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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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immer gestattet, und die wie eine große Oase, in
dem sie von allen Seiten, nach Holland, Olden-
burg, Cleve zu, umstäubenden Sandmeer liegt. In
hohem Grade friedlich, hat sie doch nichts von dem
Charakter der Einöde, vielmehr mögen wenige Land-
schaften so voll Grün, Nachtigallenschlag und Blu-
menflor angetroffen werden, und der aus minder
feuchten Gegenden Einwandernde wird fast betäubt
vom Geschmetter der zahllosen Singvögel, die ihre
Nahrung in dem weichen Kleiboden finden. Die
wüsten Steppen haben sich in mäßige, mit einer
Haideblumendecke farbig überhauchte Weidestrecken
zusammengezogen, aus denen jeder Schritt Schwärme
blauer, gelber und milchweißer Schmetterlinge auf-
stäuben läßt. Fast jeder dieser Weidegründe enthält
einen Wasserspiegel, von Schwertlilien umkränzt, an
denen Tausende kleiner Libellen wie bunte Stäbchen
hängen, während die der größeren Art bis auf die
Mitte des Weihers schnurren, wo sie in die Blätter
der gelben Nymphäen wie goldene Schmucknadeln
in emaillirte Schalen niederfallen, und dort auf die
Wasserinsekten lauern, von denen sie sich nähren.
Das Ganze umgrenzen kleine, aber zahlreiche Wal-
dungen. Alles Laubholz, und namentlich ein Eichen-
bestand von tadelloser Schönheit, der die holländische
Marine mit Masten versieht -- in jedem Baume
ein Nest, auf jedem Aste ein lustiger Vogel und

immer geſtattet, und die wie eine große Oaſe, in
dem ſie von allen Seiten, nach Holland, Olden-
burg, Cleve zu, umſtäubenden Sandmeer liegt. In
hohem Grade friedlich, hat ſie doch nichts von dem
Charakter der Einöde, vielmehr mögen wenige Land-
ſchaften ſo voll Grün, Nachtigallenſchlag und Blu-
menflor angetroffen werden, und der aus minder
feuchten Gegenden Einwandernde wird faſt betäubt
vom Geſchmetter der zahlloſen Singvögel, die ihre
Nahrung in dem weichen Kleiboden finden. Die
wüſten Steppen haben ſich in mäßige, mit einer
Haideblumendecke farbig überhauchte Weideſtrecken
zuſammengezogen, aus denen jeder Schritt Schwärme
blauer, gelber und milchweißer Schmetterlinge auf-
ſtäuben läßt. Faſt jeder dieſer Weidegründe enthält
einen Waſſerſpiegel, von Schwertlilien umkränzt, an
denen Tauſende kleiner Libellen wie bunte Stäbchen
hängen, während die der größeren Art bis auf die
Mitte des Weihers ſchnurren, wo ſie in die Blätter
der gelben Nymphäen wie goldene Schmucknadeln
in emaillirte Schalen niederfallen, und dort auf die
Waſſerinſekten lauern, von denen ſie ſich nähren.
Das Ganze umgrenzen kleine, aber zahlreiche Wal-
dungen. Alles Laubholz, und namentlich ein Eichen-
beſtand von tadelloſer Schönheit, der die holländiſche
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[235/0251] immer geſtattet, und die wie eine große Oaſe, in dem ſie von allen Seiten, nach Holland, Olden- burg, Cleve zu, umſtäubenden Sandmeer liegt. In hohem Grade friedlich, hat ſie doch nichts von dem Charakter der Einöde, vielmehr mögen wenige Land- ſchaften ſo voll Grün, Nachtigallenſchlag und Blu- menflor angetroffen werden, und der aus minder feuchten Gegenden Einwandernde wird faſt betäubt vom Geſchmetter der zahlloſen Singvögel, die ihre Nahrung in dem weichen Kleiboden finden. Die wüſten Steppen haben ſich in mäßige, mit einer Haideblumendecke farbig überhauchte Weideſtrecken zuſammengezogen, aus denen jeder Schritt Schwärme blauer, gelber und milchweißer Schmetterlinge auf- ſtäuben läßt. Faſt jeder dieſer Weidegründe enthält einen Waſſerſpiegel, von Schwertlilien umkränzt, an denen Tauſende kleiner Libellen wie bunte Stäbchen hängen, während die der größeren Art bis auf die Mitte des Weihers ſchnurren, wo ſie in die Blätter der gelben Nymphäen wie goldene Schmucknadeln in emaillirte Schalen niederfallen, und dort auf die Waſſerinſekten lauern, von denen ſie ſich nähren. Das Ganze umgrenzen kleine, aber zahlreiche Wal- dungen. Alles Laubholz, und namentlich ein Eichen- beſtand von tadelloſer Schönheit, der die holländiſche Marine mit Maſten verſieht — in jedem Baume ein Neſt, auf jedem Aſte ein luſtiger Vogel und

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/251>, abgerufen am 23.11.2024.