Ein grosser und weitläufftiger Anschlag ist nichts anders als eine lange Geschichte, die man erst noch zur Würcklichkeit bringen will. Man muß dabey voraus setzen, daß man nur Anschläge ma- chen muß über Sachen, die man in seiner Gewalt hat, die man übersehen, und also nach Belie- ben, einrichten kan. Dergleichen Anschlag ist, wenn ein reicher, oder mächtiger Fürst ein Schloß und Pallast aufführen will. Was man nachher siehet, daß es von Tage zu Tage gebauet und zu Stande gebracht werde, das hat der Bauherr vorher in seinem Verstande, daß es geschehen solle, übersehen. Jn seinem Verstande ist es schon damahls, als er den Anschlag machte, nicht anders gewesen, als ob es schon würcklich aufgeführet wür- de. Von Anschlägen kan man also Erzehlungen machen, wie von geschehenen Dingen. Wenn der Anschlag weitläufftig ist, muß man einen Grundriß haben (§. 18. C. 6.): Er kan auch aus ver- schiedenen Sehepunckten angesehen werden (§. 12. C. 5.); wie z. E. ein aufzuführendes Gebäude gantz anders angesehen wird vom Architecto, der nur auf die Bequemlichkeit und Pracht des Ge- bäudes siehet, anders vom Schatzmeister, der den Bau nach den Revenuen seines Herrn ab- misset, und daher etwa an dem schönsten und kost- barsten Theile, das gröste Mißfallen haben kan: Anders von dem Directeur des Baues selbst, der vor die Materialien sorgen muß, und daher
man-
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v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.
§. 21. Anſchlaͤge ſind eine Art der Geſchichte.
Ein groſſer und weitlaͤufftiger Anſchlag iſt nichts anders als eine lange Geſchichte, die man erſt noch zur Wuͤrcklichkeit bringen will. Man muß dabey voraus ſetzen, daß man nur Anſchlaͤge ma- chen muß uͤber Sachen, die man in ſeiner Gewalt hat, die man uͤberſehen, und alſo nach Belie- ben, einrichten kan. Dergleichen Anſchlag iſt, wenn ein reicher, oder maͤchtiger Fuͤrſt ein Schloß und Pallaſt auffuͤhren will. Was man nachher ſiehet, daß es von Tage zu Tage gebauet und zu Stande gebracht werde, das hat der Bauherr vorher in ſeinem Verſtande, daß es geſchehen ſolle, uͤberſehen. Jn ſeinem Verſtande iſt es ſchon damahls, als er den Anſchlag machte, nicht anders geweſen, als ob es ſchon wuͤrcklich aufgefuͤhret wuͤr- de. Von Anſchlaͤgen kan man alſo Erzehlungen machen, wie von geſchehenen Dingen. Wenn der Anſchlag weitlaͤufftig iſt, muß man einen Grundriß haben (§. 18. C. 6.): Er kan auch aus ver- ſchiedenen Sehepunckten angeſehen werden (§. 12. C. 5.); wie z. E. ein aufzufuͤhrendes Gebaͤude gantz anders angeſehen wird vom Architecto, der nur auf die Bequemlichkeit und Pracht des Ge- baͤudes ſiehet, anders vom Schatzmeiſter, der den Bau nach den Revenuen ſeines Herrn ab- miſſet, und daher etwa an dem ſchoͤnſten und koſt- barſten Theile, das groͤſte Mißfallen haben kan: Anders von dem Directeur des Baues ſelbſt, der vor die Materialien ſorgen muß, und daher
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v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.
§. 21.
Anſchlaͤge ſind eine Art der Geſchichte.
Ein groſſer und weitlaͤufftiger Anſchlag
iſt nichts anders als eine lange Geſchichte, die man
erſt noch zur Wuͤrcklichkeit bringen will. Man muß
dabey voraus ſetzen, daß man nur Anſchlaͤge ma-
chen muß uͤber Sachen, die man in ſeiner Gewalt
hat, die man uͤberſehen, und alſo nach Belie-
ben, einrichten kan. Dergleichen Anſchlag iſt,
wenn ein reicher, oder maͤchtiger Fuͤrſt ein Schloß
und Pallaſt auffuͤhren will. Was man nachher
ſiehet, daß es von Tage zu Tage gebauet und zu
Stande gebracht werde, das hat der Bauherr
vorher in ſeinem Verſtande, daß es geſchehen ſolle,
uͤberſehen. Jn ſeinem Verſtande iſt es ſchon
damahls, als er den Anſchlag machte, nicht anders
geweſen, als ob es ſchon wuͤrcklich aufgefuͤhret wuͤr-
de. Von Anſchlaͤgen kan man alſo Erzehlungen
machen, wie von geſchehenen Dingen. Wenn
der Anſchlag weitlaͤufftig iſt, muß man einen
Grundriß haben (§. 18. C. 6.): Er kan auch aus ver-
ſchiedenen Sehepunckten angeſehen werden (§. 12.
C. 5.); wie z. E. ein aufzufuͤhrendes Gebaͤude
gantz anders angeſehen wird vom Architecto, der
nur auf die Bequemlichkeit und Pracht des Ge-
baͤudes ſiehet, anders vom Schatzmeiſter, der
den Bau nach den Revenuen ſeines Herrn ab-
miſſet, und daher etwa an dem ſchoͤnſten und koſt-
barſten Theile, das groͤſte Mißfallen haben kan:
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/267>, abgerufen am 21.11.2024.
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