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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Franzosen überglänzen. Er suchte sich in Herbesheim den geschicktesten Schneider und das hübscheste Mädchen, um es zum Ball zu führen. Beides fand er unter einerlei Dach beisammen. Meister Vogel war der beste Schneider, welcher sogleich die Vorzeichnungen des Grafen verstand, und seine Tochter Henriette in der ersten Blüte ihrer Reize, die den Grafen bald mehr, als sie sollten, bezauberten.

Der Graf fehlte nur selten im Hause des Meisters. Er hatte beständig nachzusehen, damit nichts verdorben würde. Besonders hatte er der fleißigen Henriette bei ihrer Arbeit viel zu erinnern. Auch ein Paar köstliche weibliche Anzüge ließ er verfertigen für den Maskenball, die mußte Henriette nicht nur nähen, sondern der Vater ihr auch nach ihrem eigenen Körper anmessen, weil der Graf sagte, daß ein Fräulein von einem benachbarten Edelsitze, welches er zum Ball führen würde, vollkommen Henriettens schlanke Gestalt habe. Dabei war er sehr freigebig; bloß die kleinen Geschenke, die er machte, waren zuletzt so viel werth, als der wirklich bedungene Arbeitslohn. Daß Henriette die ausgewähltesten Geschenke bekam, verstand sich von selbst, und daß er ihr, wenn er sie allein traf, viel Schmeichelhaftes über ihre Schönheit sagte, ja zuletzt sogar von Liebe sprach, war bei seiner Leidenschaft vorauszusehen. Henriette mochte nun freilich von diesen Zärtlichkeiten nichts hören, denn sie war ein ehrbares Mädchen und noch überdies schon mit einem Gesellen ihres Vaters

Franzosen überglänzen. Er suchte sich in Herbesheim den geschicktesten Schneider und das hübscheste Mädchen, um es zum Ball zu führen. Beides fand er unter einerlei Dach beisammen. Meister Vogel war der beste Schneider, welcher sogleich die Vorzeichnungen des Grafen verstand, und seine Tochter Henriette in der ersten Blüte ihrer Reize, die den Grafen bald mehr, als sie sollten, bezauberten.

Der Graf fehlte nur selten im Hause des Meisters. Er hatte beständig nachzusehen, damit nichts verdorben würde. Besonders hatte er der fleißigen Henriette bei ihrer Arbeit viel zu erinnern. Auch ein Paar köstliche weibliche Anzüge ließ er verfertigen für den Maskenball, die mußte Henriette nicht nur nähen, sondern der Vater ihr auch nach ihrem eigenen Körper anmessen, weil der Graf sagte, daß ein Fräulein von einem benachbarten Edelsitze, welches er zum Ball führen würde, vollkommen Henriettens schlanke Gestalt habe. Dabei war er sehr freigebig; bloß die kleinen Geschenke, die er machte, waren zuletzt so viel werth, als der wirklich bedungene Arbeitslohn. Daß Henriette die ausgewähltesten Geschenke bekam, verstand sich von selbst, und daß er ihr, wenn er sie allein traf, viel Schmeichelhaftes über ihre Schönheit sagte, ja zuletzt sogar von Liebe sprach, war bei seiner Leidenschaft vorauszusehen. Henriette mochte nun freilich von diesen Zärtlichkeiten nichts hören, denn sie war ein ehrbares Mädchen und noch überdies schon mit einem Gesellen ihres Vaters

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[0081] Franzosen überglänzen. Er suchte sich in Herbesheim den geschicktesten Schneider und das hübscheste Mädchen, um es zum Ball zu führen. Beides fand er unter einerlei Dach beisammen. Meister Vogel war der beste Schneider, welcher sogleich die Vorzeichnungen des Grafen verstand, und seine Tochter Henriette in der ersten Blüte ihrer Reize, die den Grafen bald mehr, als sie sollten, bezauberten. Der Graf fehlte nur selten im Hause des Meisters. Er hatte beständig nachzusehen, damit nichts verdorben würde. Besonders hatte er der fleißigen Henriette bei ihrer Arbeit viel zu erinnern. Auch ein Paar köstliche weibliche Anzüge ließ er verfertigen für den Maskenball, die mußte Henriette nicht nur nähen, sondern der Vater ihr auch nach ihrem eigenen Körper anmessen, weil der Graf sagte, daß ein Fräulein von einem benachbarten Edelsitze, welches er zum Ball führen würde, vollkommen Henriettens schlanke Gestalt habe. Dabei war er sehr freigebig; bloß die kleinen Geschenke, die er machte, waren zuletzt so viel werth, als der wirklich bedungene Arbeitslohn. Daß Henriette die ausgewähltesten Geschenke bekam, verstand sich von selbst, und daß er ihr, wenn er sie allein traf, viel Schmeichelhaftes über ihre Schönheit sagte, ja zuletzt sogar von Liebe sprach, war bei seiner Leidenschaft vorauszusehen. Henriette mochte nun freilich von diesen Zärtlichkeiten nichts hören, denn sie war ein ehrbares Mädchen und noch überdies schon mit einem Gesellen ihres Vaters

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/81>, abgerufen am 27.04.2024.