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Allgemeine Zeitung. Nr. 143. Augsburg, 22. Mai 1840.

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Ungarn und der Reichstag.

(Beschluß.) Ich gehöre weder zur Opposition, noch zu denjenigen, die da glauben, der Umsturz und der Untergang stehe vor der Thüre, weil Manches gegen Wunsch geht. Ich habe keinen Theil an den Mißgriffen, welche die Parteien begangen, noch an den Verdiensten, die sie sich erworben haben. Ich bin entfernt davon, das Gute, was bei uns zu Stande kam, ausschließlich für die Opposition zu vindiciren. Ich vindicire nur der Wahrheit ihr Recht, und darum muß zugegeben werden, daß die Opposition dazu redlich mitgewirkt hat. Ich will nicht in Abrede stellen, daß sie durch begangene Mißgriffe und Uebertreibungen der Sache des Fortschritts geschadet hat, aber fragen will ich, ob diesen Uebertreibungen keine Unterlassungen gegenüber stehen? Fragen will ich den Leser, ob, als allgemeine Richtung betrachtet, die Tendenz, die Nationalität zu heben, zu veredeln, die freie selbstständige Verfassung zu erhalten, die Freiheit der Discussion in Versammlungen sowohl als im Wege der Presse, die Freiheit des Gewissens durch gleiche Behandlung der Bekenner aller christlichen Confessionen und Aufstellung humanerer Grundsätze in Bezug auf die Bekenner des mosaischen Glaubens, zu sichern - im Besonderen aber, ob die Tendenz den Rechtszustand des Bauers gesetzlich festzustellen, seine moralische Lage durch humanere Behandlung heben, ihm den Weg zur Erwerbung des Grundeigenthums öffnen, die Wohlthaten des Unterrichts auf ihn ausdehnen, die Gerechtigkeitspflege überhaupt rascher, wirksamer und wohlfeiler machen zu wollen, dem landtäglich nicht vertretenen Bauer die Kosten dieser Vertretung, die er getragen hat, abzunehmen, der Industrie durch die gegebene Möglichkeit zur Erschaffung rascher Communicationsmittel einen Impuls zu geben, dem Privilegium der Mauthfreiheit zum Vortheil dieser letzteren zu entsagen und dergleichen - ich frage ob Tendenzen dieser Art, in der übrigen Welt Absolutismus der Privilegirten genannt werden? Solche Tendenzen nennt, so viel mir bekannt, die Opposition bei uns liberal - ein vages Wort, dessen Bedeutung nach Zeit, Ort und Umständen wechselt und zu keinem Maaßstab der Beurtheilung dienen kann, sobald sich's vom Werth oder Unwerth legislativer Maaßregeln handelt. Da kommt es darauf an, ob diese zweckmäßig, politisch, nothwendig und zeitgemäß, hauptsächlich aber darauf, ob sie wirksam sind oder nicht. Nun denn, da der Verfasser auf dem Felde der Thatsachen stehen bleiben will, so erlaube ich mir ihn zu fragen: hat er die politische Bedeutung des letzten Urbarialgesetzes, als eine zum Schutze der zahlreichsten Classe der Landesbewohner von den Privilegirten ausgegangene Maaßregel betrachtet, erwogen? Hat er die Folgen jener Bestimmungen auf den Flor des Ackerbaues, welche die sogenannte Commassation oder Zusammenlegung bäuerlicher und adeliger Gründe zum Gegenstand haben, einiger Aufmerksamkeit gewürdigt? Hat er die Wirksamkeit der letzten Urbarialgesetze in verschiedenen Theilen des Landes in praxi beobachtet? Hat er die Wirksamkeit des neuen Gesetzes, welches vom summarischen Verfahren in Schuldprocessen handelt, gesehen? Hat er den Keim fernerer Entwicklung in den Grundsätzen erkannt, die in den zwei Gesetzen über die Kosten des Landtags und die Eisenbahnen enthalten sind? Ich bin in der Lage, in der Nähe beobachten zu können, und kann den Verfasser versichern, daß, um nur einige Beispiele zu erwähnen, die letzten Urbarialgesetze dem Bauer auch in ihrer Anwendung den beabsichtigten Schutz gewähren, und seiner Thätigkeit einen heilsamen Impuls gegeben haben, während der Einfluß humanerer Behandlung auf seinen sittlichen Zustand bemerkbar zu werden beginnt. Dieß sind nicht Folgen materieller Zugeständnisse, die man ihm gemacht, sondern der Grundsätze der Gerechtigkeit und Humanität, die man auf ihn angewendet hat. Diese Gesetze haben nicht den Zweck, die Lage des Bauers durch materielle Concessionen zu verbessern, sie haben den Zweck ihn gegen Willkür zu schützen, ihm eine gesetzlich festgesetzte Stellung in der ungarischen Staatsgesellschaft anzuweisen, und diesen haben sie erreicht. Die Privilegirten haben dem Bauer einen Rechtszustand gegeben, den er früher nicht gehabt, sie haben eine humanere Behandlung in Beziehung auf ihn eingeführt, sie haben die Strafart mit dem Stocke bei Urbarialvergehen abgeschafft, sie haben es möglich gemacht, daß in den Herzen von acht Millionen Menschen das Ehrgefühl lebendig erhalten und das Streben nach Erhebung zu sittlicher Würde nicht unterdrückt werde. Das haben die Privilegirten gethan - nicht freiwillig, denn die moralische Verpflichtung und die politische Nothwendigkeit war vorhanden; aber das Verdienst liegt darin, diese erkannt und dem gemäß gehandelt zu haben.

Hier sind Thatsachen, die nur geläugnet, nicht widerlegt werden können, will man anders es der Mühe werth erachten, die betreffenden Gesetze kennen zu lernen und ihre Wirksamkeit in praxi zu beobachten. - Was die Wirkungen des Gesetzes über summarisches Verfahren in Schuldprocessen betrifft, so sind mir viele Fälle bekannt, daß Gläubiger auf diesem Wege in Betreff bedeutender Forderungen mit einer Raschheit befriedigt wurden, die dem Verfahren in Wechselprocessen nicht nachsteht. - Hier stehen wir auf dem Felde der Thatsachen, und auf diesen Standpunkt will ich die magyarische Polemik stellen, auf den nämlich, daß man gegen Alle gerecht seyn muß, wenn man will, daß unsern Meinungen die Anerkennung werde, die sie ansprechen, auf den ferner, daß die einzig mögliche Art der ungarischen Regeneration, in der mit nöthiger Ueberlegung fortgesetzten Verfolgung progressiver Verbesserungen mit Rücksicht auf den Zusammenhang aller Verhältnisse bestehe; - auf den endlich, daß wo es sich von Beziehungen der Regierung zu den Ständen oder einer Fraction derselben handelt, nur die Sprache der Mäßigung geeignet ist, Vorurtheile zu beseitigen, Vertrauen zu erwecken und die Aufregung der Gemüther zu beschwichtigen. Ich bestreite das Vorhandenseyn der Uebel nicht, welche der Verfasser aufdeckt, aber es würde mich zu weit führen, sie hier auf ihr wahres Maaß zurückzubringen. Ich behaupte nicht, solche vor dem Auslande zu enthüllen sey Injurie. Im Gegentheil, ich nehme jede Discussion, jede Wahrheit, jeden Wink zum Bessern, mit Dank auf; aber wahren Erfolg verspreche ich mir nur von den Waffen der Vernunft und Ueberlegung, nicht von jenen, welche Partei-Ansichten und die davon unzertrennliche Einseitigkeit und Uebertreibung uns an die Hand zu geben pflegen.

Was die Städtefrage betrifft, so erkenne ich ihre ganze Wichtigkeit an. Ich lebe der Ueberzeugung, daß die Privilegirten dem Bürgerstande jene Stellung, auf die er gerechten Anspruch hat, im gesetzlichen Wege schon in nächster Zukunft einräumen werden. Es wird nicht freiwillig geschehen, denn die politische Nothwendigkeit dazu ist bereits vorhanden und kann nicht mehr länger unbeachtet bleiben. Meiner Ansicht

Ungarn und der Reichstag.

(Beschluß.) Ich gehöre weder zur Opposition, noch zu denjenigen, die da glauben, der Umsturz und der Untergang stehe vor der Thüre, weil Manches gegen Wunsch geht. Ich habe keinen Theil an den Mißgriffen, welche die Parteien begangen, noch an den Verdiensten, die sie sich erworben haben. Ich bin entfernt davon, das Gute, was bei uns zu Stande kam, ausschließlich für die Opposition zu vindiciren. Ich vindicire nur der Wahrheit ihr Recht, und darum muß zugegeben werden, daß die Opposition dazu redlich mitgewirkt hat. Ich will nicht in Abrede stellen, daß sie durch begangene Mißgriffe und Uebertreibungen der Sache des Fortschritts geschadet hat, aber fragen will ich, ob diesen Uebertreibungen keine Unterlassungen gegenüber stehen? Fragen will ich den Leser, ob, als allgemeine Richtung betrachtet, die Tendenz, die Nationalität zu heben, zu veredeln, die freie selbstständige Verfassung zu erhalten, die Freiheit der Discussion in Versammlungen sowohl als im Wege der Presse, die Freiheit des Gewissens durch gleiche Behandlung der Bekenner aller christlichen Confessionen und Aufstellung humanerer Grundsätze in Bezug auf die Bekenner des mosaischen Glaubens, zu sichern – im Besonderen aber, ob die Tendenz den Rechtszustand des Bauers gesetzlich festzustellen, seine moralische Lage durch humanere Behandlung heben, ihm den Weg zur Erwerbung des Grundeigenthums öffnen, die Wohlthaten des Unterrichts auf ihn ausdehnen, die Gerechtigkeitspflege überhaupt rascher, wirksamer und wohlfeiler machen zu wollen, dem landtäglich nicht vertretenen Bauer die Kosten dieser Vertretung, die er getragen hat, abzunehmen, der Industrie durch die gegebene Möglichkeit zur Erschaffung rascher Communicationsmittel einen Impuls zu geben, dem Privilegium der Mauthfreiheit zum Vortheil dieser letzteren zu entsagen und dergleichen – ich frage ob Tendenzen dieser Art, in der übrigen Welt Absolutismus der Privilegirten genannt werden? Solche Tendenzen nennt, so viel mir bekannt, die Opposition bei uns liberal – ein vages Wort, dessen Bedeutung nach Zeit, Ort und Umständen wechselt und zu keinem Maaßstab der Beurtheilung dienen kann, sobald sich's vom Werth oder Unwerth legislativer Maaßregeln handelt. Da kommt es darauf an, ob diese zweckmäßig, politisch, nothwendig und zeitgemäß, hauptsächlich aber darauf, ob sie wirksam sind oder nicht. Nun denn, da der Verfasser auf dem Felde der Thatsachen stehen bleiben will, so erlaube ich mir ihn zu fragen: hat er die politische Bedeutung des letzten Urbarialgesetzes, als eine zum Schutze der zahlreichsten Classe der Landesbewohner von den Privilegirten ausgegangene Maaßregel betrachtet, erwogen? Hat er die Folgen jener Bestimmungen auf den Flor des Ackerbaues, welche die sogenannte Commassation oder Zusammenlegung bäuerlicher und adeliger Gründe zum Gegenstand haben, einiger Aufmerksamkeit gewürdigt? Hat er die Wirksamkeit der letzten Urbarialgesetze in verschiedenen Theilen des Landes in praxi beobachtet? Hat er die Wirksamkeit des neuen Gesetzes, welches vom summarischen Verfahren in Schuldprocessen handelt, gesehen? Hat er den Keim fernerer Entwicklung in den Grundsätzen erkannt, die in den zwei Gesetzen über die Kosten des Landtags und die Eisenbahnen enthalten sind? Ich bin in der Lage, in der Nähe beobachten zu können, und kann den Verfasser versichern, daß, um nur einige Beispiele zu erwähnen, die letzten Urbarialgesetze dem Bauer auch in ihrer Anwendung den beabsichtigten Schutz gewähren, und seiner Thätigkeit einen heilsamen Impuls gegeben haben, während der Einfluß humanerer Behandlung auf seinen sittlichen Zustand bemerkbar zu werden beginnt. Dieß sind nicht Folgen materieller Zugeständnisse, die man ihm gemacht, sondern der Grundsätze der Gerechtigkeit und Humanität, die man auf ihn angewendet hat. Diese Gesetze haben nicht den Zweck, die Lage des Bauers durch materielle Concessionen zu verbessern, sie haben den Zweck ihn gegen Willkür zu schützen, ihm eine gesetzlich festgesetzte Stellung in der ungarischen Staatsgesellschaft anzuweisen, und diesen haben sie erreicht. Die Privilegirten haben dem Bauer einen Rechtszustand gegeben, den er früher nicht gehabt, sie haben eine humanere Behandlung in Beziehung auf ihn eingeführt, sie haben die Strafart mit dem Stocke bei Urbarialvergehen abgeschafft, sie haben es möglich gemacht, daß in den Herzen von acht Millionen Menschen das Ehrgefühl lebendig erhalten und das Streben nach Erhebung zu sittlicher Würde nicht unterdrückt werde. Das haben die Privilegirten gethan – nicht freiwillig, denn die moralische Verpflichtung und die politische Nothwendigkeit war vorhanden; aber das Verdienst liegt darin, diese erkannt und dem gemäß gehandelt zu haben.

Hier sind Thatsachen, die nur geläugnet, nicht widerlegt werden können, will man anders es der Mühe werth erachten, die betreffenden Gesetze kennen zu lernen und ihre Wirksamkeit in praxi zu beobachten. – Was die Wirkungen des Gesetzes über summarisches Verfahren in Schuldprocessen betrifft, so sind mir viele Fälle bekannt, daß Gläubiger auf diesem Wege in Betreff bedeutender Forderungen mit einer Raschheit befriedigt wurden, die dem Verfahren in Wechselprocessen nicht nachsteht. – Hier stehen wir auf dem Felde der Thatsachen, und auf diesen Standpunkt will ich die magyarische Polemik stellen, auf den nämlich, daß man gegen Alle gerecht seyn muß, wenn man will, daß unsern Meinungen die Anerkennung werde, die sie ansprechen, auf den ferner, daß die einzig mögliche Art der ungarischen Regeneration, in der mit nöthiger Ueberlegung fortgesetzten Verfolgung progressiver Verbesserungen mit Rücksicht auf den Zusammenhang aller Verhältnisse bestehe; – auf den endlich, daß wo es sich von Beziehungen der Regierung zu den Ständen oder einer Fraction derselben handelt, nur die Sprache der Mäßigung geeignet ist, Vorurtheile zu beseitigen, Vertrauen zu erwecken und die Aufregung der Gemüther zu beschwichtigen. Ich bestreite das Vorhandenseyn der Uebel nicht, welche der Verfasser aufdeckt, aber es würde mich zu weit führen, sie hier auf ihr wahres Maaß zurückzubringen. Ich behaupte nicht, solche vor dem Auslande zu enthüllen sey Injurie. Im Gegentheil, ich nehme jede Discussion, jede Wahrheit, jeden Wink zum Bessern, mit Dank auf; aber wahren Erfolg verspreche ich mir nur von den Waffen der Vernunft und Ueberlegung, nicht von jenen, welche Partei-Ansichten und die davon unzertrennliche Einseitigkeit und Uebertreibung uns an die Hand zu geben pflegen.

Was die Städtefrage betrifft, so erkenne ich ihre ganze Wichtigkeit an. Ich lebe der Ueberzeugung, daß die Privilegirten dem Bürgerstande jene Stellung, auf die er gerechten Anspruch hat, im gesetzlichen Wege schon in nächster Zukunft einräumen werden. Es wird nicht freiwillig geschehen, denn die politische Nothwendigkeit dazu ist bereits vorhanden und kann nicht mehr länger unbeachtet bleiben. Meiner Ansicht

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[1137/0009] Ungarn und der Reichstag. _ Nieder-Ungarn, Ende April. (Beschluß.) Ich gehöre weder zur Opposition, noch zu denjenigen, die da glauben, der Umsturz und der Untergang stehe vor der Thüre, weil Manches gegen Wunsch geht. Ich habe keinen Theil an den Mißgriffen, welche die Parteien begangen, noch an den Verdiensten, die sie sich erworben haben. Ich bin entfernt davon, das Gute, was bei uns zu Stande kam, ausschließlich für die Opposition zu vindiciren. Ich vindicire nur der Wahrheit ihr Recht, und darum muß zugegeben werden, daß die Opposition dazu redlich mitgewirkt hat. Ich will nicht in Abrede stellen, daß sie durch begangene Mißgriffe und Uebertreibungen der Sache des Fortschritts geschadet hat, aber fragen will ich, ob diesen Uebertreibungen keine Unterlassungen gegenüber stehen? Fragen will ich den Leser, ob, als allgemeine Richtung betrachtet, die Tendenz, die Nationalität zu heben, zu veredeln, die freie selbstständige Verfassung zu erhalten, die Freiheit der Discussion in Versammlungen sowohl als im Wege der Presse, die Freiheit des Gewissens durch gleiche Behandlung der Bekenner aller christlichen Confessionen und Aufstellung humanerer Grundsätze in Bezug auf die Bekenner des mosaischen Glaubens, zu sichern – im Besonderen aber, ob die Tendenz den Rechtszustand des Bauers gesetzlich festzustellen, seine moralische Lage durch humanere Behandlung heben, ihm den Weg zur Erwerbung des Grundeigenthums öffnen, die Wohlthaten des Unterrichts auf ihn ausdehnen, die Gerechtigkeitspflege überhaupt rascher, wirksamer und wohlfeiler machen zu wollen, dem landtäglich nicht vertretenen Bauer die Kosten dieser Vertretung, die er getragen hat, abzunehmen, der Industrie durch die gegebene Möglichkeit zur Erschaffung rascher Communicationsmittel einen Impuls zu geben, dem Privilegium der Mauthfreiheit zum Vortheil dieser letzteren zu entsagen und dergleichen – ich frage ob Tendenzen dieser Art, in der übrigen Welt Absolutismus der Privilegirten genannt werden? Solche Tendenzen nennt, so viel mir bekannt, die Opposition bei uns liberal – ein vages Wort, dessen Bedeutung nach Zeit, Ort und Umständen wechselt und zu keinem Maaßstab der Beurtheilung dienen kann, sobald sich's vom Werth oder Unwerth legislativer Maaßregeln handelt. Da kommt es darauf an, ob diese zweckmäßig, politisch, nothwendig und zeitgemäß, hauptsächlich aber darauf, ob sie wirksam sind oder nicht. Nun denn, da der Verfasser auf dem Felde der Thatsachen stehen bleiben will, so erlaube ich mir ihn zu fragen: hat er die politische Bedeutung des letzten Urbarialgesetzes, als eine zum Schutze der zahlreichsten Classe der Landesbewohner von den Privilegirten ausgegangene Maaßregel betrachtet, erwogen? Hat er die Folgen jener Bestimmungen auf den Flor des Ackerbaues, welche die sogenannte Commassation oder Zusammenlegung bäuerlicher und adeliger Gründe zum Gegenstand haben, einiger Aufmerksamkeit gewürdigt? Hat er die Wirksamkeit der letzten Urbarialgesetze in verschiedenen Theilen des Landes in praxi beobachtet? Hat er die Wirksamkeit des neuen Gesetzes, welches vom summarischen Verfahren in Schuldprocessen handelt, gesehen? Hat er den Keim fernerer Entwicklung in den Grundsätzen erkannt, die in den zwei Gesetzen über die Kosten des Landtags und die Eisenbahnen enthalten sind? Ich bin in der Lage, in der Nähe beobachten zu können, und kann den Verfasser versichern, daß, um nur einige Beispiele zu erwähnen, die letzten Urbarialgesetze dem Bauer auch in ihrer Anwendung den beabsichtigten Schutz gewähren, und seiner Thätigkeit einen heilsamen Impuls gegeben haben, während der Einfluß humanerer Behandlung auf seinen sittlichen Zustand bemerkbar zu werden beginnt. Dieß sind nicht Folgen materieller Zugeständnisse, die man ihm gemacht, sondern der Grundsätze der Gerechtigkeit und Humanität, die man auf ihn angewendet hat. Diese Gesetze haben nicht den Zweck, die Lage des Bauers durch materielle Concessionen zu verbessern, sie haben den Zweck ihn gegen Willkür zu schützen, ihm eine gesetzlich festgesetzte Stellung in der ungarischen Staatsgesellschaft anzuweisen, und diesen haben sie erreicht. Die Privilegirten haben dem Bauer einen Rechtszustand gegeben, den er früher nicht gehabt, sie haben eine humanere Behandlung in Beziehung auf ihn eingeführt, sie haben die Strafart mit dem Stocke bei Urbarialvergehen abgeschafft, sie haben es möglich gemacht, daß in den Herzen von acht Millionen Menschen das Ehrgefühl lebendig erhalten und das Streben nach Erhebung zu sittlicher Würde nicht unterdrückt werde. Das haben die Privilegirten gethan – nicht freiwillig, denn die moralische Verpflichtung und die politische Nothwendigkeit war vorhanden; aber das Verdienst liegt darin, diese erkannt und dem gemäß gehandelt zu haben. Hier sind Thatsachen, die nur geläugnet, nicht widerlegt werden können, will man anders es der Mühe werth erachten, die betreffenden Gesetze kennen zu lernen und ihre Wirksamkeit in praxi zu beobachten. – Was die Wirkungen des Gesetzes über summarisches Verfahren in Schuldprocessen betrifft, so sind mir viele Fälle bekannt, daß Gläubiger auf diesem Wege in Betreff bedeutender Forderungen mit einer Raschheit befriedigt wurden, die dem Verfahren in Wechselprocessen nicht nachsteht. – Hier stehen wir auf dem Felde der Thatsachen, und auf diesen Standpunkt will ich die magyarische Polemik stellen, auf den nämlich, daß man gegen Alle gerecht seyn muß, wenn man will, daß unsern Meinungen die Anerkennung werde, die sie ansprechen, auf den ferner, daß die einzig mögliche Art der ungarischen Regeneration, in der mit nöthiger Ueberlegung fortgesetzten Verfolgung progressiver Verbesserungen mit Rücksicht auf den Zusammenhang aller Verhältnisse bestehe; – auf den endlich, daß wo es sich von Beziehungen der Regierung zu den Ständen oder einer Fraction derselben handelt, nur die Sprache der Mäßigung geeignet ist, Vorurtheile zu beseitigen, Vertrauen zu erwecken und die Aufregung der Gemüther zu beschwichtigen. Ich bestreite das Vorhandenseyn der Uebel nicht, welche der Verfasser aufdeckt, aber es würde mich zu weit führen, sie hier auf ihr wahres Maaß zurückzubringen. Ich behaupte nicht, solche vor dem Auslande zu enthüllen sey Injurie. Im Gegentheil, ich nehme jede Discussion, jede Wahrheit, jeden Wink zum Bessern, mit Dank auf; aber wahren Erfolg verspreche ich mir nur von den Waffen der Vernunft und Ueberlegung, nicht von jenen, welche Partei-Ansichten und die davon unzertrennliche Einseitigkeit und Uebertreibung uns an die Hand zu geben pflegen. Was die Städtefrage betrifft, so erkenne ich ihre ganze Wichtigkeit an. Ich lebe der Ueberzeugung, daß die Privilegirten dem Bürgerstande jene Stellung, auf die er gerechten Anspruch hat, im gesetzlichen Wege schon in nächster Zukunft einräumen werden. Es wird nicht freiwillig geschehen, denn die politische Nothwendigkeit dazu ist bereits vorhanden und kann nicht mehr länger unbeachtet bleiben. Meiner Ansicht

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 143. Augsburg, 22. Mai 1840, S. 1137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_143_18400522/9>, abgerufen am 28.04.2024.