die Augen geschlossen. Friedrich meinte, sie sei todt; er erhob ein fürchterliches Geschrei, worauf ihm Jemand eine Ohrfeige gab, was ihn zur Ruhe brachte, und nun begriff er nach und nach aus den Reden der Umstehenden, daß der Vater vom Ohm Franz Semmler und dem Hülsmeyer todt im Holze gefunden sei und jetzt in der Küche liege.
Sobald Margareth wieder zur Besinnung kam, suchte sie die fremden Leute los zu werden. Der Bruder blieb bei ihr und Friedrich, dem bei strenger Strafe im Bett zu bleiben geboten war, hörte die ganze Nacht hindurch das Feuer in der Küche kni- stern und ein Geräusch wie von Hin- und Her- rutschen und Bürsten. Gesprochen ward wenig und leise, aber zuweilen drangen Seufzer herüber, die dem Knaben, so jung er war, durch Mark und Bein gingen. Einmal verstand er, daß der Oheim sagte: "Margareth, zieh dir das nicht zu Gemüth; wir wollen Jeder drei Messen lesen lassen, und um Ostern gehen wir zusammen eine Bittfahrt zur Muttergottes von Werl."
Als nach zwei Tagen die Leiche fortgetragen wurde, saß Margareth am Herde, das Gesicht mit der Schürze verhüllend. Nach einigen Minuten, als Alles still geworden war, sagte sie in sich hinein: "Zehn Jahre, zehn Kreuze. Wir haben sie doch
die Augen geſchloſſen. Friedrich meinte, ſie ſei todt; er erhob ein fürchterliches Geſchrei, worauf ihm Jemand eine Ohrfeige gab, was ihn zur Ruhe brachte, und nun begriff er nach und nach aus den Reden der Umſtehenden, daß der Vater vom Ohm Franz Semmler und dem Hülsmeyer todt im Holze gefunden ſei und jetzt in der Küche liege.
Sobald Margareth wieder zur Beſinnung kam, ſuchte ſie die fremden Leute los zu werden. Der Bruder blieb bei ihr und Friedrich, dem bei ſtrenger Strafe im Bett zu bleiben geboten war, hörte die ganze Nacht hindurch das Feuer in der Küche kni- ſtern und ein Geräuſch wie von Hin- und Her- rutſchen und Bürſten. Geſprochen ward wenig und leiſe, aber zuweilen drangen Seufzer herüber, die dem Knaben, ſo jung er war, durch Mark und Bein gingen. Einmal verſtand er, daß der Oheim ſagte: „Margareth, zieh dir das nicht zu Gemüth; wir wollen Jeder drei Meſſen leſen laſſen, und um Oſtern gehen wir zuſammen eine Bittfahrt zur Muttergottes von Werl.“
Als nach zwei Tagen die Leiche fortgetragen wurde, ſaß Margareth am Herde, das Geſicht mit der Schürze verhüllend. Nach einigen Minuten, als Alles ſtill geworden war, ſagte ſie in ſich hinein: „Zehn Jahre, zehn Kreuze. Wir haben ſie doch
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die Augen geſchloſſen. Friedrich meinte, ſie ſei todt;
er erhob ein fürchterliches Geſchrei, worauf ihm
Jemand eine Ohrfeige gab, was ihn zur Ruhe
brachte, und nun begriff er nach und nach aus den
Reden der Umſtehenden, daß der Vater vom Ohm
Franz Semmler und dem Hülsmeyer todt im Holze
gefunden ſei und jetzt in der Küche liege.
Sobald Margareth wieder zur Beſinnung kam,
ſuchte ſie die fremden Leute los zu werden. Der
Bruder blieb bei ihr und Friedrich, dem bei ſtrenger
Strafe im Bett zu bleiben geboten war, hörte die
ganze Nacht hindurch das Feuer in der Küche kni-
ſtern und ein Geräuſch wie von Hin- und Her-
rutſchen und Bürſten. Geſprochen ward wenig und
leiſe, aber zuweilen drangen Seufzer herüber, die
dem Knaben, ſo jung er war, durch Mark und
Bein gingen. Einmal verſtand er, daß der Oheim
ſagte: „Margareth, zieh dir das nicht zu Gemüth;
wir wollen Jeder drei Meſſen leſen laſſen, und um
Oſtern gehen wir zuſammen eine Bittfahrt zur
Muttergottes von Werl.“
Als nach zwei Tagen die Leiche fortgetragen
wurde, ſaß Margareth am Herde, das Geſicht mit
der Schürze verhüllend. Nach einigen Minuten,
als Alles ſtill geworden war, ſagte ſie in ſich hinein:
„Zehn Jahre, zehn Kreuze. Wir haben ſie doch
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/171>, abgerufen am 17.05.2024.
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