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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen.
rohen Stein- und Knochenwerkzeuge der belgischen, französischen und
deutschen Höhlenfunde, darum weil man sie Menschen der s. g. Ren-
thierperiode beizulegen genöthigt ist, hinsichtlich der Zeit, aus welcher
sie herrühren, schon sicher fixirt genannt werden können. Diese Alters-
frage, über welche erst weiter unten specieller zu handeln sein wird,
ist für den Hauptpunkt, um welchen es sich hier handelt, von min-
der wesentlichem Belange. Es liegen übrigens, so viel mag schon
jetzt vorläufig constatirt werden, durchaus keine zwingenden Gründe
für die Annahme eines etwa nach Zehntausenden von Jahren zu
messenden Alters der betreffenden Geräthe und der mit ihnen bei-
sammen gefundenen menschlichen Skeletreste vor. Die Zurückführung
dieser Funde auf eine der biblischen Sintfluth entweder um einige
Jahrhunderte vorausgehende, oder auch ihr erst gefolgte Epoche,
mithin in eine Zeit wo theilweise und in andren Gegenden schon
vorgerücktere Culturzustände herrschten, leidet an keinen wesentlichen
Schwierigkeiten. Europas Steinzeit kann sehr wohl eine nur re-
lativ
vorhistorische gewesen, sie kann sehr leicht mit einer schon
mehr oder minder fortgeschrittenen Metallcultur südlicherer und öst-
licherer Länder gleichzeitig verlaufen sein.1)

Es besteht kein wirklicher Widerspruch zwischen der durch die
neuere Forschung erhärteten Annahme einer ursprünglichen Stein-
cultur und zwischen den Angaben der biblischen Urgeschichte. Nicht
die Kieseläxte der "prähistorischen Menschheit" drohen dem Para-

die Frage wegen des Alters und Ursprungs der mancherlei in Syrien und Pa-
lästina aufgefundnen Silex-Werkzeuge, insbesondere jener von Gilgal, worin
Guerin (Description de la Palestine, II, 1874) unmittelbar die Beschnei-
dungsmesser Josua's wiederkennen wollte, s. besonders Socin in Kautzsch
und Socin: Die Aechtheit der moabilischen Alterthümer, 1876, S. 21 ff.
1) Ueber Fraas und andere Vertheidiger eines Hineinreichens der s. g. Ren-
thierperiode Frankreichs und Deutschlands, sowie überhaupt des Schlußstadiums
der Eiszeit, in unsere geschichtliche Periode; deßgleichen über die neueren Gegner
der franzöfischen Distinction einer Mammuth- und einer Renthierzeit (Nehring,
Zittel, Ratzel etc.) s. weiter unten, sowie den Abschnitt über das Alter des Men-
schengeschlechts.

V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
rohen Stein- und Knochenwerkzeuge der belgiſchen, franzöſiſchen und
deutſchen Höhlenfunde, darum weil man ſie Menſchen der ſ. g. Ren-
thierperiode beizulegen genöthigt iſt, hinſichtlich der Zeit, aus welcher
ſie herrühren, ſchon ſicher fixirt genannt werden können. Dieſe Alters-
frage, über welche erſt weiter unten ſpecieller zu handeln ſein wird,
iſt für den Hauptpunkt, um welchen es ſich hier handelt, von min-
der weſentlichem Belange. Es liegen übrigens, ſo viel mag ſchon
jetzt vorläufig conſtatirt werden, durchaus keine zwingenden Gründe
für die Annahme eines etwa nach Zehntauſenden von Jahren zu
meſſenden Alters der betreffenden Geräthe und der mit ihnen bei-
ſammen gefundenen menſchlichen Skeletreſte vor. Die Zurückführung
dieſer Funde auf eine der bibliſchen Sintfluth entweder um einige
Jahrhunderte vorausgehende, oder auch ihr erſt gefolgte Epoche,
mithin in eine Zeit wo theilweiſe und in andren Gegenden ſchon
vorgerücktere Culturzuſtände herrſchten, leidet an keinen weſentlichen
Schwierigkeiten. Europas Steinzeit kann ſehr wohl eine nur re-
lativ
vorhiſtoriſche geweſen, ſie kann ſehr leicht mit einer ſchon
mehr oder minder fortgeſchrittenen Metallcultur ſüdlicherer und öſt-
licherer Länder gleichzeitig verlaufen ſein.1)

Es beſteht kein wirklicher Widerſpruch zwiſchen der durch die
neuere Forſchung erhärteten Annahme einer urſprünglichen Stein-
cultur und zwiſchen den Angaben der bibliſchen Urgeſchichte. Nicht
die Kieſeläxte der „prähiſtoriſchen Menſchheit‟ drohen dem Para-

die Frage wegen des Alters und Urſprungs der mancherlei in Syrien und Pa-
läſtina aufgefundnen Silex-Werkzeuge, insbeſondere jener von Gilgal, worin
Guérin (Description de la Paléstine, II, 1874) unmittelbar die Beſchnei-
dungsmeſſer Joſua’s wiederkennen wollte, ſ. beſonders Socin in Kautzſch
und Socin: Die Aechtheit der moabiliſchen Alterthümer, 1876, S. 21 ff.
1) Ueber Fraas und andere Vertheidiger eines Hineinreichens der ſ. g. Ren-
thierperiode Frankreichs und Deutſchlands, ſowie überhaupt des Schlußſtadiums
der Eiszeit, in unſere geſchichtliche Periode; deßgleichen über die neueren Gegner
der franzöfiſchen Diſtinction einer Mammuth- und einer Renthierzeit (Nehring,
Zittel, Ratzel ꝛc.) ſ. weiter unten, ſowie den Abſchnitt über das Alter des Men-
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[156/0166] V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. rohen Stein- und Knochenwerkzeuge der belgiſchen, franzöſiſchen und deutſchen Höhlenfunde, darum weil man ſie Menſchen der ſ. g. Ren- thierperiode beizulegen genöthigt iſt, hinſichtlich der Zeit, aus welcher ſie herrühren, ſchon ſicher fixirt genannt werden können. Dieſe Alters- frage, über welche erſt weiter unten ſpecieller zu handeln ſein wird, iſt für den Hauptpunkt, um welchen es ſich hier handelt, von min- der weſentlichem Belange. Es liegen übrigens, ſo viel mag ſchon jetzt vorläufig conſtatirt werden, durchaus keine zwingenden Gründe für die Annahme eines etwa nach Zehntauſenden von Jahren zu meſſenden Alters der betreffenden Geräthe und der mit ihnen bei- ſammen gefundenen menſchlichen Skeletreſte vor. Die Zurückführung dieſer Funde auf eine der bibliſchen Sintfluth entweder um einige Jahrhunderte vorausgehende, oder auch ihr erſt gefolgte Epoche, mithin in eine Zeit wo theilweiſe und in andren Gegenden ſchon vorgerücktere Culturzuſtände herrſchten, leidet an keinen weſentlichen Schwierigkeiten. Europas Steinzeit kann ſehr wohl eine nur re- lativ vorhiſtoriſche geweſen, ſie kann ſehr leicht mit einer ſchon mehr oder minder fortgeſchrittenen Metallcultur ſüdlicherer und öſt- licherer Länder gleichzeitig verlaufen ſein. 1) Es beſteht kein wirklicher Widerſpruch zwiſchen der durch die neuere Forſchung erhärteten Annahme einer urſprünglichen Stein- cultur und zwiſchen den Angaben der bibliſchen Urgeſchichte. Nicht die Kieſeläxte der „prähiſtoriſchen Menſchheit‟ drohen dem Para- 2) 1) Ueber Fraas und andere Vertheidiger eines Hineinreichens der ſ. g. Ren- thierperiode Frankreichs und Deutſchlands, ſowie überhaupt des Schlußſtadiums der Eiszeit, in unſere geſchichtliche Periode; deßgleichen über die neueren Gegner der franzöfiſchen Diſtinction einer Mammuth- und einer Renthierzeit (Nehring, Zittel, Ratzel ꝛc.) ſ. weiter unten, ſowie den Abſchnitt über das Alter des Men- ſchengeſchlechts. 2) die Frage wegen des Alters und Urſprungs der mancherlei in Syrien und Pa- läſtina aufgefundnen Silex-Werkzeuge, insbeſondere jener von Gilgal, worin Guérin (Description de la Paléstine, II, 1874) unmittelbar die Beſchnei- dungsmeſſer Joſua’s wiederkennen wollte, ſ. beſonders Socin in Kautzſch und Socin: Die Aechtheit der moabiliſchen Alterthümer, 1876, S. 21 ff.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/166>, abgerufen am 21.11.2024.