ſtämme, die Auſtralier als Erfinder des Bumerang ꝛc.), 2) Spuren urſprünglicher Wildheit bei jetzigen Culturnationen (z. B. den ger- maniſchen Völkern, ꝛc.) und 3) Beweiſe für ein Stehengebliebenſein 1) Vgl. z. B. ſeine Political Economy, p. 68.
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IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
Leitung und Mithilfe beruhenden Urſprung der menſchlichen Cultur.
Die meiſten Völker ſeien im Laufe ihrer geſchichtlichen Entwicklung
von einer urſprünglich inne gehabten höheren Civiliſationsſtufe all-
mählich herabgeſunken. Beweis hiefür ſei die Erfahrungsthatſache,
„daß keine menſchliche Gemeinſchaft jemals anders, als durch den
Beiſtand fremder Hilfe, aus dem Zuſtande völliger Barbarei zu
einer mit Recht ſo zu nennenden Civiliſation emporgeſtiegen ſei.‟
Weſentlich übereinſtimmend mit dem oben erwähnten ähnlichen Satze
Niebuhrs erklärte er: „Es gibt nachweislich keinen Fall, wo eigent-
liche Wilde von jener aufs Tiefſte geſunkenen Art, welche unſre
Reiſenden uns kennen lehren, irgendwo und irgendwann einmal durch
eigne Kraft, ohne Unterweiſung oder Beihilfe von bereits civiliſirten
Völkern, ſich in einen Zuſtand der Civiliſation erhoben hätten‟. —
Dieſem auch ſonſt in Whatelys Schriften 1) ausgeſprochnen und an-
gelegentlich vertheidigten Satze, der in der Negation ſelbſtändiger
Civiliſationsfähigkeit der ſündigen Menſchheit faſt zu weit geht und
mit der bibliſch-urgeſchichtlichen Darſtellung (1 Moſ. 4, 17 ff.) in
Conflict zu gerathen droht, trat einige Zeit nach dem Tode des
Erzbiſchofs, als bereits Darwin’s und Wallace’s Lehre von einem
einheitlichen Urſprunge oder einer Blutsverwandtſchaft ſämmtlicher
thieriſcher Organismen auf die engliſchen Naturforſcherkreiſe ihre
Einwirkung zu üben begonnen hatte, der gelehrte Jnſectenforſcher
und Archäologe Sir John Lubbock öffentlich gegenüber. Jn einem
vor der Britiſchen Naturforſcherverſammlung zu Dundee 1867 ge-
haltnen Vortrage über den Urſprung der menſchlichen Civiliſation
ſuchte er Whatelys Theſe zu entkräften, indem er ihr 1) Beiſpiele
von einem ſelbſtändigen Sichemporarbeiten wilder Racen zu culti-
virteren Zuſtänden (die Peruvianer als Cultivatoren des Llama,
die Cherokeſen, Mandans und andere nordamerikaniſche Jndianer-
ſtämme, die Auſtralier als Erfinder des Bumerang ꝛc.), 2) Spuren
urſprünglicher Wildheit bei jetzigen Culturnationen (z. B. den ger-
maniſchen Völkern, ꝛc.) und 3) Beweiſe für ein Stehengebliebenſein
1) Vgl. z. B. ſeine Political Economy, p. 68.
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