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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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haben können. Nun aber bestehet auch die al-
lerweitläufftigste Erzehlung aus solchen allgemei-
nen Worten: man kan also daraus ermessen, wie
vieles der Zuschauer bey Erzeugung seiner Erzeh-
lung bey sich und im Sinne behalten habe; weil
nehmlich solches alles zu erzehlen nicht möglich ist.

§. 5.
Vermengung seiner Empfindungen mit den
innerlichen Eigenschafften.

Wenn wir eine Sache nicht ohne Bewe-
gung
empfunden haben, so pflegen wir an statt
die blosse Sache zu beschreiben, die Bewegung,
die wir gehabt, in die Sache mit einzuflechten.
So sagt man: Der Löwe macht ein fürchterli-
ches
Gebrülle: man siehet eine schreckliche
Feuersbrunst: der Fisch Torpedo hat eine wun-
derbare
Würckung, nehmlich durch das blosse
Anrühren Krampff zu verursachen: dieses oder
jenes hat eine altväterische Gestalt. Man sie-
het, daß alle diese Beywörter nicht die innerli-
chen Eigenschafften der Dinge, sondern die Be-
wegungen, die durch ihre Vorstellung in der
Seele entstehen, anzeigen. Solche Verwicke-
lungen sind in Geschichten nicht zu vermeiden:
weil nehmlich in der Erzehlung nicht sowohl un-
mittelbar die Begebenheit selbst, als die Vor-
stellung
davon (§. 14. C. 1.), und zwar wie sie
in dem Gedächtnisse hafften bleibet (§. 1.), aus-
gedruckt wird. Wer hierbey einen Anstoß hat,
der darf sich nur erinnern, daß der Zuschauer ein-
mahl eine Hauptsache bey der Geschichte ist (§. 1.

C. 5.):
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v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
haben koͤnnen. Nun aber beſtehet auch die al-
lerweitlaͤufftigſte Erzehlung aus ſolchen allgemei-
nen Worten: man kan alſo daraus ermeſſen, wie
vieles der Zuſchauer bey Erzeugung ſeiner Erzeh-
lung bey ſich und im Sinne behalten habe; weil
nehmlich ſolches alles zu erzehlen nicht moͤglich iſt.

§. 5.
Vermengung ſeiner Empfindungen mit den
innerlichen Eigenſchafften.

Wenn wir eine Sache nicht ohne Bewe-
gung
empfunden haben, ſo pflegen wir an ſtatt
die bloſſe Sache zu beſchreiben, die Bewegung,
die wir gehabt, in die Sache mit einzuflechten.
So ſagt man: Der Loͤwe macht ein fuͤrchterli-
ches
Gebruͤlle: man ſiehet eine ſchreckliche
Feuersbrunſt: der Fiſch Torpedo hat eine wun-
derbare
Wuͤrckung, nehmlich durch das bloſſe
Anruͤhren Krampff zu verurſachen: dieſes oder
jenes hat eine altvaͤteriſche Geſtalt. Man ſie-
het, daß alle dieſe Beywoͤrter nicht die innerli-
chen Eigenſchafften der Dinge, ſondern die Be-
wegungen, die durch ihre Vorſtellung in der
Seele entſtehen, anzeigen. Solche Verwicke-
lungen ſind in Geſchichten nicht zu vermeiden:
weil nehmlich in der Erzehlung nicht ſowohl un-
mittelbar die Begebenheit ſelbſt, als die Vor-
ſtellung
davon (§. 14. C. 1.), und zwar wie ſie
in dem Gedaͤchtniſſe hafften bleibet (§. 1.), aus-
gedruckt wird. Wer hierbey einen Anſtoß hat,
der darf ſich nur erinnern, daß der Zuſchauer ein-
mahl eine Hauptſache bey der Geſchichte iſt (§. 1.

C. 5.):
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[119/0155] v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. haben koͤnnen. Nun aber beſtehet auch die al- lerweitlaͤufftigſte Erzehlung aus ſolchen allgemei- nen Worten: man kan alſo daraus ermeſſen, wie vieles der Zuſchauer bey Erzeugung ſeiner Erzeh- lung bey ſich und im Sinne behalten habe; weil nehmlich ſolches alles zu erzehlen nicht moͤglich iſt. §. 5. Vermengung ſeiner Empfindungen mit den innerlichen Eigenſchafften. Wenn wir eine Sache nicht ohne Bewe- gung empfunden haben, ſo pflegen wir an ſtatt die bloſſe Sache zu beſchreiben, die Bewegung, die wir gehabt, in die Sache mit einzuflechten. So ſagt man: Der Loͤwe macht ein fuͤrchterli- ches Gebruͤlle: man ſiehet eine ſchreckliche Feuersbrunſt: der Fiſch Torpedo hat eine wun- derbare Wuͤrckung, nehmlich durch das bloſſe Anruͤhren Krampff zu verurſachen: dieſes oder jenes hat eine altvaͤteriſche Geſtalt. Man ſie- het, daß alle dieſe Beywoͤrter nicht die innerli- chen Eigenſchafften der Dinge, ſondern die Be- wegungen, die durch ihre Vorſtellung in der Seele entſtehen, anzeigen. Solche Verwicke- lungen ſind in Geſchichten nicht zu vermeiden: weil nehmlich in der Erzehlung nicht ſowohl un- mittelbar die Begebenheit ſelbſt, als die Vor- ſtellung davon (§. 14. C. 1.), und zwar wie ſie in dem Gedaͤchtniſſe hafften bleibet (§. 1.), aus- gedruckt wird. Wer hierbey einen Anſtoß hat, der darf ſich nur erinnern, daß der Zuſchauer ein- mahl eine Hauptſache bey der Geſchichte iſt (§. 1. C. 5.): H 4

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/155>, abgerufen am 23.11.2024.