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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
vor Augen. Die alljährliche Erneuerung des Grüns der Saatfelder,
die sich häutenden Schlangen, die ihr Geweih zeitweilig abwerfenden
und verjüngenden Hirsche, die ihr Gefieder wechselnden Vögel, der
verjüngt aus seiner Asche hervorgehende Phönix, die einander ab-
lösenden Phasen der Himmelslichter: dieß alles sind sichtbare Bürg-
schaften für ein Wiedereingehen des dem Tode verfallenen Menschen
zu neuem Leben, tröstliche Zeichen von der Treue Dessen, der nicht
ewiglich hadern, nicht immerdar zürnen wird. -- Bei Cl. Marius
Victor sieht man die Betrachtung über das Loos der aus Eden
Vertriebenen eine mehr naturalistische Wendung nehmen. Was die
Gefallenen, nachdem sie Gottes Fluch vernommen, aus dem Garten
hinaustreibt, ist nicht ein Engel mit dem Feuerschwerte, sondern ein
Sturmwind, der zuerst die Wipfel der Bäume des heiligen Haines
heftig bewegt, dann das schuldige Paar mit gewaltigem Wirbel
erfaßt und unaufhaltsam hinausstößt! Ein Zustand hilflosesten Elends
aber auch barbarischer Rohheit für die auf der unbebauten und
einsamen Erde Umherirrenden beginnt nun, -- bis ein inbrünstiges
Gebet Adams an den unsichtbar gewordenen Schöpfer Hilfe schafft
und den Anfang einer besseren Zeit herbeiführt. Dieß geschieht
freilich mittelst einer merkwürdigen Krisis, nicht ohne Kampf und
Arbeit für die Gefährdeten. Eine böse Schlange raschelt nemlich,
während Adam noch betet, neben Eva im Grase; auf des Weibes
Rath wirft Adam dem rasch unter einen Fels schlüpfenden Gewürm
einen Stein nach. Da sprüht den Ueberraschten aus dem vom
Stein getroffenen Felsen plötzlich ein Feuerfunke entgegen, der durch
Entzündung des umgebenden Grases einen Waldbrand erzeugt. Das
Feuer greift mächtig um sich und verschafft den noch auf unterster
Culturstufe stehenden Erdenherrschern Kenntniß nicht nur von son-
stigen wohlthätigen Wirkungen der geheimnißvollen Himmelskraft,
sondern sofort auch schon vom metallschmelzenden Vermögen ihrer
Gluthen, da diese Bächlein geschmolzenen Goldes, Silbers und Erzes
einher rinnen machen. Eine seltsame altchristliche Version der Pro-
metheussage in der That! Sie weist zurück auf Lucrezische Schil-

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
vor Augen. Die alljährliche Erneuerung des Grüns der Saatfelder,
die ſich häutenden Schlangen, die ihr Geweih zeitweilig abwerfenden
und verjüngenden Hirſche, die ihr Gefieder wechſelnden Vögel, der
verjüngt aus ſeiner Aſche hervorgehende Phönix, die einander ab-
löſenden Phaſen der Himmelslichter: dieß alles ſind ſichtbare Bürg-
ſchaften für ein Wiedereingehen des dem Tode verfallenen Menſchen
zu neuem Leben, tröſtliche Zeichen von der Treue Deſſen, der nicht
ewiglich hadern, nicht immerdar zürnen wird. — Bei Cl. Marius
Victor ſieht man die Betrachtung über das Loos der aus Eden
Vertriebenen eine mehr naturaliſtiſche Wendung nehmen. Was die
Gefallenen, nachdem ſie Gottes Fluch vernommen, aus dem Garten
hinaustreibt, iſt nicht ein Engel mit dem Feuerſchwerte, ſondern ein
Sturmwind, der zuerſt die Wipfel der Bäume des heiligen Haines
heftig bewegt, dann das ſchuldige Paar mit gewaltigem Wirbel
erfaßt und unaufhaltſam hinausſtößt! Ein Zuſtand hilfloſeſten Elends
aber auch barbariſcher Rohheit für die auf der unbebauten und
einſamen Erde Umherirrenden beginnt nun, — bis ein inbrünſtiges
Gebet Adams an den unſichtbar gewordenen Schöpfer Hilfe ſchafft
und den Anfang einer beſſeren Zeit herbeiführt. Dieß geſchieht
freilich mittelſt einer merkwürdigen Kriſis, nicht ohne Kampf und
Arbeit für die Gefährdeten. Eine böſe Schlange raſchelt nemlich,
während Adam noch betet, neben Eva im Graſe; auf des Weibes
Rath wirft Adam dem raſch unter einen Fels ſchlüpfenden Gewürm
einen Stein nach. Da ſprüht den Ueberraſchten aus dem vom
Stein getroffenen Felſen plötzlich ein Feuerfunke entgegen, der durch
Entzündung des umgebenden Graſes einen Waldbrand erzeugt. Das
Feuer greift mächtig um ſich und verſchafft den noch auf unterſter
Culturſtufe ſtehenden Erdenherrſchern Kenntniß nicht nur von ſon-
ſtigen wohlthätigen Wirkungen der geheimnißvollen Himmelskraft,
ſondern ſofort auch ſchon vom metallſchmelzenden Vermögen ihrer
Gluthen, da dieſe Bächlein geſchmolzenen Goldes, Silbers und Erzes
einher rinnen machen. Eine ſeltſame altchriſtliche Verſion der Pro-
metheusſage in der That! Sie weiſt zurück auf Lucreziſche Schil-

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[46/0056] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. vor Augen. Die alljährliche Erneuerung des Grüns der Saatfelder, die ſich häutenden Schlangen, die ihr Geweih zeitweilig abwerfenden und verjüngenden Hirſche, die ihr Gefieder wechſelnden Vögel, der verjüngt aus ſeiner Aſche hervorgehende Phönix, die einander ab- löſenden Phaſen der Himmelslichter: dieß alles ſind ſichtbare Bürg- ſchaften für ein Wiedereingehen des dem Tode verfallenen Menſchen zu neuem Leben, tröſtliche Zeichen von der Treue Deſſen, der nicht ewiglich hadern, nicht immerdar zürnen wird. — Bei Cl. Marius Victor ſieht man die Betrachtung über das Loos der aus Eden Vertriebenen eine mehr naturaliſtiſche Wendung nehmen. Was die Gefallenen, nachdem ſie Gottes Fluch vernommen, aus dem Garten hinaustreibt, iſt nicht ein Engel mit dem Feuerſchwerte, ſondern ein Sturmwind, der zuerſt die Wipfel der Bäume des heiligen Haines heftig bewegt, dann das ſchuldige Paar mit gewaltigem Wirbel erfaßt und unaufhaltſam hinausſtößt! Ein Zuſtand hilfloſeſten Elends aber auch barbariſcher Rohheit für die auf der unbebauten und einſamen Erde Umherirrenden beginnt nun, — bis ein inbrünſtiges Gebet Adams an den unſichtbar gewordenen Schöpfer Hilfe ſchafft und den Anfang einer beſſeren Zeit herbeiführt. Dieß geſchieht freilich mittelſt einer merkwürdigen Kriſis, nicht ohne Kampf und Arbeit für die Gefährdeten. Eine böſe Schlange raſchelt nemlich, während Adam noch betet, neben Eva im Graſe; auf des Weibes Rath wirft Adam dem raſch unter einen Fels ſchlüpfenden Gewürm einen Stein nach. Da ſprüht den Ueberraſchten aus dem vom Stein getroffenen Felſen plötzlich ein Feuerfunke entgegen, der durch Entzündung des umgebenden Graſes einen Waldbrand erzeugt. Das Feuer greift mächtig um ſich und verſchafft den noch auf unterſter Culturſtufe ſtehenden Erdenherrſchern Kenntniß nicht nur von ſon- ſtigen wohlthätigen Wirkungen der geheimnißvollen Himmelskraft, ſondern ſofort auch ſchon vom metallſchmelzenden Vermögen ihrer Gluthen, da dieſe Bächlein geſchmolzenen Goldes, Silbers und Erzes einher rinnen machen. Eine ſeltſame altchriſtliche Verſion der Pro- metheusſage in der That! Sie weiſt zurück auf Lucreziſche Schil-

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/56>, abgerufen am 21.11.2024.