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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Ehe, wie ein aus Gottes Hand gefallenes Loos,
in friedlicher Pflichterfüllung. -- Der Paderborner
Wildling aber, hat Erziehung und Zucht nichts an
ihm gethan, wirbt wie ein derbes Naturkind mit
allem Ungestüm seines heftigen Bluts. Mit seinen
und den Eltern seiner Frau muß es daher auch
oft zu heftigen Auftritten kommen. Er geht unter
die Soldaten, oder läuft Gefahr zu verkommen,
wenn seine Neigung unerwiedert bleibt. Die Ehe
wird in diesen dürftigen Hütten den Frauen zum
wahren Fegfeuer, bis sie sich zurechtgefunden; Flüche
und Schimpfreden haben, wie bei den Matrosen,
einen großen Theil ihrer Bedeutung verloren, und
lassen eine rohe Art aufopfernder Liebe wohl neben
sich bestehen. Ueber das Verderbniß der dienenden
Klassen wird sehr geklagt: jedes noch so flüchtige
Verhältniß zwischen den zwei Geschlechtern müsse
streng überwacht werden von denen, welche ihr
Haus rein von Scandal zu erhalten wünschen;
selbst die Unteraufseher, Leute von gesetzten Jahren
und sonst streng genug, scheinen taub und blind,
sobald nicht ein wirkliches Verlöbniß, sondern nur der
Glaube an eine ernstliche Absicht vorhanden sei: "die
Beiden freien sich" -- und damit seien alle
Schranken gefallen, obwohl aus zwanzig solcher
Freiereien kaum eine Ehe hervorgehe und die Folgen

Ehe, wie ein aus Gottes Hand gefallenes Loos,
in friedlicher Pflichterfüllung. — Der Paderborner
Wildling aber, hat Erziehung und Zucht nichts an
ihm gethan, wirbt wie ein derbes Naturkind mit
allem Ungeſtüm ſeines heftigen Bluts. Mit ſeinen
und den Eltern ſeiner Frau muß es daher auch
oft zu heftigen Auftritten kommen. Er geht unter
die Soldaten, oder läuft Gefahr zu verkommen,
wenn ſeine Neigung unerwiedert bleibt. Die Ehe
wird in dieſen dürftigen Hütten den Frauen zum
wahren Fegfeuer, bis ſie ſich zurechtgefunden; Flüche
und Schimpfreden haben, wie bei den Matroſen,
einen großen Theil ihrer Bedeutung verloren, und
laſſen eine rohe Art aufopfernder Liebe wohl neben
ſich beſtehen. Ueber das Verderbniß der dienenden
Klaſſen wird ſehr geklagt: jedes noch ſo flüchtige
Verhältniß zwiſchen den zwei Geſchlechtern müſſe
ſtreng überwacht werden von denen, welche ihr
Haus rein von Scandal zu erhalten wünſchen;
ſelbſt die Unteraufſeher, Leute von geſetzten Jahren
und ſonſt ſtreng genug, ſcheinen taub und blind,
ſobald nicht ein wirkliches Verlöbniß, ſondern nur der
Glaube an eine ernſtliche Abſicht vorhanden ſei: „die
Beiden freien ſich“ — und damit ſeien alle
Schranken gefallen, obwohl aus zwanzig ſolcher
Freiereien kaum eine Ehe hervorgehe und die Folgen

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[256/0272] Ehe, wie ein aus Gottes Hand gefallenes Loos, in friedlicher Pflichterfüllung. — Der Paderborner Wildling aber, hat Erziehung und Zucht nichts an ihm gethan, wirbt wie ein derbes Naturkind mit allem Ungeſtüm ſeines heftigen Bluts. Mit ſeinen und den Eltern ſeiner Frau muß es daher auch oft zu heftigen Auftritten kommen. Er geht unter die Soldaten, oder läuft Gefahr zu verkommen, wenn ſeine Neigung unerwiedert bleibt. Die Ehe wird in dieſen dürftigen Hütten den Frauen zum wahren Fegfeuer, bis ſie ſich zurechtgefunden; Flüche und Schimpfreden haben, wie bei den Matroſen, einen großen Theil ihrer Bedeutung verloren, und laſſen eine rohe Art aufopfernder Liebe wohl neben ſich beſtehen. Ueber das Verderbniß der dienenden Klaſſen wird ſehr geklagt: jedes noch ſo flüchtige Verhältniß zwiſchen den zwei Geſchlechtern müſſe ſtreng überwacht werden von denen, welche ihr Haus rein von Scandal zu erhalten wünſchen; ſelbſt die Unteraufſeher, Leute von geſetzten Jahren und ſonſt ſtreng genug, ſcheinen taub und blind, ſobald nicht ein wirkliches Verlöbniß, ſondern nur der Glaube an eine ernſtliche Abſicht vorhanden ſei: „die Beiden freien ſich“ — und damit ſeien alle Schranken gefallen, obwohl aus zwanzig ſolcher Freiereien kaum eine Ehe hervorgehe und die Folgen

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/272>, abgerufen am 25.11.2024.