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Allgemeine Zeitung. Nr. 143. Augsburg, 22. Mai 1840.

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jetzt vorhandenen die gegenseitige intellectuelle Annäherung erleichtern will. Wäre es nicht eine aller Anstrengung würdige Sache, sich eine nahverwandte Sprache mit ihrem ganzen Litteraturreichthum anzueignen, und von dieser Grundlage aus in intellectueller Hinsicht einen tüchtigen Schritt vorwärts zu thun, als einen Dialekt auszubilden, der wegen seines geringen Umfangs durchaus keine Zukunft hat, und Zeit und Kraft an Grammatiken und Wörterbüchern zu verschwenden, während das gebildete Europa mit Riesenschritten eine immer höhere Sprosse auf der Leiter der Aufklärung ersteigt? Sollen die kleinen Unterschiede, die zwischen den so nahe verwandten geschriebenen Sprachen und Dialekten bestehen, hievon abhalten? Hätte man allenthalben den Grundsatz angenommen, daß nur die in nichts von dem Volksdialekt sich unterscheidende Schriftsprache ausschließlich fähig sey, die geistigen Bedürfnisse des Volks zu befriedigen, so hätte es sich herausgestellt, daß selbst die Erhebung eines Dialekts zur Schriftsprache diesem Grundsatz kaum entspräche, denn die Dialekte spalten sich von Landschaft zu Landschaft, ja von Ort zu Ort in unendlichen Schattirungen.

"Es ist eine seltsame Sache, daß man, während das gebildete Europa zu dem Zweck der materiellen Annäherung unter den Menschen alle seine Kräfte anstrengt, die geistige Annäherung nicht als eine gleich wichtige Sache zu betrachten scheint; aber noch seltsamer ist es, daß die Aufmunterungen der westlichen Slaven zur Ausbildung jeder einzelnen Provincialeigenthümlichkeit gerade von der Seite uns zukommen, wo die Vortheile einer geistigen Verbindung durch eine gemeinsame Schriftsprache am besten verstanden werden sollten. Wir wünschen aufs eifrigste, ja wir hoffen, daß die westlichen Slaven ohne Rücksicht auf die gute oder böse Absicht dieser Rathgeber vielmehr dem Rath des Correspondenten folgen werden, der durch die Erfahrung fast aller Völker und Zeiten bestätigt ist. Denn wir fragen, wären die Litteraturen der gebildetsten Völker Europa's, der Deutschen, Franzosen und Engländer, zu diesem Glanze gediehen, wenn diese Völker, statt ihre mannichfachen Dialekte in Eine Schriftsprache zu verschmelzen, aus kleingeistiger Provincialeitelkeit jeden derselben einzeln hätten ausbilden wollen? Hätte die deutsche Sprache, wenn sie in eine hannover'sche, schwäbische, österreichische, sächsische, brandenburgische und Gott weiß wie viel andere Sprachen zertheilt gewesen wäre, gegenwärtig eine so reiche Litteratur? wäre sie nicht dem traurigen Loose der dänischen, schwedischen, magyarischen und holländischen Sprache erlegen, in Jahrhunderten nicht zu einer rechten Entwicklung gelangen zu können? Könnten wir jetzt die Schätze der englischen, französischen und deutschen Litteratur mit solcher Leichtigkeit zu unserm geistigen Vortheil verwenden, wenn sie nicht in drei, sondern in dreißig Sprachen niedergelegt wären? Ein Menschenleben wäre zu kurz, um alle diese Sprachen zu lernen.

"Der Correspondent beweist nun seine Behauptung, daß unter den Westslaven im österreichischen Staate sich ein selbstständiges, von dem russischen unabhängiges, intellectuelles Leben entwickle, und weist auf die Früchte desselben hin, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. Indem er aber das gebildete Europa mit der Litteratur der Westslaven bekannt machte, ist es sehr zu bedauern, daß er kein vollständigeres Bild davon entwarf, sondern sich gänzlich auf die böhmische Litteratur beschränkte, als ob nicht unter demselben Scepter Oesterreichs noch einige Millionen Slaven lebten, deren ältere sowohl als neuere Litteratur in der Reihe der europäischen keine gemeine Stelle einnimmt. Es ist vielleicht nicht unpassend, wenn wir dem eifrigen Vorsprecher westslavischer Bildung gegenüber uns erlauben, sen Gemälde der westslavischen Litteratur durch eine kurze Erinnerung an die polnische zu vervollständigen.

Als die europäischen Völker den großen Gedanken faßten die gefallene Bildung der Griechen und Römer mit gemeinsamen Kräften wieder aufzubauen, war eine gegenseitige Annäherung und Aehnlichkeit unvermeidlich. Auch Polen trat in diesen Kreis, und es stand während dieser Assimilationsperiode mehr als Ein Schriftsteller aus seinem Schooße auf, dessen Ideen Europa noch jetzt bewundert. Sobald die bedeutendsten Anforderungen befriedigt waren, begann die Nationallitteratur sie zu entwickeln. Frei, aber langsam erhob sich die polnische Litteratur, denn wenn ihre bedeutendsten Anfänge bis ins 14te Jahrhundert hinaufreichen, so hat sie ihre männliche Reife doch erst in der Mitte des 16ten erlangt. In drei Hauptgegenständen ist sie besonders reich: in den physikalischen Wissenschaften, in dem Rechtswesen und der Geschichte der Nation, und endlich in der Poesie; selbst in den trübsten Zeiten von Johann Casimir, Michael Korybut und den sächsischen Fürsten treten ausgezeichnete Schriftsteller auf, deren geschätzte Werke durch die Bemühungen einiger Litteraturfreunde zum Theil öffentlich erschienen sind, zum bei weitem größern Theil aber noch in den Bibliotheken begraben liegen.

"Die neueste polnische Litteratur entfaltete ihre Kräfte aus der völligen Durchdingung der ältern, und, indem sie die wissenschaftlichen Fortschritte Europa's benützt, schreitet sie mit keckem Schritte vorwärts. Es ist schwierig, die neuere Journallitteratur in einem vollständigen Rahmen zusammenzufassen, - die gegenwärtige Lage des Volks ist diesem Litteraturzweige nicht günstig, - dennoch aber beträgt die Zahl der periodischen Nachrichten aller Art 50 bis 60. Nicht minder bedeutend ist die Zahl der jetzt lebenden Schriftsteller in allen Zweigen der Litteratur. In der mathematischen Wissenschaft zeichnen sich aus Traczkiewitz und Grabinski; in den physikalischen Wissenschaften Felix Jarocki und Andreas Rodwanski; in der Philosophie Trentowski, Michael Wiszniewski und Joseph Kremer; in der Rechtswissenschaft Vincent Bandkie, Danilowicz und Maciejowski; in der Geschichte Lelewel und Wrotnowski; in der Poesie Mickiewicz, Goszczynski, Zaleski und Pohl. Man wird uns wohl nicht der Uebertreibung beschuldigen, wenn wir behaupten, daß, was jetzt lebende Schriftsteller betrifft, die polnische Litteratur jeder slavischen, und in der schönen Litteratur jeder (?) europäischen überlegen ist.

"Noch einige Worte über die Verwandtschaft der polnischen und böhmischen Sprache und das Verhältniß beider Litteraturen. Wem es an vollständiger Kenntniß in diesem Punkte fehlt, kann aus Schaffariks Geschichte der slavischen Sprache und Litteratur ersehen, daß das Polnische dem Böhmischen und dem Slowakischen am nächsten steht. Gelehrte Böhmen nennen ihre vaterländische Sprache die lechitisch-böhmische, und es sind Spuren vorhanden, daß die Dialekte einander einst noch weit näher standen. *)*) Die Litteratur, von der wir oben einen flüchtigen Umriß gaben, begann bei den Böhmen. Das älteste Lied, das wir kennen, sang in unserm Lande ein Böhme, der heilige Woiciech (Adalbert). Mag man nun auch zweifeln, daß das Lied wirklich von dem heiligen Adalbert herrührt, so ist es doch unbestreitbar, daß sich böhmische Ausdrücke darin finden, und daß es das älteste unserer schriftlichen Denkmäler ist. Nach böhmischen Psalmbüchern beteten zu allererst unsere christlichen Vorfahren, und unsere ältesten Psalter weichen nur wenig von den böhmischen ab. Im Jahr 1431 entspann sich ein Disput

*) Hier folgen einige Citationen, die für den Nichtkenner des Slavischen "unverständlich" sind.

jetzt vorhandenen die gegenseitige intellectuelle Annäherung erleichtern will. Wäre es nicht eine aller Anstrengung würdige Sache, sich eine nahverwandte Sprache mit ihrem ganzen Litteraturreichthum anzueignen, und von dieser Grundlage aus in intellectueller Hinsicht einen tüchtigen Schritt vorwärts zu thun, als einen Dialekt auszubilden, der wegen seines geringen Umfangs durchaus keine Zukunft hat, und Zeit und Kraft an Grammatiken und Wörterbüchern zu verschwenden, während das gebildete Europa mit Riesenschritten eine immer höhere Sprosse auf der Leiter der Aufklärung ersteigt? Sollen die kleinen Unterschiede, die zwischen den so nahe verwandten geschriebenen Sprachen und Dialekten bestehen, hievon abhalten? Hätte man allenthalben den Grundsatz angenommen, daß nur die in nichts von dem Volksdialekt sich unterscheidende Schriftsprache ausschließlich fähig sey, die geistigen Bedürfnisse des Volks zu befriedigen, so hätte es sich herausgestellt, daß selbst die Erhebung eines Dialekts zur Schriftsprache diesem Grundsatz kaum entspräche, denn die Dialekte spalten sich von Landschaft zu Landschaft, ja von Ort zu Ort in unendlichen Schattirungen.

„Es ist eine seltsame Sache, daß man, während das gebildete Europa zu dem Zweck der materiellen Annäherung unter den Menschen alle seine Kräfte anstrengt, die geistige Annäherung nicht als eine gleich wichtige Sache zu betrachten scheint; aber noch seltsamer ist es, daß die Aufmunterungen der westlichen Slaven zur Ausbildung jeder einzelnen Provincialeigenthümlichkeit gerade von der Seite uns zukommen, wo die Vortheile einer geistigen Verbindung durch eine gemeinsame Schriftsprache am besten verstanden werden sollten. Wir wünschen aufs eifrigste, ja wir hoffen, daß die westlichen Slaven ohne Rücksicht auf die gute oder böse Absicht dieser Rathgeber vielmehr dem Rath des Correspondenten folgen werden, der durch die Erfahrung fast aller Völker und Zeiten bestätigt ist. Denn wir fragen, wären die Litteraturen der gebildetsten Völker Europa's, der Deutschen, Franzosen und Engländer, zu diesem Glanze gediehen, wenn diese Völker, statt ihre mannichfachen Dialekte in Eine Schriftsprache zu verschmelzen, aus kleingeistiger Provincialeitelkeit jeden derselben einzeln hätten ausbilden wollen? Hätte die deutsche Sprache, wenn sie in eine hannover'sche, schwäbische, österreichische, sächsische, brandenburgische und Gott weiß wie viel andere Sprachen zertheilt gewesen wäre, gegenwärtig eine so reiche Litteratur? wäre sie nicht dem traurigen Loose der dänischen, schwedischen, magyarischen und holländischen Sprache erlegen, in Jahrhunderten nicht zu einer rechten Entwicklung gelangen zu können? Könnten wir jetzt die Schätze der englischen, französischen und deutschen Litteratur mit solcher Leichtigkeit zu unserm geistigen Vortheil verwenden, wenn sie nicht in drei, sondern in dreißig Sprachen niedergelegt wären? Ein Menschenleben wäre zu kurz, um alle diese Sprachen zu lernen.

„Der Correspondent beweist nun seine Behauptung, daß unter den Westslaven im österreichischen Staate sich ein selbstständiges, von dem russischen unabhängiges, intellectuelles Leben entwickle, und weist auf die Früchte desselben hin, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. Indem er aber das gebildete Europa mit der Litteratur der Westslaven bekannt machte, ist es sehr zu bedauern, daß er kein vollständigeres Bild davon entwarf, sondern sich gänzlich auf die böhmische Litteratur beschränkte, als ob nicht unter demselben Scepter Oesterreichs noch einige Millionen Slaven lebten, deren ältere sowohl als neuere Litteratur in der Reihe der europäischen keine gemeine Stelle einnimmt. Es ist vielleicht nicht unpassend, wenn wir dem eifrigen Vorsprecher westslavischer Bildung gegenüber uns erlauben, sen Gemälde der westslavischen Litteratur durch eine kurze Erinnerung an die polnische zu vervollständigen.

Als die europäischen Völker den großen Gedanken faßten die gefallene Bildung der Griechen und Römer mit gemeinsamen Kräften wieder aufzubauen, war eine gegenseitige Annäherung und Aehnlichkeit unvermeidlich. Auch Polen trat in diesen Kreis, und es stand während dieser Assimilationsperiode mehr als Ein Schriftsteller aus seinem Schooße auf, dessen Ideen Europa noch jetzt bewundert. Sobald die bedeutendsten Anforderungen befriedigt waren, begann die Nationallitteratur sie zu entwickeln. Frei, aber langsam erhob sich die polnische Litteratur, denn wenn ihre bedeutendsten Anfänge bis ins 14te Jahrhundert hinaufreichen, so hat sie ihre männliche Reife doch erst in der Mitte des 16ten erlangt. In drei Hauptgegenständen ist sie besonders reich: in den physikalischen Wissenschaften, in dem Rechtswesen und der Geschichte der Nation, und endlich in der Poesie; selbst in den trübsten Zeiten von Johann Casimir, Michael Korybut und den sächsischen Fürsten treten ausgezeichnete Schriftsteller auf, deren geschätzte Werke durch die Bemühungen einiger Litteraturfreunde zum Theil öffentlich erschienen sind, zum bei weitem größern Theil aber noch in den Bibliotheken begraben liegen.

„Die neueste polnische Litteratur entfaltete ihre Kräfte aus der völligen Durchdingung der ältern, und, indem sie die wissenschaftlichen Fortschritte Europa's benützt, schreitet sie mit keckem Schritte vorwärts. Es ist schwierig, die neuere Journallitteratur in einem vollständigen Rahmen zusammenzufassen, – die gegenwärtige Lage des Volks ist diesem Litteraturzweige nicht günstig, – dennoch aber beträgt die Zahl der periodischen Nachrichten aller Art 50 bis 60. Nicht minder bedeutend ist die Zahl der jetzt lebenden Schriftsteller in allen Zweigen der Litteratur. In der mathematischen Wissenschaft zeichnen sich aus Traczkiewitz und Grabinski; in den physikalischen Wissenschaften Felix Jarocki und Andreas Rodwanski; in der Philosophie Trentowski, Michael Wiszniewski und Joseph Kremer; in der Rechtswissenschaft Vincent Bandkie, Danilowicz und Maciejowski; in der Geschichte Lelewel und Wrotnowski; in der Poesie Mickiewicz, Goszczynski, Zaleski und Pohl. Man wird uns wohl nicht der Uebertreibung beschuldigen, wenn wir behaupten, daß, was jetzt lebende Schriftsteller betrifft, die polnische Litteratur jeder slavischen, und in der schönen Litteratur jeder (?) europäischen überlegen ist.

„Noch einige Worte über die Verwandtschaft der polnischen und böhmischen Sprache und das Verhältniß beider Litteraturen. Wem es an vollständiger Kenntniß in diesem Punkte fehlt, kann aus Schaffariks Geschichte der slavischen Sprache und Litteratur ersehen, daß das Polnische dem Böhmischen und dem Slowakischen am nächsten steht. Gelehrte Böhmen nennen ihre vaterländische Sprache die lechitisch-böhmische, und es sind Spuren vorhanden, daß die Dialekte einander einst noch weit näher standen. *)*) Die Litteratur, von der wir oben einen flüchtigen Umriß gaben, begann bei den Böhmen. Das älteste Lied, das wir kennen, sang in unserm Lande ein Böhme, der heilige Woiciech (Adalbert). Mag man nun auch zweifeln, daß das Lied wirklich von dem heiligen Adalbert herrührt, so ist es doch unbestreitbar, daß sich böhmische Ausdrücke darin finden, und daß es das älteste unserer schriftlichen Denkmäler ist. Nach böhmischen Psalmbüchern beteten zu allererst unsere christlichen Vorfahren, und unsere ältesten Psalter weichen nur wenig von den böhmischen ab. Im Jahr 1431 entspann sich ein Disput

*) Hier folgen einige Citationen, die für den Nichtkenner des Slavischen „unverständlich“ sind.
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[1139/0011] jetzt vorhandenen die gegenseitige intellectuelle Annäherung erleichtern will. Wäre es nicht eine aller Anstrengung würdige Sache, sich eine nahverwandte Sprache mit ihrem ganzen Litteraturreichthum anzueignen, und von dieser Grundlage aus in intellectueller Hinsicht einen tüchtigen Schritt vorwärts zu thun, als einen Dialekt auszubilden, der wegen seines geringen Umfangs durchaus keine Zukunft hat, und Zeit und Kraft an Grammatiken und Wörterbüchern zu verschwenden, während das gebildete Europa mit Riesenschritten eine immer höhere Sprosse auf der Leiter der Aufklärung ersteigt? Sollen die kleinen Unterschiede, die zwischen den so nahe verwandten geschriebenen Sprachen und Dialekten bestehen, hievon abhalten? Hätte man allenthalben den Grundsatz angenommen, daß nur die in nichts von dem Volksdialekt sich unterscheidende Schriftsprache ausschließlich fähig sey, die geistigen Bedürfnisse des Volks zu befriedigen, so hätte es sich herausgestellt, daß selbst die Erhebung eines Dialekts zur Schriftsprache diesem Grundsatz kaum entspräche, denn die Dialekte spalten sich von Landschaft zu Landschaft, ja von Ort zu Ort in unendlichen Schattirungen. „Es ist eine seltsame Sache, daß man, während das gebildete Europa zu dem Zweck der materiellen Annäherung unter den Menschen alle seine Kräfte anstrengt, die geistige Annäherung nicht als eine gleich wichtige Sache zu betrachten scheint; aber noch seltsamer ist es, daß die Aufmunterungen der westlichen Slaven zur Ausbildung jeder einzelnen Provincialeigenthümlichkeit gerade von der Seite uns zukommen, wo die Vortheile einer geistigen Verbindung durch eine gemeinsame Schriftsprache am besten verstanden werden sollten. Wir wünschen aufs eifrigste, ja wir hoffen, daß die westlichen Slaven ohne Rücksicht auf die gute oder böse Absicht dieser Rathgeber vielmehr dem Rath des Correspondenten folgen werden, der durch die Erfahrung fast aller Völker und Zeiten bestätigt ist. Denn wir fragen, wären die Litteraturen der gebildetsten Völker Europa's, der Deutschen, Franzosen und Engländer, zu diesem Glanze gediehen, wenn diese Völker, statt ihre mannichfachen Dialekte in Eine Schriftsprache zu verschmelzen, aus kleingeistiger Provincialeitelkeit jeden derselben einzeln hätten ausbilden wollen? Hätte die deutsche Sprache, wenn sie in eine hannover'sche, schwäbische, österreichische, sächsische, brandenburgische und Gott weiß wie viel andere Sprachen zertheilt gewesen wäre, gegenwärtig eine so reiche Litteratur? wäre sie nicht dem traurigen Loose der dänischen, schwedischen, magyarischen und holländischen Sprache erlegen, in Jahrhunderten nicht zu einer rechten Entwicklung gelangen zu können? Könnten wir jetzt die Schätze der englischen, französischen und deutschen Litteratur mit solcher Leichtigkeit zu unserm geistigen Vortheil verwenden, wenn sie nicht in drei, sondern in dreißig Sprachen niedergelegt wären? Ein Menschenleben wäre zu kurz, um alle diese Sprachen zu lernen. „Der Correspondent beweist nun seine Behauptung, daß unter den Westslaven im österreichischen Staate sich ein selbstständiges, von dem russischen unabhängiges, intellectuelles Leben entwickle, und weist auf die Früchte desselben hin, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. Indem er aber das gebildete Europa mit der Litteratur der Westslaven bekannt machte, ist es sehr zu bedauern, daß er kein vollständigeres Bild davon entwarf, sondern sich gänzlich auf die böhmische Litteratur beschränkte, als ob nicht unter demselben Scepter Oesterreichs noch einige Millionen Slaven lebten, deren ältere sowohl als neuere Litteratur in der Reihe der europäischen keine gemeine Stelle einnimmt. Es ist vielleicht nicht unpassend, wenn wir dem eifrigen Vorsprecher westslavischer Bildung gegenüber uns erlauben, sen Gemälde der westslavischen Litteratur durch eine kurze Erinnerung an die polnische zu vervollständigen. Als die europäischen Völker den großen Gedanken faßten die gefallene Bildung der Griechen und Römer mit gemeinsamen Kräften wieder aufzubauen, war eine gegenseitige Annäherung und Aehnlichkeit unvermeidlich. Auch Polen trat in diesen Kreis, und es stand während dieser Assimilationsperiode mehr als Ein Schriftsteller aus seinem Schooße auf, dessen Ideen Europa noch jetzt bewundert. Sobald die bedeutendsten Anforderungen befriedigt waren, begann die Nationallitteratur sie zu entwickeln. Frei, aber langsam erhob sich die polnische Litteratur, denn wenn ihre bedeutendsten Anfänge bis ins 14te Jahrhundert hinaufreichen, so hat sie ihre männliche Reife doch erst in der Mitte des 16ten erlangt. In drei Hauptgegenständen ist sie besonders reich: in den physikalischen Wissenschaften, in dem Rechtswesen und der Geschichte der Nation, und endlich in der Poesie; selbst in den trübsten Zeiten von Johann Casimir, Michael Korybut und den sächsischen Fürsten treten ausgezeichnete Schriftsteller auf, deren geschätzte Werke durch die Bemühungen einiger Litteraturfreunde zum Theil öffentlich erschienen sind, zum bei weitem größern Theil aber noch in den Bibliotheken begraben liegen. „Die neueste polnische Litteratur entfaltete ihre Kräfte aus der völligen Durchdingung der ältern, und, indem sie die wissenschaftlichen Fortschritte Europa's benützt, schreitet sie mit keckem Schritte vorwärts. Es ist schwierig, die neuere Journallitteratur in einem vollständigen Rahmen zusammenzufassen, – die gegenwärtige Lage des Volks ist diesem Litteraturzweige nicht günstig, – dennoch aber beträgt die Zahl der periodischen Nachrichten aller Art 50 bis 60. Nicht minder bedeutend ist die Zahl der jetzt lebenden Schriftsteller in allen Zweigen der Litteratur. In der mathematischen Wissenschaft zeichnen sich aus Traczkiewitz und Grabinski; in den physikalischen Wissenschaften Felix Jarocki und Andreas Rodwanski; in der Philosophie Trentowski, Michael Wiszniewski und Joseph Kremer; in der Rechtswissenschaft Vincent Bandkie, Danilowicz und Maciejowski; in der Geschichte Lelewel und Wrotnowski; in der Poesie Mickiewicz, Goszczynski, Zaleski und Pohl. Man wird uns wohl nicht der Uebertreibung beschuldigen, wenn wir behaupten, daß, was jetzt lebende Schriftsteller betrifft, die polnische Litteratur jeder slavischen, und in der schönen Litteratur jeder (?) europäischen überlegen ist. „Noch einige Worte über die Verwandtschaft der polnischen und böhmischen Sprache und das Verhältniß beider Litteraturen. Wem es an vollständiger Kenntniß in diesem Punkte fehlt, kann aus Schaffariks Geschichte der slavischen Sprache und Litteratur ersehen, daß das Polnische dem Böhmischen und dem Slowakischen am nächsten steht. Gelehrte Böhmen nennen ihre vaterländische Sprache die lechitisch-böhmische, und es sind Spuren vorhanden, daß die Dialekte einander einst noch weit näher standen. *) *) Die Litteratur, von der wir oben einen flüchtigen Umriß gaben, begann bei den Böhmen. Das älteste Lied, das wir kennen, sang in unserm Lande ein Böhme, der heilige Woiciech (Adalbert). Mag man nun auch zweifeln, daß das Lied wirklich von dem heiligen Adalbert herrührt, so ist es doch unbestreitbar, daß sich böhmische Ausdrücke darin finden, und daß es das älteste unserer schriftlichen Denkmäler ist. Nach böhmischen Psalmbüchern beteten zu allererst unsere christlichen Vorfahren, und unsere ältesten Psalter weichen nur wenig von den böhmischen ab. Im Jahr 1431 entspann sich ein Disput *) Hier folgen einige Citationen, die für den Nichtkenner des Slavischen „unverständlich“ sind.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 143. Augsburg, 22. Mai 1840, S. 1139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_143_18400522/11>, abgerufen am 21.11.2024.