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Allgemeine Zeitung. Nr. 143. Augsburg, 22. Mai 1840.

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nach ist diese Frage noch lange nicht genug erörtert, und kann durch die nichts beweisende Versicherung des Verfassers, daß weder v. Pulszky, noch alle gegenwärtigen, zukünftigen und vergangenen Advocaten diese oder jene meisterhafte Deduction je widerlegen werden, unmöglich als geschlossen betrachtet werden. Vor Allem muß man sich befleißigen, die Frage auf ihren wahren Standpunkt zurückzuführen. Von der einen Seite wird behauptet, den Städten könne ihr Verlangen nach gerechterer Vertretung nur nach Reform ihrer Municipalitäten gewährt werden, und es handle sich hier davon, ob die Gesetzgebung eine ungarische bleiben oder eine fremde werden soll - während von der andern der Satz aufgestellt wird, hier könne nur von einer restitutio in integrum die Rede seyn, und die Opposition wolle nur deßhalb die Emancipation der Städte an gewisse ihr genehme Bedingungen knüpfen, um aus ihnen ein von sich abhängiges und anarchisches Element zu machen. Ansichten dieser Art verrücken die Frage gänzlich und ziehen sie auf das unfruchtbare Terrain leidiger Recriminationen hinüber. Die Wahrheit ist, daß der Adel an dem factischen Zustande darum festhält und von einer restitutio in integrum in dem Sinne, daß einer jeden der 46 königlichen Freistädte ein votum singillativum zustehen soll, darum nichts hören will, weil er glaubt, daß in Folge der Verfassung der Städte, der Art wie dort die Wahlen geschehen, in Folge des Einflusses den die Regierung auf solche auszuüben vermag und der Stellung der Städte dem Adel und der Regierung gegenüber, ein solches Verfahren das Uebergewicht der Regierung bei der Ständetafel factisch begründen würde, abgesehen davon, daß hiedurch dem Postulate einer gerechteren Vertretung der betreffenden Interessen schon aus dem Grunde nicht Genüge werden könnte, weil die bis jetzt den Städten gegenüber bestandene factische Ungerechtigkeit, im Falle der fraglichen restitutio in integrum, als rechtliche Anomalie in Beziehung auf die Comitate fortbestehen würde. *)*) Diese Besorgniß erzeugt den Wunsch, die Frage der Vertretung mit der andern der bessern Organisation im Zusammenhange zu erwägen. Nachdem in Ungarn die wichtigsten legislativen Fragen eigentlich darauf hinauslaufen, wie, wann und in welchem Maaße die privilegirte Classe den andern Classen gegenüber ihre Stellung modificiren soll, ist das Bestreben des Adels erklärlich, wenn auch nicht alleiniger Inhaber, jedenfalls Meister der Stellung zu bleiben. Die Städtefrage hat erst praktische Wichtigkeit erlangt, seitdem bei der Ständetafel der Modus, die Beschlüsse mittelst Abstimmungen zu fassen, in Gebrauch gekommen ist. Vor dem Jahr 1825 war dieß sehr selten der Fall, wie dieß sowohl die Verhandlungen früherer Landtage, als Personen, die bei solchen mitgewirkt haben, bezeugen können. Dieser in Gebrauch gekommene Modus ist hier der entscheidende Moment, und die Frage: soll das jetzt bestehende factische Unrecht abgeschafft und an dessen Stelle eine rechtliche Anomalie gesetzt werden - oder mit andern Worten: soll man den königlichen Freistädten die Ausübung eines ihnen gesetzlich zustehenden Rechtes, welches sie selten ausgeübt
und wovon sie gegenwärtig ausgeschlossen sind, gestatten oder nicht? schließt jetzt die weitere in sich, die Frage nämlich, ob das Präponderiren der Comitatsdeputirten bei der Ständetafel, welche auch bei uns der bei weitem wichtigste Theil des gesetzgebenden Körpers ist, aufrecht erhalten oder aufgegeben werden solle? Das ist die Frage, und auf diese gibt nicht die Opposition, sondern der gesammte Adel zur Antwort, was ich schon oben angedeutet. Von einer restitutio in integrum kann also keine Rede seyn, wohl aber von einer sorgfältigen Prüfung der Frage, welche Vertretung den königlichen Freistädten, nicht in Gemäßheit des Gesetzes vom Jahr 1608, welches auf die jetzigen Verhältnisse keine Anwendung mehr finden kann, sondern unter den jetzt gegebenen Umständen und mit gebührender Rücksicht sowohl auf die Interessen und den Grad von Bildung, Reichthum, Gewerbfleiß, welchen sie repräsentiren, als auch die Stellung, welche sie der ganzen Staatsgesellschaft gegenüber inne haben, in der Gesetzgebung eingeräumt werden soll, und welche Maaßregeln zu ergreifen seyen, um ein selbstständiges, kräftiges, weder vom Adel noch von der Regierung abhängiges Bürgerthum zu schaffen? Bei der Erwägung dieser Fragen wären dann alle Passus über die ärgste Demokratie des unbeschuheten - über Willkürhandlungen des Comitatsadels, über anarchische Elemente, welche dieser schaffen möchte, vorerst zu vertagen, da solche wenig geeignet sind Licht über Fragen von so großem Interesse und so ernster Natur zu verbreiten.

Nur noch ein Wort über den "Humor" des ungarischen Adels, seine Privilegien nach und nach auf Alle auszudehnen, welchen der Verfasser der pia desideria besagtem Adel nicht zugetraut hätte. Soll hiemit gesagt werden, der Adel gehe mit Ideen eines suffrage universel, eines Nivellements um, so läugne ich entschieden ein solches Bestreben. Wird aber hierunter die Tendenz gemeint, die Möglichkeit vorzubereiten, der unprivilegirten Classe progressiv alle Rechte einräumen zu können, welche in jedem gutorganisirten Staat allen Staatsbürgern zustehen müssen, in Bezug auf individuelle Freiheit, Sicherheit des Eigenthums, selbstständige Thätigkeit, Freiheit des Erwerbs, verhältnißmäßige Theilnahme Aller an den Lasten des Gemeinwesens u. dergl. mehr - wird die Tendenz gemeint, diese Möglichkeit vorzubereiten, so ist es allerdings wahr, daß sie sich Bahn zu brechen und sich in legislativen Maaßregeln zu bekunden anfängt; ihr Ursprung aber ist nicht im Humor, sondern in der gewonnenen Erkenntniß dessen zu suchen, was die Zeit und die eigenthümliche Stellung des ungarischen Adels unabweislich fordern.

Nun lege ich die Feder nieder. Der Verfasser der pia desideria wird mich stets bereit finden, sie wieder aufzunehmen, sollte sich die Veranlassung darbieten, der verkannten Wahrheit ihr Recht zu vindiciren. Nicht in der Behandlung des Gegenstandes, nicht in der Anmuth der Form und des Styls mag ich mit einem geübten Kämpfer, wie er, in Bewerbung treten, in einer Sprache zumal, die nicht die meinige ist, wohl aber in der Liebe zu diesem Lande und dem Streben, der Sache der Wahrheit, von Vorurtheilen und Uebertreibungen frei, nach Kräften zu dienen.

Graf Emil Desewssy.

Der Tygodnik literacki über die Westslaven.

(Beschluß.)

Die einzelnen Zweige der Westslaven, die keine besondere Schriftsprache haben, befinden sich indeß keineswegs in dieser Nothwendigkeit. Ihre Dialekte sind ohne Vergleich weniger von den verwandten Schriftsprachen verschieden, als z. B. die deutschen Dialekte von der deutschen Schriftsprache. Deßhalb ist es schwer zu errathen, aus welchen Gründen man durch die Erschaffung vieler Schriftsprachen die Zerstückelung lieber verewigen, als durch die Annahme der einen oder der andern

*) Es würden zum Beispiel eine kleine Stadt mit ein paar tausend Einwohnern, welche nach der Natur der Dinge keine große Masse von Reichthum und Intelligenz repräsentirt, und Comitate mit 300,000 Einwohnern die nämliche Vertretung und Stimme haben.

nach ist diese Frage noch lange nicht genug erörtert, und kann durch die nichts beweisende Versicherung des Verfassers, daß weder v. Pulszky, noch alle gegenwärtigen, zukünftigen und vergangenen Advocaten diese oder jene meisterhafte Deduction je widerlegen werden, unmöglich als geschlossen betrachtet werden. Vor Allem muß man sich befleißigen, die Frage auf ihren wahren Standpunkt zurückzuführen. Von der einen Seite wird behauptet, den Städten könne ihr Verlangen nach gerechterer Vertretung nur nach Reform ihrer Municipalitäten gewährt werden, und es handle sich hier davon, ob die Gesetzgebung eine ungarische bleiben oder eine fremde werden soll – während von der andern der Satz aufgestellt wird, hier könne nur von einer restitutio in integrum die Rede seyn, und die Opposition wolle nur deßhalb die Emancipation der Städte an gewisse ihr genehme Bedingungen knüpfen, um aus ihnen ein von sich abhängiges und anarchisches Element zu machen. Ansichten dieser Art verrücken die Frage gänzlich und ziehen sie auf das unfruchtbare Terrain leidiger Recriminationen hinüber. Die Wahrheit ist, daß der Adel an dem factischen Zustande darum festhält und von einer restitutio in integrum in dem Sinne, daß einer jeden der 46 königlichen Freistädte ein votum singillativum zustehen soll, darum nichts hören will, weil er glaubt, daß in Folge der Verfassung der Städte, der Art wie dort die Wahlen geschehen, in Folge des Einflusses den die Regierung auf solche auszuüben vermag und der Stellung der Städte dem Adel und der Regierung gegenüber, ein solches Verfahren das Uebergewicht der Regierung bei der Ständetafel factisch begründen würde, abgesehen davon, daß hiedurch dem Postulate einer gerechteren Vertretung der betreffenden Interessen schon aus dem Grunde nicht Genüge werden könnte, weil die bis jetzt den Städten gegenüber bestandene factische Ungerechtigkeit, im Falle der fraglichen restitutio in integrum, als rechtliche Anomalie in Beziehung auf die Comitate fortbestehen würde. *)*) Diese Besorgniß erzeugt den Wunsch, die Frage der Vertretung mit der andern der bessern Organisation im Zusammenhange zu erwägen. Nachdem in Ungarn die wichtigsten legislativen Fragen eigentlich darauf hinauslaufen, wie, wann und in welchem Maaße die privilegirte Classe den andern Classen gegenüber ihre Stellung modificiren soll, ist das Bestreben des Adels erklärlich, wenn auch nicht alleiniger Inhaber, jedenfalls Meister der Stellung zu bleiben. Die Städtefrage hat erst praktische Wichtigkeit erlangt, seitdem bei der Ständetafel der Modus, die Beschlüsse mittelst Abstimmungen zu fassen, in Gebrauch gekommen ist. Vor dem Jahr 1825 war dieß sehr selten der Fall, wie dieß sowohl die Verhandlungen früherer Landtage, als Personen, die bei solchen mitgewirkt haben, bezeugen können. Dieser in Gebrauch gekommene Modus ist hier der entscheidende Moment, und die Frage: soll das jetzt bestehende factische Unrecht abgeschafft und an dessen Stelle eine rechtliche Anomalie gesetzt werden – oder mit andern Worten: soll man den königlichen Freistädten die Ausübung eines ihnen gesetzlich zustehenden Rechtes, welches sie selten ausgeübt
und wovon sie gegenwärtig ausgeschlossen sind, gestatten oder nicht? schließt jetzt die weitere in sich, die Frage nämlich, ob das Präponderiren der Comitatsdeputirten bei der Ständetafel, welche auch bei uns der bei weitem wichtigste Theil des gesetzgebenden Körpers ist, aufrecht erhalten oder aufgegeben werden solle? Das ist die Frage, und auf diese gibt nicht die Opposition, sondern der gesammte Adel zur Antwort, was ich schon oben angedeutet. Von einer restitutio in integrum kann also keine Rede seyn, wohl aber von einer sorgfältigen Prüfung der Frage, welche Vertretung den königlichen Freistädten, nicht in Gemäßheit des Gesetzes vom Jahr 1608, welches auf die jetzigen Verhältnisse keine Anwendung mehr finden kann, sondern unter den jetzt gegebenen Umständen und mit gebührender Rücksicht sowohl auf die Interessen und den Grad von Bildung, Reichthum, Gewerbfleiß, welchen sie repräsentiren, als auch die Stellung, welche sie der ganzen Staatsgesellschaft gegenüber inne haben, in der Gesetzgebung eingeräumt werden soll, und welche Maaßregeln zu ergreifen seyen, um ein selbstständiges, kräftiges, weder vom Adel noch von der Regierung abhängiges Bürgerthum zu schaffen? Bei der Erwägung dieser Fragen wären dann alle Passus über die ärgste Demokratie des unbeschuheten – über Willkürhandlungen des Comitatsadels, über anarchische Elemente, welche dieser schaffen möchte, vorerst zu vertagen, da solche wenig geeignet sind Licht über Fragen von so großem Interesse und so ernster Natur zu verbreiten.

Nur noch ein Wort über den „Humor“ des ungarischen Adels, seine Privilegien nach und nach auf Alle auszudehnen, welchen der Verfasser der pia desideria besagtem Adel nicht zugetraut hätte. Soll hiemit gesagt werden, der Adel gehe mit Ideen eines suffrage universel, eines Nivellements um, so läugne ich entschieden ein solches Bestreben. Wird aber hierunter die Tendenz gemeint, die Möglichkeit vorzubereiten, der unprivilegirten Classe progressiv alle Rechte einräumen zu können, welche in jedem gutorganisirten Staat allen Staatsbürgern zustehen müssen, in Bezug auf individuelle Freiheit, Sicherheit des Eigenthums, selbstständige Thätigkeit, Freiheit des Erwerbs, verhältnißmäßige Theilnahme Aller an den Lasten des Gemeinwesens u. dergl. mehr – wird die Tendenz gemeint, diese Möglichkeit vorzubereiten, so ist es allerdings wahr, daß sie sich Bahn zu brechen und sich in legislativen Maaßregeln zu bekunden anfängt; ihr Ursprung aber ist nicht im Humor, sondern in der gewonnenen Erkenntniß dessen zu suchen, was die Zeit und die eigenthümliche Stellung des ungarischen Adels unabweislich fordern.

Nun lege ich die Feder nieder. Der Verfasser der pia desideria wird mich stets bereit finden, sie wieder aufzunehmen, sollte sich die Veranlassung darbieten, der verkannten Wahrheit ihr Recht zu vindiciren. Nicht in der Behandlung des Gegenstandes, nicht in der Anmuth der Form und des Styls mag ich mit einem geübten Kämpfer, wie er, in Bewerbung treten, in einer Sprache zumal, die nicht die meinige ist, wohl aber in der Liebe zu diesem Lande und dem Streben, der Sache der Wahrheit, von Vorurtheilen und Uebertreibungen frei, nach Kräften zu dienen.

Graf Emil Desewssy.

Der Tygodnik literacki über die Westslaven.

(Beschluß.)

Die einzelnen Zweige der Westslaven, die keine besondere Schriftsprache haben, befinden sich indeß keineswegs in dieser Nothwendigkeit. Ihre Dialekte sind ohne Vergleich weniger von den verwandten Schriftsprachen verschieden, als z. B. die deutschen Dialekte von der deutschen Schriftsprache. Deßhalb ist es schwer zu errathen, aus welchen Gründen man durch die Erschaffung vieler Schriftsprachen die Zerstückelung lieber verewigen, als durch die Annahme der einen oder der andern

*) Es würden zum Beispiel eine kleine Stadt mit ein paar tausend Einwohnern, welche nach der Natur der Dinge keine große Masse von Reichthum und Intelligenz repräsentirt, und Comitate mit 300,000 Einwohnern die nämliche Vertretung und Stimme haben.
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[1138/0010] nach ist diese Frage noch lange nicht genug erörtert, und kann durch die nichts beweisende Versicherung des Verfassers, daß weder v. Pulszky, noch alle gegenwärtigen, zukünftigen und vergangenen Advocaten diese oder jene meisterhafte Deduction je widerlegen werden, unmöglich als geschlossen betrachtet werden. Vor Allem muß man sich befleißigen, die Frage auf ihren wahren Standpunkt zurückzuführen. Von der einen Seite wird behauptet, den Städten könne ihr Verlangen nach gerechterer Vertretung nur nach Reform ihrer Municipalitäten gewährt werden, und es handle sich hier davon, ob die Gesetzgebung eine ungarische bleiben oder eine fremde werden soll – während von der andern der Satz aufgestellt wird, hier könne nur von einer restitutio in integrum die Rede seyn, und die Opposition wolle nur deßhalb die Emancipation der Städte an gewisse ihr genehme Bedingungen knüpfen, um aus ihnen ein von sich abhängiges und anarchisches Element zu machen. Ansichten dieser Art verrücken die Frage gänzlich und ziehen sie auf das unfruchtbare Terrain leidiger Recriminationen hinüber. Die Wahrheit ist, daß der Adel an dem factischen Zustande darum festhält und von einer restitutio in integrum in dem Sinne, daß einer jeden der 46 königlichen Freistädte ein votum singillativum zustehen soll, darum nichts hören will, weil er glaubt, daß in Folge der Verfassung der Städte, der Art wie dort die Wahlen geschehen, in Folge des Einflusses den die Regierung auf solche auszuüben vermag und der Stellung der Städte dem Adel und der Regierung gegenüber, ein solches Verfahren das Uebergewicht der Regierung bei der Ständetafel factisch begründen würde, abgesehen davon, daß hiedurch dem Postulate einer gerechteren Vertretung der betreffenden Interessen schon aus dem Grunde nicht Genüge werden könnte, weil die bis jetzt den Städten gegenüber bestandene factische Ungerechtigkeit, im Falle der fraglichen restitutio in integrum, als rechtliche Anomalie in Beziehung auf die Comitate fortbestehen würde. *) *) Diese Besorgniß erzeugt den Wunsch, die Frage der Vertretung mit der andern der bessern Organisation im Zusammenhange zu erwägen. Nachdem in Ungarn die wichtigsten legislativen Fragen eigentlich darauf hinauslaufen, wie, wann und in welchem Maaße die privilegirte Classe den andern Classen gegenüber ihre Stellung modificiren soll, ist das Bestreben des Adels erklärlich, wenn auch nicht alleiniger Inhaber, jedenfalls Meister der Stellung zu bleiben. Die Städtefrage hat erst praktische Wichtigkeit erlangt, seitdem bei der Ständetafel der Modus, die Beschlüsse mittelst Abstimmungen zu fassen, in Gebrauch gekommen ist. Vor dem Jahr 1825 war dieß sehr selten der Fall, wie dieß sowohl die Verhandlungen früherer Landtage, als Personen, die bei solchen mitgewirkt haben, bezeugen können. Dieser in Gebrauch gekommene Modus ist hier der entscheidende Moment, und die Frage: soll das jetzt bestehende factische Unrecht abgeschafft und an dessen Stelle eine rechtliche Anomalie gesetzt werden – oder mit andern Worten: soll man den königlichen Freistädten die Ausübung eines ihnen gesetzlich zustehenden Rechtes, welches sie selten ausgeübt und wovon sie gegenwärtig ausgeschlossen sind, gestatten oder nicht? schließt jetzt die weitere in sich, die Frage nämlich, ob das Präponderiren der Comitatsdeputirten bei der Ständetafel, welche auch bei uns der bei weitem wichtigste Theil des gesetzgebenden Körpers ist, aufrecht erhalten oder aufgegeben werden solle? Das ist die Frage, und auf diese gibt nicht die Opposition, sondern der gesammte Adel zur Antwort, was ich schon oben angedeutet. Von einer restitutio in integrum kann also keine Rede seyn, wohl aber von einer sorgfältigen Prüfung der Frage, welche Vertretung den königlichen Freistädten, nicht in Gemäßheit des Gesetzes vom Jahr 1608, welches auf die jetzigen Verhältnisse keine Anwendung mehr finden kann, sondern unter den jetzt gegebenen Umständen und mit gebührender Rücksicht sowohl auf die Interessen und den Grad von Bildung, Reichthum, Gewerbfleiß, welchen sie repräsentiren, als auch die Stellung, welche sie der ganzen Staatsgesellschaft gegenüber inne haben, in der Gesetzgebung eingeräumt werden soll, und welche Maaßregeln zu ergreifen seyen, um ein selbstständiges, kräftiges, weder vom Adel noch von der Regierung abhängiges Bürgerthum zu schaffen? Bei der Erwägung dieser Fragen wären dann alle Passus über die ärgste Demokratie des unbeschuheten – über Willkürhandlungen des Comitatsadels, über anarchische Elemente, welche dieser schaffen möchte, vorerst zu vertagen, da solche wenig geeignet sind Licht über Fragen von so großem Interesse und so ernster Natur zu verbreiten. Nur noch ein Wort über den „Humor“ des ungarischen Adels, seine Privilegien nach und nach auf Alle auszudehnen, welchen der Verfasser der pia desideria besagtem Adel nicht zugetraut hätte. Soll hiemit gesagt werden, der Adel gehe mit Ideen eines suffrage universel, eines Nivellements um, so läugne ich entschieden ein solches Bestreben. Wird aber hierunter die Tendenz gemeint, die Möglichkeit vorzubereiten, der unprivilegirten Classe progressiv alle Rechte einräumen zu können, welche in jedem gutorganisirten Staat allen Staatsbürgern zustehen müssen, in Bezug auf individuelle Freiheit, Sicherheit des Eigenthums, selbstständige Thätigkeit, Freiheit des Erwerbs, verhältnißmäßige Theilnahme Aller an den Lasten des Gemeinwesens u. dergl. mehr – wird die Tendenz gemeint, diese Möglichkeit vorzubereiten, so ist es allerdings wahr, daß sie sich Bahn zu brechen und sich in legislativen Maaßregeln zu bekunden anfängt; ihr Ursprung aber ist nicht im Humor, sondern in der gewonnenen Erkenntniß dessen zu suchen, was die Zeit und die eigenthümliche Stellung des ungarischen Adels unabweislich fordern. Nun lege ich die Feder nieder. Der Verfasser der pia desideria wird mich stets bereit finden, sie wieder aufzunehmen, sollte sich die Veranlassung darbieten, der verkannten Wahrheit ihr Recht zu vindiciren. Nicht in der Behandlung des Gegenstandes, nicht in der Anmuth der Form und des Styls mag ich mit einem geübten Kämpfer, wie er, in Bewerbung treten, in einer Sprache zumal, die nicht die meinige ist, wohl aber in der Liebe zu diesem Lande und dem Streben, der Sache der Wahrheit, von Vorurtheilen und Uebertreibungen frei, nach Kräften zu dienen. Graf Emil Desewssy. Der Tygodnik literacki über die Westslaven. (Beschluß.) Die einzelnen Zweige der Westslaven, die keine besondere Schriftsprache haben, befinden sich indeß keineswegs in dieser Nothwendigkeit. Ihre Dialekte sind ohne Vergleich weniger von den verwandten Schriftsprachen verschieden, als z. B. die deutschen Dialekte von der deutschen Schriftsprache. Deßhalb ist es schwer zu errathen, aus welchen Gründen man durch die Erschaffung vieler Schriftsprachen die Zerstückelung lieber verewigen, als durch die Annahme der einen oder der andern *) Es würden zum Beispiel eine kleine Stadt mit ein paar tausend Einwohnern, welche nach der Natur der Dinge keine große Masse von Reichthum und Intelligenz repräsentirt, und Comitate mit 300,000 Einwohnern die nämliche Vertretung und Stimme haben.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 143. Augsburg, 22. Mai 1840, S. 1138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_143_18400522/10>, abgerufen am 28.04.2024.