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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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II. Die Schriftlehre vom Urstande.
historisch-anthropologischen Forschung wie die, daß eine Steinzeit der
Epoche der Metallverarbeitung überall vorausgegangen, oder auch
wie die jüngst von einem Vertreter jener Wissenschaft als besonders
brillante und einleuchtende Ergebnisse derselben gerühmten: "daß
das Musik-Jnstrument aus der schwirrenden Saite entstanden ist,
die den Pfeil abschoß, und daß ein durchbohrter Röhrenknochen die
erste Flöte war",1) sind dem, was die Bibel von den Anfängen
menschlichen Culturlebens lehrt, keineswegs principiell entgegen. Ja
Manches von dem in ihr über solche Dinge Ueberlieferten nimmt
sich innerlich glaubwürdiger und gesünder aus, als gewisse traditio-
nelle Lieblingsannahmen moderner Archäologen, z. B. als jene
Bronze- und Eisenalter-Speculationen der skandinavischen Forscher,
deren Einflusse erst neuestens die deutsche Wissenschaft sich zu ent-
winden begonnen hat. -- Jmmerhin finden sich der Erinnerungen
an diese urgeschichtlichen Momente verhältnißmäßig nur wenige in
das biblische Gemälde von den Anfängen menschlicher Geschichte mit
aufgenommen. Die Rückschau auf den verlornen Unschuldsstand
überwiegt naturgemäß das Jnteresse an der vorwärts strebenden
Entwicklung auf den äußeren Lebensgebieten; die h. Schrift ist Ur-
kunde nicht der allgemeinen Culturgeschichte, sondern der religiösen
Offenbarungsgeschichte.

Kann aber dieses so stark in ihr vorwaltende degradationistische
Element vor den Enthüllungen der neueren Wissenschaft bestehen?
Sind wir angesichts der Fülle von steinernen und versteinerten,
von ehernen, eisernen, thönernen, hölzernen Belegen für die aus-
schließliche Herrschaft evolutionistischer Lebensgesetze in der Urzeit,
welche unsre Archäologen und Ethnologen vor uns ausbreiten,
genöthigt, unsren Glauben an eine untergegangene Paradiesesglorie
und an einen noch lange sichtbar gewesenen patriarchalischen Nach-
glanz derselben als einen schönen Jugendtraum preiszugeben?
Müssen wir uns, gezwungen durch jene Evidenzen, zur Mythen-

1) Schaaffhausen, in s. Eröffnungsrede bei der Kieler Anthropologen-
Versammlung. 1878 (s. die Verh., herausg. von J. Ranke, S. 86).

II. Die Schriftlehre vom Urſtande.
hiſtoriſch-anthropologiſchen Forſchung wie die, daß eine Steinzeit der
Epoche der Metallverarbeitung überall vorausgegangen, oder auch
wie die jüngſt von einem Vertreter jener Wiſſenſchaft als beſonders
brillante und einleuchtende Ergebniſſe derſelben gerühmten: „daß
das Muſik-Jnſtrument aus der ſchwirrenden Saite entſtanden iſt,
die den Pfeil abſchoß, und daß ein durchbohrter Röhrenknochen die
erſte Flöte war‟,1) ſind dem, was die Bibel von den Anfängen
menſchlichen Culturlebens lehrt, keineswegs principiell entgegen. Ja
Manches von dem in ihr über ſolche Dinge Ueberlieferten nimmt
ſich innerlich glaubwürdiger und geſünder aus, als gewiſſe traditio-
nelle Lieblingsannahmen moderner Archäologen, z. B. als jene
Bronze- und Eiſenalter-Speculationen der ſkandinaviſchen Forſcher,
deren Einfluſſe erſt neueſtens die deutſche Wiſſenſchaft ſich zu ent-
winden begonnen hat. — Jmmerhin finden ſich der Erinnerungen
an dieſe urgeſchichtlichen Momente verhältnißmäßig nur wenige in
das bibliſche Gemälde von den Anfängen menſchlicher Geſchichte mit
aufgenommen. Die Rückſchau auf den verlornen Unſchuldsſtand
überwiegt naturgemäß das Jntereſſe an der vorwärts ſtrebenden
Entwicklung auf den äußeren Lebensgebieten; die h. Schrift iſt Ur-
kunde nicht der allgemeinen Culturgeſchichte, ſondern der religiöſen
Offenbarungsgeſchichte.

Kann aber dieſes ſo ſtark in ihr vorwaltende degradationiſtiſche
Element vor den Enthüllungen der neueren Wiſſenſchaft beſtehen?
Sind wir angeſichts der Fülle von ſteinernen und verſteinerten,
von ehernen, eiſernen, thönernen, hölzernen Belegen für die aus-
ſchließliche Herrſchaft evolutioniſtiſcher Lebensgeſetze in der Urzeit,
welche unſre Archäologen und Ethnologen vor uns ausbreiten,
genöthigt, unſren Glauben an eine untergegangene Paradieſesglorie
und an einen noch lange ſichtbar geweſenen patriarchaliſchen Nach-
glanz derſelben als einen ſchönen Jugendtraum preiszugeben?
Müſſen wir uns, gezwungen durch jene Evidenzen, zur Mythen-

1) Schaaffhauſen, in ſ. Eröffnungsrede bei der Kieler Anthropologen-
Verſammlung. 1878 (ſ. die Verh., herausg. von J. Ranke, S. 86).
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[82/0092] II. Die Schriftlehre vom Urſtande. hiſtoriſch-anthropologiſchen Forſchung wie die, daß eine Steinzeit der Epoche der Metallverarbeitung überall vorausgegangen, oder auch wie die jüngſt von einem Vertreter jener Wiſſenſchaft als beſonders brillante und einleuchtende Ergebniſſe derſelben gerühmten: „daß das Muſik-Jnſtrument aus der ſchwirrenden Saite entſtanden iſt, die den Pfeil abſchoß, und daß ein durchbohrter Röhrenknochen die erſte Flöte war‟, 1) ſind dem, was die Bibel von den Anfängen menſchlichen Culturlebens lehrt, keineswegs principiell entgegen. Ja Manches von dem in ihr über ſolche Dinge Ueberlieferten nimmt ſich innerlich glaubwürdiger und geſünder aus, als gewiſſe traditio- nelle Lieblingsannahmen moderner Archäologen, z. B. als jene Bronze- und Eiſenalter-Speculationen der ſkandinaviſchen Forſcher, deren Einfluſſe erſt neueſtens die deutſche Wiſſenſchaft ſich zu ent- winden begonnen hat. — Jmmerhin finden ſich der Erinnerungen an dieſe urgeſchichtlichen Momente verhältnißmäßig nur wenige in das bibliſche Gemälde von den Anfängen menſchlicher Geſchichte mit aufgenommen. Die Rückſchau auf den verlornen Unſchuldsſtand überwiegt naturgemäß das Jntereſſe an der vorwärts ſtrebenden Entwicklung auf den äußeren Lebensgebieten; die h. Schrift iſt Ur- kunde nicht der allgemeinen Culturgeſchichte, ſondern der religiöſen Offenbarungsgeſchichte. Kann aber dieſes ſo ſtark in ihr vorwaltende degradationiſtiſche Element vor den Enthüllungen der neueren Wiſſenſchaft beſtehen? Sind wir angeſichts der Fülle von ſteinernen und verſteinerten, von ehernen, eiſernen, thönernen, hölzernen Belegen für die aus- ſchließliche Herrſchaft evolutioniſtiſcher Lebensgeſetze in der Urzeit, welche unſre Archäologen und Ethnologen vor uns ausbreiten, genöthigt, unſren Glauben an eine untergegangene Paradieſesglorie und an einen noch lange ſichtbar geweſenen patriarchaliſchen Nach- glanz derſelben als einen ſchönen Jugendtraum preiszugeben? Müſſen wir uns, gezwungen durch jene Evidenzen, zur Mythen- 1) Schaaffhauſen, in ſ. Eröffnungsrede bei der Kieler Anthropologen- Verſammlung. 1878 (ſ. die Verh., herausg. von J. Ranke, S. 86).

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/92>, abgerufen am 21.11.2024.