Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
derungen, klingt aber zugleich an apokryphische Züge christlich- und
jüdisch-mittelaltriger, ja muhammedanischer Adamssagen an; so an
jene auf das angebliche Offenbarungszeugniß eines Märtyrers Me-
thodius gestützte Legende bei Comestor, welche Adams und Evas
15jähriges thränenreiches Elend nach der Vertreibung aus dem
Paradiese beschreibt, und mehr noch an die arabische Sage, welche
die längere Zeit getrennt gewesenen Protoplasten -- Adam, nachdem
er in Jndien, Eva, nachdem sie in Arabien in der Gegend von
Mekka umhergeirrt -- einander letztlich am Berge Arapha wieder-
finden läßt, u. s. f.1)

Eine besonders bemerkenswerthe Reihe hiehergehöriger Specu-
lationen knüpft an die bliblischen Nachrichten von den langlebigen
Patriarchen
zwischen der Schöpfung und Sintfluth an. Vor
Allen Henoch, der dem Tode ganz Entnommene, aber auch die
übrigen dieser Makrobier von Adam bis auf Noah sind begreif-
licherweise als bedeutsame Belege für die Annahme eines längeren
Nachwirkens paradiesischer Kräfte in der Entwicklung des gefallenen
Menschengeschlechts vielfach ins Auge gefaßt worden. Lag es doch
nahe genug, ihre nahezu tausendjährigen Lebensalter aus der noch
nicht in voller Kraft wirksam gewordenen Beschaffenheit des erb-
sündlichen Verderbens im frühesten menschheitlichen Entwicklungs-
stadium herzuleiten, also gewissermaaßen ein Stück langsam ver-
witternder paradiesischer Urkraft, eine Annäherung an die dem
Menschen uranfänglich zugedacht gewesene Unsterblichkeit darin zu
erblicken. Schon Augustinus hat ziemlich breite Betrachtungen über
diesen Gegenstand angestellt, die sich freilich vom Abirren ins
Aeußerliche und Ungesunde keineswegs ganz frei halten. Er erörtert
u. a. die Frage, ob mit den nach Jahrhunderten zählenden Lebens-
altern auch eine Riesengröße der Leiber dieser Patriarchen verbunden
gewesen sei, für welche Annahme er sich übrigens nicht bestimmt

1) Wegen Dracontius und M. Victors s. m. Geschichte der Beziehungen,
S. 260. 263. -- Vgl. Petr. Comestors Hist. scholastica (ebendas. S. 420),
sowie Calmet, Comment. literal. in Genes. 3, 24.

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
derungen, klingt aber zugleich an apokryphiſche Züge chriſtlich- und
jüdiſch-mittelaltriger, ja muhammedaniſcher Adamsſagen an; ſo an
jene auf das angebliche Offenbarungszeugniß eines Märtyrers Me-
thodius geſtützte Legende bei Comeſtor, welche Adams und Evas
15jähriges thränenreiches Elend nach der Vertreibung aus dem
Paradieſe beſchreibt, und mehr noch an die arabiſche Sage, welche
die längere Zeit getrennt geweſenen Protoplaſten — Adam, nachdem
er in Jndien, Eva, nachdem ſie in Arabien in der Gegend von
Mekka umhergeirrt — einander letztlich am Berge Arapha wieder-
finden läßt, u. ſ. f.1)

Eine beſonders bemerkenswerthe Reihe hiehergehöriger Specu-
lationen knüpft an die blibliſchen Nachrichten von den langlebigen
Patriarchen
zwiſchen der Schöpfung und Sintfluth an. Vor
Allen Henoch, der dem Tode ganz Entnommene, aber auch die
übrigen dieſer Makrobier von Adam bis auf Noah ſind begreif-
licherweiſe als bedeutſame Belege für die Annahme eines längeren
Nachwirkens paradieſiſcher Kräfte in der Entwicklung des gefallenen
Menſchengeſchlechts vielfach ins Auge gefaßt worden. Lag es doch
nahe genug, ihre nahezu tauſendjährigen Lebensalter aus der noch
nicht in voller Kraft wirkſam gewordenen Beſchaffenheit des erb-
ſündlichen Verderbens im früheſten menſchheitlichen Entwicklungs-
ſtadium herzuleiten, alſo gewiſſermaaßen ein Stück langſam ver-
witternder paradieſiſcher Urkraft, eine Annäherung an die dem
Menſchen uranfänglich zugedacht geweſene Unſterblichkeit darin zu
erblicken. Schon Auguſtinus hat ziemlich breite Betrachtungen über
dieſen Gegenſtand angeſtellt, die ſich freilich vom Abirren ins
Aeußerliche und Ungeſunde keineswegs ganz frei halten. Er erörtert
u. a. die Frage, ob mit den nach Jahrhunderten zählenden Lebens-
altern auch eine Rieſengröße der Leiber dieſer Patriarchen verbunden
geweſen ſei, für welche Annahme er ſich übrigens nicht beſtimmt

1) Wegen Dracontius und M. Victors ſ. m. Geſchichte der Beziehungen,
S. 260. 263. — Vgl. Petr. Comeſtors Hist. scholastica (ebendaſ. S. 420),
ſowie Calmet, Comment. literal. in Genes. 3, 24.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0057" n="47"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Ur&#x017F;tand nach kirchlicher Ueberlieferung.</fw><lb/>
derungen, klingt aber zugleich an apokryphi&#x017F;che Züge chri&#x017F;tlich- und<lb/>
jüdi&#x017F;ch-mittelaltriger, ja muhammedani&#x017F;cher Adams&#x017F;agen an; &#x017F;o an<lb/>
jene auf das angebliche Offenbarungszeugniß eines Märtyrers Me-<lb/>
thodius ge&#x017F;tützte Legende bei Come&#x017F;tor, welche Adams und Evas<lb/>
15jähriges thränenreiches Elend nach der Vertreibung aus dem<lb/>
Paradie&#x017F;e be&#x017F;chreibt, und mehr noch an die arabi&#x017F;che Sage, welche<lb/>
die längere Zeit getrennt gewe&#x017F;enen Protopla&#x017F;ten &#x2014; Adam, nachdem<lb/>
er in Jndien, Eva, nachdem &#x017F;ie in Arabien in der Gegend von<lb/>
Mekka umhergeirrt &#x2014; einander letztlich am Berge Arapha wieder-<lb/>
finden läßt, u. &#x017F;. f.<note place="foot" n="1)">Wegen Dracontius und M. Victors &#x017F;. m. Ge&#x017F;chichte der Beziehungen,<lb/>
S. 260. 263. &#x2014; Vgl. Petr. Come&#x017F;tors <hi rendition="#aq">Hist. scholastica</hi> (ebenda&#x017F;. S. 420),<lb/>
&#x017F;owie Calmet, <hi rendition="#aq">Comment. literal. in Genes.</hi> 3, 24.</note></p><lb/>
        <p>Eine be&#x017F;onders bemerkenswerthe Reihe hiehergehöriger Specu-<lb/>
lationen knüpft an die blibli&#x017F;chen Nachrichten von den <hi rendition="#g">langlebigen<lb/>
Patriarchen</hi> zwi&#x017F;chen der Schöpfung und Sintfluth an. Vor<lb/>
Allen Henoch, der dem Tode ganz Entnommene, aber auch die<lb/>
übrigen die&#x017F;er Makrobier von Adam bis auf Noah &#x017F;ind begreif-<lb/>
licherwei&#x017F;e als bedeut&#x017F;ame Belege für die Annahme eines längeren<lb/>
Nachwirkens paradie&#x017F;i&#x017F;cher Kräfte in der Entwicklung des gefallenen<lb/>
Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts vielfach ins Auge gefaßt worden. Lag es doch<lb/>
nahe genug, ihre nahezu tau&#x017F;endjährigen Lebensalter aus der noch<lb/>
nicht in voller Kraft wirk&#x017F;am gewordenen Be&#x017F;chaffenheit des erb-<lb/>
&#x017F;ündlichen Verderbens im frühe&#x017F;ten men&#x017F;chheitlichen Entwicklungs-<lb/>
&#x017F;tadium herzuleiten, al&#x017F;o gewi&#x017F;&#x017F;ermaaßen ein Stück lang&#x017F;am ver-<lb/>
witternder paradie&#x017F;i&#x017F;cher Urkraft, eine Annäherung an die dem<lb/>
Men&#x017F;chen uranfänglich zugedacht gewe&#x017F;ene Un&#x017F;terblichkeit darin zu<lb/>
erblicken. Schon Augu&#x017F;tinus hat ziemlich breite Betrachtungen über<lb/>
die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand ange&#x017F;tellt, die &#x017F;ich freilich vom Abirren ins<lb/>
Aeußerliche und Unge&#x017F;unde keineswegs ganz frei halten. Er erörtert<lb/>
u. a. die Frage, ob mit den nach Jahrhunderten zählenden Lebens-<lb/>
altern auch eine Rie&#x017F;engröße der Leiber die&#x017F;er Patriarchen verbunden<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;ei, für welche Annahme er &#x017F;ich übrigens nicht be&#x017F;timmt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0057] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. derungen, klingt aber zugleich an apokryphiſche Züge chriſtlich- und jüdiſch-mittelaltriger, ja muhammedaniſcher Adamsſagen an; ſo an jene auf das angebliche Offenbarungszeugniß eines Märtyrers Me- thodius geſtützte Legende bei Comeſtor, welche Adams und Evas 15jähriges thränenreiches Elend nach der Vertreibung aus dem Paradieſe beſchreibt, und mehr noch an die arabiſche Sage, welche die längere Zeit getrennt geweſenen Protoplaſten — Adam, nachdem er in Jndien, Eva, nachdem ſie in Arabien in der Gegend von Mekka umhergeirrt — einander letztlich am Berge Arapha wieder- finden läßt, u. ſ. f. 1) Eine beſonders bemerkenswerthe Reihe hiehergehöriger Specu- lationen knüpft an die blibliſchen Nachrichten von den langlebigen Patriarchen zwiſchen der Schöpfung und Sintfluth an. Vor Allen Henoch, der dem Tode ganz Entnommene, aber auch die übrigen dieſer Makrobier von Adam bis auf Noah ſind begreif- licherweiſe als bedeutſame Belege für die Annahme eines längeren Nachwirkens paradieſiſcher Kräfte in der Entwicklung des gefallenen Menſchengeſchlechts vielfach ins Auge gefaßt worden. Lag es doch nahe genug, ihre nahezu tauſendjährigen Lebensalter aus der noch nicht in voller Kraft wirkſam gewordenen Beſchaffenheit des erb- ſündlichen Verderbens im früheſten menſchheitlichen Entwicklungs- ſtadium herzuleiten, alſo gewiſſermaaßen ein Stück langſam ver- witternder paradieſiſcher Urkraft, eine Annäherung an die dem Menſchen uranfänglich zugedacht geweſene Unſterblichkeit darin zu erblicken. Schon Auguſtinus hat ziemlich breite Betrachtungen über dieſen Gegenſtand angeſtellt, die ſich freilich vom Abirren ins Aeußerliche und Ungeſunde keineswegs ganz frei halten. Er erörtert u. a. die Frage, ob mit den nach Jahrhunderten zählenden Lebens- altern auch eine Rieſengröße der Leiber dieſer Patriarchen verbunden geweſen ſei, für welche Annahme er ſich übrigens nicht beſtimmt 1) Wegen Dracontius und M. Victors ſ. m. Geſchichte der Beziehungen, S. 260. 263. — Vgl. Petr. Comeſtors Hist. scholastica (ebendaſ. S. 420), ſowie Calmet, Comment. literal. in Genes. 3, 24.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/57
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/57>, abgerufen am 21.11.2024.