Allgemeine Zeitung. Nr. 116. Augsburg, 25. April 1840.Die Indianer und der Indianerkrieg. Washington, 21 Febr. Der schaudererregende Vertilgungskampf gegen die Indianer mittelst Bluthunden hat seinen Anfang genommen. Die Gräuelscenen der spanisch-amerikanischen Kriege wiederholen sich auf dem Boden der Freiheit. Die Hunde sind spanische Bluthunde, und es sind ihrer vierzig "unter dem Befehl eines amerikanischen Obristen" von der Insel Cuba nach Florida gebracht worden. Eine Meile und weiter folgen diese wüthenden Thiere der Spur der Menschen, und bereits sind mehrere Indianer dieser gräßlichen Barbarei zum Opfer gefallen. Was für ein Krieg ist das, werden Sie mich fragen, in welchen man von dem kalten Morden einzelner Menschen wie von gewonnenen Schlachten spricht? und welche Macht ist es, die Millionen und Tausende ihrer tapfersten Krieger auf das kalte Abschlachten einer Handvoll Unglücklichen verwendet, von welchem sie selbst zugesteht, daß sie, vom Meer umgeben, nicht entfliehen können, und sich daher mit dem Muthe der Verzweiflung bis auf den letzten Blutstropfen vertheidigen müssen? Ich will versuchen, diese Frage zu beantworten, denn ich bin dieß der Wahrheit, den ewigen Interessen der Menschheit und der Geschichte schuldig, in deren Schuldbuch das republicanische Amerika schon in Bezug auf die Negerrace hart und binnen der letzten drei Jahre gerechterweise angeklagt steht. Man suchte nämlich während dieser Zeit die Sklaverei nicht, wie früher, mit dem Drang der Umstände, mit der politischen und physischen Unmöglichkeit ihrer los zu werden u. s. w., zu entschuldigen, sondern dieselbe zu einem System zu erheben, auf welchem sich die Prosperität der Weißen auf dem bis nach Südamerika oder wenigstens bis nach der Meerenge von Panama sich zu erstreckenden Territorium der Vereinigten Staaten gründen soll. In Bezug auf die Indianerstämme aber ist das Verfahren unserer Regierung unendlich grausamer und der Menschheit unwürdiger, und das hiedurch dem Verderben zugeführte Geschlecht unendlich hochsinniger und würdiger, als - um Ihnen die lautere Wahrheit zu gestehen - die Anglo-Amerikaner selbst; und dieß hoffe ich Ihnen im Laufe dieses Aufsatzes zu beweisen. Vergebens schreibt Washington Irving seine Tour to the prairies, seine Astoria u. dgl.; die von ihm verhöhnte und verspottete Menschheit wird vor dem Richterstuhle der Geschichte, vor dem ganzen gebildeten Europa als Kläger auftreten gegen die schändliche Falschheit und Oberflächlichkeit seiner Aussagen, und Genugthuung verlangen für die an ihr verübte Missethat. "Pas un soupir pour cette noble race!" ruft Hr. Nicollet mit Thränen in den Augen, "pas un mot en faveur de l'humanite, et c'est pourtant le premier poete americain!" Mit diesem Hrn. Nicollet will ich Sie sogleich bekannt machen. Es ist ein äußerst liebenswürdiger, mit wissenschaftlichen Kenntnissen vielfach ausgestatteter alter Franzose, welcher sieben Jahre unter den Indianern verlebte, bis in die Nähe der westlichen Felsengebirge vordrang und binnen kurzer Zeit einen ausführlichen Bericht über Sprache, Sitten, Gebräuche, Religion, Moral u. s. w. dieses unglücklichen Volkes dem Kriegsminister der Vereinigten Staaten, Hrn. Poinsett, abstatten wird. Ein größeres Werk über die indianischen Dialekte gedenkt derselbe bald in Paris herauszugeben, und ich kann dem europäischen Publicum hiezu nur Glück wünschen; denn gewiß hat noch kein Mensch, wie er, diesem Gegenstand eine so reine, von keinen egoistischen Beweggründen geleitete Aufmerksamkeit geschenkt und uns von dem Charakter, den Sitten und der Religion dieses unglücklichen Menschenstammes ein vorurtheilfreieres Bild gegeben, als dieser mit allen hiezu nöthigen Vorkenntnissen im reichsten Maaße versehene, mit dem edelsten Herzen und dem feinsten Tact ausgestattete Hr. Nicollet. Was mich aber am meisten erfreute, war das Zeugniß mehrerer Officiere in der Armee, welche bereits mehrere Feldzüge gegen die Indianer mitgemacht, und die Aussagen des Obristen Gardiner, welcher lange Zeit in Florida unter den Indianern gelebt hat, und dessen Pflanzung die erste war, welche von den Seminolen beim Ausbruch der Feindseligkeiten zerstört wurde. Diese stimmen nämlich ganz mit den Resultaten der wissenschaftlichen Nachforschungen des Hrn. Nicollet überein - ein Beweis, daß letzterer vorurtheils- und leidenschaftslos zu Werke ging und seinem wichtigen Gegenstand auch die gehörige Zeit widmete. Dieß war, wie bekannt, bei Washington Irving nicht der Fall, und darum sind auch seine Skizzen der Indianer kalt, verschroben, unwahr und im höchsten Grad einseitig. Die grausamste, unerhörteste Vertilgung eines ganzen Menschengeschlechts preßt dem Dichter auch keine Thräne aus! Pas un soupir pour cette noble race! Es scheint doch als ob Cooper den Indianercharakter besser aufgefaßt hätte, daß seine poetische Natur die Wahrheit wenigstens geahnet hat, während Irving in seiner Astoria den Shop keeper auf Kosten der armen, überall hintergangenen und verrathenen Rothhäute zum Helden stempelt. Mit Recht haben ihm daher auch die englischen Kritiker den Vers aus der Fudge Family vorgeworfen: "Papa was all the while in the secret 't is clear, 'T is a shop man he meant by a Brandenburgh, Dear!" Wenn sich je die Hand eines Menschen an Gottes erhabener Schöpfung versündigte, so ist es die des Amerikaners in der unmenschlichen Vertilgung seines von gleicher Freiheitsliebe beseelten rothen Bruders, der vielleicht nur zu edel ist, um das, was man hier zu Land und besonders im Westen Civilisation heißt, sogleich aufnehmen und mit seinen früheren Neigungen und Gewohnheiten vereinigen zu können. Daß der Indianer tapfer ist, können selbst seine Feinde nicht in Zweifel stellen: Muth, Gleichgültigkeit in Gefahren und eine kaum von Griechen und Römern gekannte Todesverachtung sind Tugenden, welche Franzosen, Spanier, Engländer und Amerikaner an ihnen rühmten; aber Ehrlichkeit, Gastfreundschaft, Wahrheitsliebe und Keuschheit, wie sie nur Tacitus bei den alten Germanen fand, haben unsere puritanischen Pelzhändler noch nicht an ihnen bemerkt - wahrscheinlich, weil sie dergleichen Dinge gar nicht suchten, oder, wenn vorhanden, davon keinen Gebrauch machen konnten. "Gestehen Sie mir aufrichtig", rief ich dem eben genannten Obristen Gardiner in der Vereinigten-Staaten-Armee zu, indem ich ihn treuherzig bei der Hand nahm und ihn bat, ein Glas Punsch mit mir zu trinken, "wen halten Sie für ehrlicher und offenherziger, die Indianer oder die mit ihnen verkehrenden Amerikaner? " - "Es gibt Gute und Schlechte auf beiden Seiten", antwortete er, "wenn ein Indianer einen Weißen überlisten kann, so thut er es, und auf gleiche Weise hintergehen die Amerikaner die Rothhäute." - "Keine ausweichende Antwort, Herr Obrist! welche ist die die Gesetze der Rechtschaffenheit und Moralität am meisten verletzende Partei? Beantworten Sie diese Frage nach Recht und Gewissen und auf das Wort eines Officiers." - "Nun denn, die Amerikaner Die Indianer und der Indianerkrieg. Washington, 21 Febr. Der schaudererregende Vertilgungskampf gegen die Indianer mittelst Bluthunden hat seinen Anfang genommen. Die Gräuelscenen der spanisch-amerikanischen Kriege wiederholen sich auf dem Boden der Freiheit. Die Hunde sind spanische Bluthunde, und es sind ihrer vierzig „unter dem Befehl eines amerikanischen Obristen“ von der Insel Cuba nach Florida gebracht worden. Eine Meile und weiter folgen diese wüthenden Thiere der Spur der Menschen, und bereits sind mehrere Indianer dieser gräßlichen Barbarei zum Opfer gefallen. Was für ein Krieg ist das, werden Sie mich fragen, in welchen man von dem kalten Morden einzelner Menschen wie von gewonnenen Schlachten spricht? und welche Macht ist es, die Millionen und Tausende ihrer tapfersten Krieger auf das kalte Abschlachten einer Handvoll Unglücklichen verwendet, von welchem sie selbst zugesteht, daß sie, vom Meer umgeben, nicht entfliehen können, und sich daher mit dem Muthe der Verzweiflung bis auf den letzten Blutstropfen vertheidigen müssen? Ich will versuchen, diese Frage zu beantworten, denn ich bin dieß der Wahrheit, den ewigen Interessen der Menschheit und der Geschichte schuldig, in deren Schuldbuch das republicanische Amerika schon in Bezug auf die Negerrace hart und binnen der letzten drei Jahre gerechterweise angeklagt steht. Man suchte nämlich während dieser Zeit die Sklaverei nicht, wie früher, mit dem Drang der Umstände, mit der politischen und physischen Unmöglichkeit ihrer los zu werden u. s. w., zu entschuldigen, sondern dieselbe zu einem System zu erheben, auf welchem sich die Prosperität der Weißen auf dem bis nach Südamerika oder wenigstens bis nach der Meerenge von Panama sich zu erstreckenden Territorium der Vereinigten Staaten gründen soll. In Bezug auf die Indianerstämme aber ist das Verfahren unserer Regierung unendlich grausamer und der Menschheit unwürdiger, und das hiedurch dem Verderben zugeführte Geschlecht unendlich hochsinniger und würdiger, als – um Ihnen die lautere Wahrheit zu gestehen – die Anglo-Amerikaner selbst; und dieß hoffe ich Ihnen im Laufe dieses Aufsatzes zu beweisen. Vergebens schreibt Washington Irving seine Tour to the prairies, seine Astoria u. dgl.; die von ihm verhöhnte und verspottete Menschheit wird vor dem Richterstuhle der Geschichte, vor dem ganzen gebildeten Europa als Kläger auftreten gegen die schändliche Falschheit und Oberflächlichkeit seiner Aussagen, und Genugthuung verlangen für die an ihr verübte Missethat. „Pas un soupir pour cette noble race!“ ruft Hr. Nicollet mit Thränen in den Augen, „pas un mot en faveur de l'humanitè, et c'est pourtant le premier poëte américain!“ Mit diesem Hrn. Nicollet will ich Sie sogleich bekannt machen. Es ist ein äußerst liebenswürdiger, mit wissenschaftlichen Kenntnissen vielfach ausgestatteter alter Franzose, welcher sieben Jahre unter den Indianern verlebte, bis in die Nähe der westlichen Felsengebirge vordrang und binnen kurzer Zeit einen ausführlichen Bericht über Sprache, Sitten, Gebräuche, Religion, Moral u. s. w. dieses unglücklichen Volkes dem Kriegsminister der Vereinigten Staaten, Hrn. Poinsett, abstatten wird. Ein größeres Werk über die indianischen Dialekte gedenkt derselbe bald in Paris herauszugeben, und ich kann dem europäischen Publicum hiezu nur Glück wünschen; denn gewiß hat noch kein Mensch, wie er, diesem Gegenstand eine so reine, von keinen egoistischen Beweggründen geleitete Aufmerksamkeit geschenkt und uns von dem Charakter, den Sitten und der Religion dieses unglücklichen Menschenstammes ein vorurtheilfreieres Bild gegeben, als dieser mit allen hiezu nöthigen Vorkenntnissen im reichsten Maaße versehene, mit dem edelsten Herzen und dem feinsten Tact ausgestattete Hr. Nicollet. Was mich aber am meisten erfreute, war das Zeugniß mehrerer Officiere in der Armee, welche bereits mehrere Feldzüge gegen die Indianer mitgemacht, und die Aussagen des Obristen Gardiner, welcher lange Zeit in Florida unter den Indianern gelebt hat, und dessen Pflanzung die erste war, welche von den Seminolen beim Ausbruch der Feindseligkeiten zerstört wurde. Diese stimmen nämlich ganz mit den Resultaten der wissenschaftlichen Nachforschungen des Hrn. Nicollet überein – ein Beweis, daß letzterer vorurtheils- und leidenschaftslos zu Werke ging und seinem wichtigen Gegenstand auch die gehörige Zeit widmete. Dieß war, wie bekannt, bei Washington Irving nicht der Fall, und darum sind auch seine Skizzen der Indianer kalt, verschroben, unwahr und im höchsten Grad einseitig. Die grausamste, unerhörteste Vertilgung eines ganzen Menschengeschlechts preßt dem Dichter auch keine Thräne aus! Pas un soupir pour cette noble race! Es scheint doch als ob Cooper den Indianercharakter besser aufgefaßt hätte, daß seine poetische Natur die Wahrheit wenigstens geahnet hat, während Irving in seiner Astoria den Shop keeper auf Kosten der armen, überall hintergangenen und verrathenen Rothhäute zum Helden stempelt. Mit Recht haben ihm daher auch die englischen Kritiker den Vers aus der Fudge Family vorgeworfen: „Papa was all the while in the secret 't is clear, 'T is a shop man he meant by a Brandenburgh, Dear!“ Wenn sich je die Hand eines Menschen an Gottes erhabener Schöpfung versündigte, so ist es die des Amerikaners in der unmenschlichen Vertilgung seines von gleicher Freiheitsliebe beseelten rothen Bruders, der vielleicht nur zu edel ist, um das, was man hier zu Land und besonders im Westen Civilisation heißt, sogleich aufnehmen und mit seinen früheren Neigungen und Gewohnheiten vereinigen zu können. Daß der Indianer tapfer ist, können selbst seine Feinde nicht in Zweifel stellen: Muth, Gleichgültigkeit in Gefahren und eine kaum von Griechen und Römern gekannte Todesverachtung sind Tugenden, welche Franzosen, Spanier, Engländer und Amerikaner an ihnen rühmten; aber Ehrlichkeit, Gastfreundschaft, Wahrheitsliebe und Keuschheit, wie sie nur Tacitus bei den alten Germanen fand, haben unsere puritanischen Pelzhändler noch nicht an ihnen bemerkt – wahrscheinlich, weil sie dergleichen Dinge gar nicht suchten, oder, wenn vorhanden, davon keinen Gebrauch machen konnten. „Gestehen Sie mir aufrichtig“, rief ich dem eben genannten Obristen Gardiner in der Vereinigten-Staaten-Armee zu, indem ich ihn treuherzig bei der Hand nahm und ihn bat, ein Glas Punsch mit mir zu trinken, „wen halten Sie für ehrlicher und offenherziger, die Indianer oder die mit ihnen verkehrenden Amerikaner? “ – „Es gibt Gute und Schlechte auf beiden Seiten“, antwortete er, „wenn ein Indianer einen Weißen überlisten kann, so thut er es, und auf gleiche Weise hintergehen die Amerikaner die Rothhäute.“ – „Keine ausweichende Antwort, Herr Obrist! welche ist die die Gesetze der Rechtschaffenheit und Moralität am meisten verletzende Partei? 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Eine Meile und weiter folgen diese wüthenden Thiere der Spur der Menschen, und bereits sind mehrere Indianer dieser gräßlichen Barbarei zum Opfer gefallen. Was für ein Krieg ist das, werden Sie mich fragen, in welchen man von dem kalten Morden einzelner Menschen wie von gewonnenen Schlachten spricht? und welche Macht ist es, die Millionen und Tausende ihrer tapfersten Krieger auf das kalte Abschlachten einer Handvoll Unglücklichen verwendet, von welchem sie selbst zugesteht, daß sie, vom Meer umgeben, nicht entfliehen können, und sich daher mit dem Muthe der Verzweiflung bis auf den letzten Blutstropfen vertheidigen müssen? Ich will versuchen, diese Frage zu beantworten, denn ich bin dieß der Wahrheit, den ewigen Interessen der Menschheit und der Geschichte schuldig, in deren Schuldbuch das republicanische Amerika schon in Bezug auf die Negerrace hart und binnen der letzten drei Jahre <hi rendition="#g">gerechterweise</hi> angeklagt steht. Man suchte nämlich während dieser Zeit die Sklaverei nicht, wie früher, mit dem Drang der Umstände, mit der politischen und physischen Unmöglichkeit ihrer los zu werden u. s. w., zu entschuldigen, sondern dieselbe zu einem System zu erheben, auf welchem sich die Prosperität der Weißen auf dem bis nach Südamerika oder wenigstens bis nach der Meerenge von Panama sich zu erstreckenden Territorium der Vereinigten Staaten gründen soll. In Bezug auf die Indianerstämme aber ist das Verfahren unserer Regierung unendlich grausamer und der Menschheit unwürdiger, und das hiedurch dem Verderben zugeführte Geschlecht unendlich hochsinniger und würdiger, als – um Ihnen die lautere Wahrheit zu gestehen – die Anglo-Amerikaner selbst; und dieß hoffe ich Ihnen im Laufe dieses Aufsatzes zu beweisen. Vergebens schreibt Washington Irving seine Tour to the prairies, seine Astoria u. dgl.; die von ihm verhöhnte und verspottete Menschheit wird vor dem Richterstuhle der Geschichte, vor dem ganzen gebildeten Europa als Kläger auftreten gegen die schändliche Falschheit und Oberflächlichkeit seiner Aussagen, und Genugthuung verlangen für die an ihr verübte Missethat. „Pas un soupir pour cette noble race!“ ruft Hr. Nicollet mit Thränen in den Augen, „pas un mot en faveur de l'humanitè, et c'est pourtant le premier poëte américain!“ Mit diesem Hrn. Nicollet will ich Sie sogleich bekannt machen. Es ist ein äußerst liebenswürdiger, mit wissenschaftlichen Kenntnissen vielfach ausgestatteter alter Franzose, welcher sieben Jahre unter den Indianern verlebte, bis in die Nähe der westlichen Felsengebirge vordrang und binnen kurzer Zeit einen ausführlichen Bericht über Sprache, Sitten, Gebräuche, Religion, Moral u. s. w. dieses unglücklichen Volkes dem Kriegsminister der Vereinigten Staaten, Hrn. Poinsett, abstatten wird. Ein größeres Werk über die indianischen Dialekte gedenkt derselbe bald in Paris herauszugeben, und ich kann dem europäischen Publicum hiezu nur Glück wünschen; denn gewiß hat noch kein Mensch, wie er, diesem Gegenstand eine so <hi rendition="#g">reine</hi>, von keinen egoistischen Beweggründen geleitete Aufmerksamkeit geschenkt und uns von dem Charakter, den Sitten und der Religion dieses unglücklichen Menschenstammes ein vorurtheilfreieres Bild gegeben, als dieser mit allen hiezu nöthigen Vorkenntnissen im reichsten Maaße versehene, mit dem edelsten Herzen und dem feinsten Tact ausgestattete Hr. Nicollet. Was mich aber am meisten erfreute, war das Zeugniß mehrerer Officiere in der Armee, welche bereits mehrere Feldzüge gegen die Indianer mitgemacht, und die Aussagen des Obristen Gardiner, welcher lange Zeit in Florida unter den Indianern gelebt hat, und dessen Pflanzung die erste war, welche von den Seminolen beim Ausbruch der Feindseligkeiten zerstört wurde. Diese stimmen nämlich ganz mit den Resultaten der wissenschaftlichen Nachforschungen des Hrn. Nicollet überein – ein Beweis, daß letzterer vorurtheils- und leidenschaftslos zu Werke ging und seinem wichtigen Gegenstand auch die gehörige Zeit widmete. Dieß war, wie bekannt, bei Washington Irving nicht der Fall, und darum sind auch seine Skizzen der Indianer kalt, verschroben, unwahr und im höchsten Grad einseitig. Die grausamste, unerhörteste Vertilgung eines ganzen Menschengeschlechts preßt dem Dichter auch keine Thräne aus! Pas un soupir pour cette noble race! Es scheint doch als ob Cooper den Indianercharakter besser aufgefaßt hätte, daß seine poetische Natur die Wahrheit wenigstens geahnet hat, während Irving in seiner Astoria den Shop keeper auf Kosten der armen, überall hintergangenen und verrathenen Rothhäute zum Helden stempelt. Mit Recht haben ihm daher auch die englischen Kritiker den Vers aus der Fudge Family vorgeworfen:<lb/><lg type="poem"><l>„Papa was all the while in the secret 't is clear,</l><lb/><l>'T is a shop man he meant by a Brandenburgh, Dear!“</l></lg></p><lb/> <p>Wenn sich je die Hand eines Menschen an Gottes erhabener Schöpfung versündigte, so ist es die des Amerikaners in der unmenschlichen Vertilgung seines von gleicher Freiheitsliebe beseelten rothen Bruders, der vielleicht nur zu edel ist, um das, was man hier zu Land und besonders im Westen Civilisation heißt, sogleich aufnehmen und mit seinen früheren Neigungen und Gewohnheiten vereinigen zu können. Daß der Indianer tapfer ist, können selbst seine Feinde nicht in Zweifel stellen: Muth, Gleichgültigkeit in Gefahren und eine kaum von Griechen und Römern gekannte Todesverachtung sind Tugenden, welche Franzosen, Spanier, Engländer und Amerikaner an ihnen rühmten; aber Ehrlichkeit, Gastfreundschaft, Wahrheitsliebe und Keuschheit, wie sie nur Tacitus bei den alten Germanen fand, haben unsere puritanischen Pelzhändler noch nicht an ihnen bemerkt – wahrscheinlich, weil sie dergleichen Dinge gar nicht suchten, oder, wenn vorhanden, davon keinen Gebrauch machen konnten.</p><lb/> <p>„Gestehen Sie mir aufrichtig“, rief ich dem eben genannten Obristen Gardiner in der Vereinigten-Staaten-Armee zu, indem ich ihn treuherzig bei der Hand nahm und ihn bat, ein Glas Punsch mit mir zu trinken, „wen halten Sie für ehrlicher und offenherziger, die Indianer oder <hi rendition="#g">die mit ihnen verkehrenden Amerikaner</hi>? “ – „Es gibt Gute und Schlechte auf beiden Seiten“, antwortete er, „wenn ein Indianer einen Weißen überlisten kann, so thut er es, und auf gleiche Weise hintergehen die Amerikaner die Rothhäute.“ – „Keine ausweichende Antwort, Herr Obrist! welche ist die die Gesetze der Rechtschaffenheit und Moralität am meisten verletzende Partei? 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Die Indianer und der Indianerkrieg.
_ Washington, 21 Febr. Der schaudererregende Vertilgungskampf gegen die Indianer mittelst Bluthunden hat seinen Anfang genommen. Die Gräuelscenen der spanisch-amerikanischen Kriege wiederholen sich auf dem Boden der Freiheit. Die Hunde sind spanische Bluthunde, und es sind ihrer vierzig „unter dem Befehl eines amerikanischen Obristen“ von der Insel Cuba nach Florida gebracht worden. Eine Meile und weiter folgen diese wüthenden Thiere der Spur der Menschen, und bereits sind mehrere Indianer dieser gräßlichen Barbarei zum Opfer gefallen. Was für ein Krieg ist das, werden Sie mich fragen, in welchen man von dem kalten Morden einzelner Menschen wie von gewonnenen Schlachten spricht? und welche Macht ist es, die Millionen und Tausende ihrer tapfersten Krieger auf das kalte Abschlachten einer Handvoll Unglücklichen verwendet, von welchem sie selbst zugesteht, daß sie, vom Meer umgeben, nicht entfliehen können, und sich daher mit dem Muthe der Verzweiflung bis auf den letzten Blutstropfen vertheidigen müssen? Ich will versuchen, diese Frage zu beantworten, denn ich bin dieß der Wahrheit, den ewigen Interessen der Menschheit und der Geschichte schuldig, in deren Schuldbuch das republicanische Amerika schon in Bezug auf die Negerrace hart und binnen der letzten drei Jahre gerechterweise angeklagt steht. Man suchte nämlich während dieser Zeit die Sklaverei nicht, wie früher, mit dem Drang der Umstände, mit der politischen und physischen Unmöglichkeit ihrer los zu werden u. s. w., zu entschuldigen, sondern dieselbe zu einem System zu erheben, auf welchem sich die Prosperität der Weißen auf dem bis nach Südamerika oder wenigstens bis nach der Meerenge von Panama sich zu erstreckenden Territorium der Vereinigten Staaten gründen soll. In Bezug auf die Indianerstämme aber ist das Verfahren unserer Regierung unendlich grausamer und der Menschheit unwürdiger, und das hiedurch dem Verderben zugeführte Geschlecht unendlich hochsinniger und würdiger, als – um Ihnen die lautere Wahrheit zu gestehen – die Anglo-Amerikaner selbst; und dieß hoffe ich Ihnen im Laufe dieses Aufsatzes zu beweisen. Vergebens schreibt Washington Irving seine Tour to the prairies, seine Astoria u. dgl.; die von ihm verhöhnte und verspottete Menschheit wird vor dem Richterstuhle der Geschichte, vor dem ganzen gebildeten Europa als Kläger auftreten gegen die schändliche Falschheit und Oberflächlichkeit seiner Aussagen, und Genugthuung verlangen für die an ihr verübte Missethat. „Pas un soupir pour cette noble race!“ ruft Hr. Nicollet mit Thränen in den Augen, „pas un mot en faveur de l'humanitè, et c'est pourtant le premier poëte américain!“ Mit diesem Hrn. Nicollet will ich Sie sogleich bekannt machen. Es ist ein äußerst liebenswürdiger, mit wissenschaftlichen Kenntnissen vielfach ausgestatteter alter Franzose, welcher sieben Jahre unter den Indianern verlebte, bis in die Nähe der westlichen Felsengebirge vordrang und binnen kurzer Zeit einen ausführlichen Bericht über Sprache, Sitten, Gebräuche, Religion, Moral u. s. w. dieses unglücklichen Volkes dem Kriegsminister der Vereinigten Staaten, Hrn. Poinsett, abstatten wird. Ein größeres Werk über die indianischen Dialekte gedenkt derselbe bald in Paris herauszugeben, und ich kann dem europäischen Publicum hiezu nur Glück wünschen; denn gewiß hat noch kein Mensch, wie er, diesem Gegenstand eine so reine, von keinen egoistischen Beweggründen geleitete Aufmerksamkeit geschenkt und uns von dem Charakter, den Sitten und der Religion dieses unglücklichen Menschenstammes ein vorurtheilfreieres Bild gegeben, als dieser mit allen hiezu nöthigen Vorkenntnissen im reichsten Maaße versehene, mit dem edelsten Herzen und dem feinsten Tact ausgestattete Hr. Nicollet. Was mich aber am meisten erfreute, war das Zeugniß mehrerer Officiere in der Armee, welche bereits mehrere Feldzüge gegen die Indianer mitgemacht, und die Aussagen des Obristen Gardiner, welcher lange Zeit in Florida unter den Indianern gelebt hat, und dessen Pflanzung die erste war, welche von den Seminolen beim Ausbruch der Feindseligkeiten zerstört wurde. Diese stimmen nämlich ganz mit den Resultaten der wissenschaftlichen Nachforschungen des Hrn. Nicollet überein – ein Beweis, daß letzterer vorurtheils- und leidenschaftslos zu Werke ging und seinem wichtigen Gegenstand auch die gehörige Zeit widmete. Dieß war, wie bekannt, bei Washington Irving nicht der Fall, und darum sind auch seine Skizzen der Indianer kalt, verschroben, unwahr und im höchsten Grad einseitig. Die grausamste, unerhörteste Vertilgung eines ganzen Menschengeschlechts preßt dem Dichter auch keine Thräne aus! Pas un soupir pour cette noble race! Es scheint doch als ob Cooper den Indianercharakter besser aufgefaßt hätte, daß seine poetische Natur die Wahrheit wenigstens geahnet hat, während Irving in seiner Astoria den Shop keeper auf Kosten der armen, überall hintergangenen und verrathenen Rothhäute zum Helden stempelt. Mit Recht haben ihm daher auch die englischen Kritiker den Vers aus der Fudge Family vorgeworfen:
„Papa was all the while in the secret 't is clear,
'T is a shop man he meant by a Brandenburgh, Dear!“
Wenn sich je die Hand eines Menschen an Gottes erhabener Schöpfung versündigte, so ist es die des Amerikaners in der unmenschlichen Vertilgung seines von gleicher Freiheitsliebe beseelten rothen Bruders, der vielleicht nur zu edel ist, um das, was man hier zu Land und besonders im Westen Civilisation heißt, sogleich aufnehmen und mit seinen früheren Neigungen und Gewohnheiten vereinigen zu können. Daß der Indianer tapfer ist, können selbst seine Feinde nicht in Zweifel stellen: Muth, Gleichgültigkeit in Gefahren und eine kaum von Griechen und Römern gekannte Todesverachtung sind Tugenden, welche Franzosen, Spanier, Engländer und Amerikaner an ihnen rühmten; aber Ehrlichkeit, Gastfreundschaft, Wahrheitsliebe und Keuschheit, wie sie nur Tacitus bei den alten Germanen fand, haben unsere puritanischen Pelzhändler noch nicht an ihnen bemerkt – wahrscheinlich, weil sie dergleichen Dinge gar nicht suchten, oder, wenn vorhanden, davon keinen Gebrauch machen konnten.
„Gestehen Sie mir aufrichtig“, rief ich dem eben genannten Obristen Gardiner in der Vereinigten-Staaten-Armee zu, indem ich ihn treuherzig bei der Hand nahm und ihn bat, ein Glas Punsch mit mir zu trinken, „wen halten Sie für ehrlicher und offenherziger, die Indianer oder die mit ihnen verkehrenden Amerikaner? “ – „Es gibt Gute und Schlechte auf beiden Seiten“, antwortete er, „wenn ein Indianer einen Weißen überlisten kann, so thut er es, und auf gleiche Weise hintergehen die Amerikaner die Rothhäute.“ – „Keine ausweichende Antwort, Herr Obrist! welche ist die die Gesetze der Rechtschaffenheit und Moralität am meisten verletzende Partei? Beantworten Sie diese Frage nach Recht und Gewissen und auf das Wort eines Officiers.“ – „Nun denn, die Amerikaner
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