immer mehr auf sein Aeußeres verwandte und all- mählig anfing, es schwer zu verdauen, wenn Geld- mangel ihn zwang, irgend Jemand im Dorf darin nachzustehen. Zudem waren alle seine Kräfte auf den auswärtigen Erwerb gerichtet; zu Hause schien ihm, ganz im Widerspiel mit seinem sonstigen Rufe, jede anhaltende Beschäftigung lästig, und er unter- zog sich lieber einer harten, aber kurzen Anstrengung, die ihm bald erlaubte, seinem frühern Hirtenamte wieder nachzugehen, was bereits begann, seinem Alter unpassend zu werden, und ihm gelegentlichen Spott zuzog, vor dem er sich aber durch ein paar derbe Zurechtweisungen mit der Faust Ruhe ver- schaffte. So gewöhnte man sich daran, ihn bald geputzt und fröhlich als anerkannten Dorfelegant an der Spitze des jungen Volkes zu sehen, bald wieder als zerlumpten Hirtenbuben einsam und träumerisch hinter den Kühen herschleichend, oder in einer Waldlichtung liegend, scheinbar gedankenlos und das Moos von den Bäumen rupfend.
Um diese Zeit wurden die schlummernden Ge- setze doch einigermaßen aufgerüttelt durch eine Bande von Holzfrevlern, die unter dem Namen der Blau- kittel alle ihre Vorgänger so weit an List und Frechheit übertraf, daß es dem Langmüthigsten zu viel werden mußte. Ganz gegen den gewöhnlichen Stand der Dinge, wo man die stärksten Böcke der
immer mehr auf ſein Aeußeres verwandte und all- mählig anfing, es ſchwer zu verdauen, wenn Geld- mangel ihn zwang, irgend Jemand im Dorf darin nachzuſtehen. Zudem waren alle ſeine Kräfte auf den auswärtigen Erwerb gerichtet; zu Hauſe ſchien ihm, ganz im Widerſpiel mit ſeinem ſonſtigen Rufe, jede anhaltende Beſchäftigung läſtig, und er unter- zog ſich lieber einer harten, aber kurzen Anſtrengung, die ihm bald erlaubte, ſeinem frühern Hirtenamte wieder nachzugehen, was bereits begann, ſeinem Alter unpaſſend zu werden, und ihm gelegentlichen Spott zuzog, vor dem er ſich aber durch ein paar derbe Zurechtweiſungen mit der Fauſt Ruhe ver- ſchaffte. So gewöhnte man ſich daran, ihn bald geputzt und fröhlich als anerkannten Dorfelegant an der Spitze des jungen Volkes zu ſehen, bald wieder als zerlumpten Hirtenbuben einſam und träumeriſch hinter den Kühen herſchleichend, oder in einer Waldlichtung liegend, ſcheinbar gedankenlos und das Moos von den Bäumen rupfend.
Um dieſe Zeit wurden die ſchlummernden Ge- ſetze doch einigermaßen aufgerüttelt durch eine Bande von Holzfrevlern, die unter dem Namen der Blau- kittel alle ihre Vorgänger ſo weit an Liſt und Frechheit übertraf, daß es dem Langmüthigſten zu viel werden mußte. Ganz gegen den gewöhnlichen Stand der Dinge, wo man die ſtärkſten Böcke der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0189"n="173"/>
immer mehr auf ſein Aeußeres verwandte und all-<lb/>
mählig anfing, es ſchwer zu verdauen, wenn Geld-<lb/>
mangel ihn zwang, irgend Jemand im Dorf darin<lb/>
nachzuſtehen. Zudem waren alle ſeine Kräfte auf<lb/>
den auswärtigen Erwerb gerichtet; zu Hauſe ſchien<lb/>
ihm, ganz im Widerſpiel mit ſeinem ſonſtigen Rufe,<lb/>
jede anhaltende Beſchäftigung läſtig, und er unter-<lb/>
zog ſich lieber einer harten, aber kurzen Anſtrengung,<lb/>
die ihm bald erlaubte, ſeinem frühern Hirtenamte<lb/>
wieder nachzugehen, was bereits begann, ſeinem<lb/>
Alter unpaſſend zu werden, und ihm gelegentlichen<lb/>
Spott zuzog, vor dem er ſich aber durch ein paar<lb/>
derbe Zurechtweiſungen mit der Fauſt Ruhe ver-<lb/>ſchaffte. So gewöhnte man ſich daran, ihn bald<lb/>
geputzt und fröhlich als anerkannten Dorfelegant<lb/>
an der Spitze des jungen Volkes zu ſehen, bald<lb/>
wieder als zerlumpten Hirtenbuben einſam und<lb/>
träumeriſch hinter den Kühen herſchleichend, oder<lb/>
in einer Waldlichtung liegend, ſcheinbar gedankenlos<lb/>
und das Moos von den Bäumen rupfend.</p><lb/><p>Um dieſe Zeit wurden die ſchlummernden Ge-<lb/>ſetze doch einigermaßen aufgerüttelt durch eine Bande<lb/>
von Holzfrevlern, die unter dem Namen der Blau-<lb/>
kittel alle ihre Vorgänger ſo weit an Liſt und<lb/>
Frechheit übertraf, daß es dem Langmüthigſten zu<lb/>
viel werden mußte. Ganz gegen den gewöhnlichen<lb/>
Stand der Dinge, wo man die ſtärkſten Böcke der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[173/0189]
immer mehr auf ſein Aeußeres verwandte und all-
mählig anfing, es ſchwer zu verdauen, wenn Geld-
mangel ihn zwang, irgend Jemand im Dorf darin
nachzuſtehen. Zudem waren alle ſeine Kräfte auf
den auswärtigen Erwerb gerichtet; zu Hauſe ſchien
ihm, ganz im Widerſpiel mit ſeinem ſonſtigen Rufe,
jede anhaltende Beſchäftigung läſtig, und er unter-
zog ſich lieber einer harten, aber kurzen Anſtrengung,
die ihm bald erlaubte, ſeinem frühern Hirtenamte
wieder nachzugehen, was bereits begann, ſeinem
Alter unpaſſend zu werden, und ihm gelegentlichen
Spott zuzog, vor dem er ſich aber durch ein paar
derbe Zurechtweiſungen mit der Fauſt Ruhe ver-
ſchaffte. So gewöhnte man ſich daran, ihn bald
geputzt und fröhlich als anerkannten Dorfelegant
an der Spitze des jungen Volkes zu ſehen, bald
wieder als zerlumpten Hirtenbuben einſam und
träumeriſch hinter den Kühen herſchleichend, oder
in einer Waldlichtung liegend, ſcheinbar gedankenlos
und das Moos von den Bäumen rupfend.
Um dieſe Zeit wurden die ſchlummernden Ge-
ſetze doch einigermaßen aufgerüttelt durch eine Bande
von Holzfrevlern, die unter dem Namen der Blau-
kittel alle ihre Vorgänger ſo weit an Liſt und
Frechheit übertraf, daß es dem Langmüthigſten zu
viel werden mußte. Ganz gegen den gewöhnlichen
Stand der Dinge, wo man die ſtärkſten Böcke der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/189>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.