Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.Vorrede. bald beschuldiget man einzelne Stücke der hei-ligen Geschichte der Unwahrscheinlichkeit, oder des Widerspruchs, oder einer Unbilligkeit, die dennoch in der Schrift nicht sey geahndet worden; bald findet man Stellen und Um- stände in Profanscribenten, mit deren kund- baren Wahrheit, diese oder jene Erzehlung in der Schrift, nicht bestehen könne. Man darf des höchstverdienten Herrn D. Baumgartens ersten Theil seiner vortrefflichen Kirchenge- schichte nachsehen, so wird man finden, daß fast kein Artickel der Geschichte, die die heili- gen Evangelisten aufgezeichnet haben, von sol- chen Vorwürfen frey geblieben sey. Soll man solchen unseligen Unternehmungen sich nicht, wie dieser große Gottesgelehrte bey un- zähligen Stücken der heiligen Geschichte schon gethan, eifrigst widersetzen? Nun ist wohl an dem, daß Streitigkeiten über historische Wahr- heiten sich nicht sowohl aus allgemeinen Prin- cipiis, als vielmehr aus den besondern Um- ständen, und sorgfältigst aufgesuchten und un- tersuchten Particularitäten der streitigen Ge- schichte, ingleichen aus Zusammenhaltung ver- schiedener Zeugnisse, und aus der speciellen Kenntniß der Geographie, Chronologie und Antiquitäten entscheiden lassen. Doch wird man auch gestehen müssen, daß wie die aller- meisten b 4
Vorrede. bald beſchuldiget man einzelne Stuͤcke der hei-ligen Geſchichte der Unwahrſcheinlichkeit, oder des Widerſpruchs, oder einer Unbilligkeit, die dennoch in der Schrift nicht ſey geahndet worden; bald findet man Stellen und Um- ſtaͤnde in Profanſcribenten, mit deren kund- baren Wahrheit, dieſe oder jene Erzehlung in der Schrift, nicht beſtehen koͤnne. Man darf des hoͤchſtverdienten Herrn D. Baumgartens erſten Theil ſeiner vortrefflichen Kirchenge- ſchichte nachſehen, ſo wird man finden, daß faſt kein Artickel der Geſchichte, die die heili- gen Evangeliſten aufgezeichnet haben, von ſol- chen Vorwuͤrfen frey geblieben ſey. Soll man ſolchen unſeligen Unternehmungen ſich nicht, wie dieſer große Gottesgelehrte bey un- zaͤhligen Stuͤcken der heiligen Geſchichte ſchon gethan, eifrigſt widerſetzen? Nun iſt wohl an dem, daß Streitigkeiten uͤber hiſtoriſche Wahr- heiten ſich nicht ſowohl aus allgemeinen Prin- cipiis, als vielmehr aus den beſondern Um- ſtaͤnden, und ſorgfaͤltigſt aufgeſuchten und un- terſuchten Particularitaͤten der ſtreitigen Ge- ſchichte, ingleichen aus Zuſammenhaltung ver- ſchiedener Zeugniſſe, und aus der ſpeciellen Kenntniß der Geographie, Chronologie und Antiquitaͤten entſcheiden laſſen. Doch wird man auch geſtehen muͤſſen, daß wie die aller- meiſten b 4
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Vorrede.
bald beſchuldiget man einzelne Stuͤcke der hei-
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des Widerſpruchs, oder einer Unbilligkeit, die
dennoch in der Schrift nicht ſey geahndet
worden; bald findet man Stellen und Um-
ſtaͤnde in Profanſcribenten, mit deren kund-
baren Wahrheit, dieſe oder jene Erzehlung in
der Schrift, nicht beſtehen koͤnne. Man darf
des hoͤchſtverdienten Herrn D. Baumgartens
erſten Theil ſeiner vortrefflichen Kirchenge-
ſchichte nachſehen, ſo wird man finden, daß
faſt kein Artickel der Geſchichte, die die heili-
gen Evangeliſten aufgezeichnet haben, von ſol-
chen Vorwuͤrfen frey geblieben ſey. Soll
man ſolchen unſeligen Unternehmungen ſich
nicht, wie dieſer große Gottesgelehrte bey un-
zaͤhligen Stuͤcken der heiligen Geſchichte ſchon
gethan, eifrigſt widerſetzen? Nun iſt wohl an
dem, daß Streitigkeiten uͤber hiſtoriſche Wahr-
heiten ſich nicht ſowohl aus allgemeinen Prin-
cipiis, als vielmehr aus den beſondern Um-
ſtaͤnden, und ſorgfaͤltigſt aufgeſuchten und un-
terſuchten Particularitaͤten der ſtreitigen Ge-
ſchichte, ingleichen aus Zuſammenhaltung ver-
ſchiedener Zeugniſſe, und aus der ſpeciellen
Kenntniß der Geographie, Chronologie und
Antiquitaͤten entſcheiden laſſen. Doch wird
man auch geſtehen muͤſſen, daß wie die aller-
meiſten
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