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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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zieht mit einem feinen Hurrah dem Schießplatze zu,
wo jede -- Manche mit der zierlichsten Koketterie
-- ihr Gewehr ein paar mal abfeuert, um unter
klingendem Spiele nach der Schenke zu marschiren,
wo es heute keinen König giebt, sondern nur eine
Königin und ihren Hof, die alles anordnen, und
von denen sich die Männer heute Alles gefallen
lassen. Einen gleich starken Gegensatz zu den
derben Sitten des Landes giebt der Beginn des
Erndtefestes. Dieses wird nur auf Edelhöfen
und großen Pachtungen im altherkömmlichen Style
gefeiert. Der voranschreitenden Musik folgt der
Erndtewagen mit dem letzten Fuder, auf dessen
Garben die Großmagd thront, über sich auf einer
Stange den funkelnden Erndtekranz; dann folgen
sämmtliche Dienstleute, paarweise mit gefalteten
Händen, die Männer baarhaupt, so ziehen sie lang-
sam über das Feld dem Edelhofe zu, das Te Deum
nach der schönen alten Melodie des katholischen
Ritus absingend, ohne Begleitung, aber bei jedem
dritten Verse von den Blasinstrumenten abgelöst,
was sich überaus feierlich macht, und gerade bei
diesen Menschen, und unter freiem Himmel etwas
wahrhaft Ergreifendes hat. Im Hofe angelangt,
steigt die Großmagd ab, und trägt ihren Kranz
mit einem artigen Spruche zu jedem Mitgliede der
Familie, vom Hausherrn an bis zum kleinsten

zieht mit einem feinen Hurrah dem Schießplatze zu,
wo jede — Manche mit der zierlichſten Koketterie
— ihr Gewehr ein paar mal abfeuert, um unter
klingendem Spiele nach der Schenke zu marſchiren,
wo es heute keinen König giebt, ſondern nur eine
Königin und ihren Hof, die alles anordnen, und
von denen ſich die Männer heute Alles gefallen
laſſen. Einen gleich ſtarken Gegenſatz zu den
derben Sitten des Landes giebt der Beginn des
Erndtefeſtes. Dieſes wird nur auf Edelhöfen
und großen Pachtungen im altherkömmlichen Style
gefeiert. Der voranſchreitenden Muſik folgt der
Erndtewagen mit dem letzten Fuder, auf deſſen
Garben die Großmagd thront, über ſich auf einer
Stange den funkelnden Erndtekranz; dann folgen
ſämmtliche Dienſtleute, paarweiſe mit gefalteten
Händen, die Männer baarhaupt, ſo ziehen ſie lang-
ſam über das Feld dem Edelhofe zu, das Te Deum
nach der ſchönen alten Melodie des katholiſchen
Ritus abſingend, ohne Begleitung, aber bei jedem
dritten Verſe von den Blasinſtrumenten abgelöſt,
was ſich überaus feierlich macht, und gerade bei
dieſen Menſchen, und unter freiem Himmel etwas
wahrhaft Ergreifendes hat. Im Hofe angelangt,
ſteigt die Großmagd ab, und trägt ihren Kranz
mit einem artigen Spruche zu jedem Mitgliede der
Familie, vom Hausherrn an bis zum kleinſten

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[260/0276] zieht mit einem feinen Hurrah dem Schießplatze zu, wo jede — Manche mit der zierlichſten Koketterie — ihr Gewehr ein paar mal abfeuert, um unter klingendem Spiele nach der Schenke zu marſchiren, wo es heute keinen König giebt, ſondern nur eine Königin und ihren Hof, die alles anordnen, und von denen ſich die Männer heute Alles gefallen laſſen. Einen gleich ſtarken Gegenſatz zu den derben Sitten des Landes giebt der Beginn des Erndtefeſtes. Dieſes wird nur auf Edelhöfen und großen Pachtungen im altherkömmlichen Style gefeiert. Der voranſchreitenden Muſik folgt der Erndtewagen mit dem letzten Fuder, auf deſſen Garben die Großmagd thront, über ſich auf einer Stange den funkelnden Erndtekranz; dann folgen ſämmtliche Dienſtleute, paarweiſe mit gefalteten Händen, die Männer baarhaupt, ſo ziehen ſie lang- ſam über das Feld dem Edelhofe zu, das Te Deum nach der ſchönen alten Melodie des katholiſchen Ritus abſingend, ohne Begleitung, aber bei jedem dritten Verſe von den Blasinſtrumenten abgelöſt, was ſich überaus feierlich macht, und gerade bei dieſen Menſchen, und unter freiem Himmel etwas wahrhaft Ergreifendes hat. Im Hofe angelangt, ſteigt die Großmagd ab, und trägt ihren Kranz mit einem artigen Spruche zu jedem Mitgliede der Familie, vom Hausherrn an bis zum kleinſten

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/276>, abgerufen am 25.11.2024.