Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

Junkerchen auf dem Schaukelpferde, dann wird er
über das Scheuerthor an die Stelle des vorigjäh-
rigen gehängt, und die Lustbarkeit beginnt. --
Obwohl sich keiner ausgezeichneten Singorgane er-
freuend, sind die Paderborner doch überaus gesang-
liebend; überall -- in Spinnstuben -- auf dem
Felde -- hört man sie quinkeliren und pfeifen, --
sie haben ihre eigenen Spinn-, ihre Acker-, Flachs-
brech- und Rauflieder, das letzte ist ein schlimmes
Spottlied, was sie nach dem Takte des Raufens
jedem Vorübergehenden aus dem Stegreif zusingen. --
Sonderlich junge Herren, die sich, dem Verhältnisse
nach, zu Freiern ihrer Fräulein qualifiziren, können
darauf rechnen, nicht ungeneckt vorbei zu kommen,
und sich von zwanzig bis dreißig Stimmen nach-
krähen zu hören: "He! he! he! er ist ihr zu dick,
er hat kein Geschick," -- oder, "er ist ihr zu arm,
daß Gott erbarm! Den Kuinkel den kuank, der Vogel
der sang, das Jahr ist lang, oh! oh! oh! laßt
ihn gehn!" Ueberhaupt rühmen sie sich gern, wo
es ihnen Anlaß zum Streit verspricht, ihrer Herr-
schaft, als ob sie aus Gold wäre; stehen auch in
ernsteren Fällen aus demselben Grunde bisweilen
zu ihr gleich dem Besten, und es ist hier, wie bei
der Pariser Polizei, nichts Ungewöhnliches, die
schlimmsten "Wildschützen" nach einigen Jahren als
Forstgehülfen wieder zu finden, denen es alsdann

Junkerchen auf dem Schaukelpferde, dann wird er
über das Scheuerthor an die Stelle des vorigjäh-
rigen gehängt, und die Luſtbarkeit beginnt. —
Obwohl ſich keiner ausgezeichneten Singorgane er-
freuend, ſind die Paderborner doch überaus geſang-
liebend; überall — in Spinnſtuben — auf dem
Felde — hört man ſie quinkeliren und pfeifen, —
ſie haben ihre eigenen Spinn-, ihre Acker-, Flachs-
brech- und Rauflieder, das letzte iſt ein ſchlimmes
Spottlied, was ſie nach dem Takte des Raufens
jedem Vorübergehenden aus dem Stegreif zuſingen. —
Sonderlich junge Herren, die ſich, dem Verhältniſſe
nach, zu Freiern ihrer Fräulein qualifiziren, können
darauf rechnen, nicht ungeneckt vorbei zu kommen,
und ſich von zwanzig bis dreißig Stimmen nach-
krähen zu hören: „He! he! he! er iſt ihr zu dick,
er hat kein Geſchick,“ — oder, „er iſt ihr zu arm,
daß Gott erbarm! Den Kuinkel den kuank, der Vogel
der ſang, das Jahr iſt lang, oh! oh! oh! laßt
ihn gehn!“ Ueberhaupt rühmen ſie ſich gern, wo
es ihnen Anlaß zum Streit verſpricht, ihrer Herr-
ſchaft, als ob ſie aus Gold wäre; ſtehen auch in
ernſteren Fällen aus demſelben Grunde bisweilen
zu ihr gleich dem Beſten, und es iſt hier, wie bei
der Pariſer Polizei, nichts Ungewöhnliches, die
ſchlimmſten „Wildſchützen“ nach einigen Jahren als
Forſtgehülfen wieder zu finden, denen es alsdann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0277" n="261"/>
Junkerchen auf dem Schaukelpferde, dann wird er<lb/>
über das Scheuerthor an die Stelle des vorigjäh-<lb/>
rigen gehängt, und die Lu&#x017F;tbarkeit beginnt. &#x2014;<lb/>
Obwohl &#x017F;ich keiner ausgezeichneten Singorgane er-<lb/>
freuend, &#x017F;ind die Paderborner doch überaus ge&#x017F;ang-<lb/>
liebend; überall &#x2014; in Spinn&#x017F;tuben &#x2014; auf dem<lb/>
Felde &#x2014; hört man &#x017F;ie quinkeliren und pfeifen, &#x2014;<lb/>
&#x017F;ie haben ihre eigenen Spinn-, ihre Acker-, Flachs-<lb/>
brech- und Rauflieder, das letzte i&#x017F;t ein &#x017F;chlimmes<lb/>
Spottlied, was &#x017F;ie nach dem Takte des Raufens<lb/>
jedem Vorübergehenden aus dem Stegreif zu&#x017F;ingen. &#x2014;<lb/>
Sonderlich junge Herren, die &#x017F;ich, dem Verhältni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
nach, zu Freiern ihrer Fräulein qualifiziren, können<lb/>
darauf rechnen, nicht ungeneckt vorbei zu kommen,<lb/>
und &#x017F;ich von zwanzig bis dreißig Stimmen nach-<lb/>
krähen zu hören: &#x201E;He! he! he! er i&#x017F;t ihr zu dick,<lb/>
er hat kein Ge&#x017F;chick,&#x201C; &#x2014; oder, &#x201E;er i&#x017F;t ihr zu arm,<lb/>
daß Gott erbarm! Den Kuinkel den kuank, der Vogel<lb/>
der &#x017F;ang, das Jahr i&#x017F;t lang, oh! oh! oh! laßt<lb/>
ihn gehn!&#x201C; Ueberhaupt rühmen &#x017F;ie &#x017F;ich gern, wo<lb/>
es ihnen Anlaß zum Streit ver&#x017F;pricht, ihrer Herr-<lb/>
&#x017F;chaft, als ob &#x017F;ie aus Gold wäre; &#x017F;tehen auch in<lb/>
ern&#x017F;teren Fällen aus dem&#x017F;elben Grunde bisweilen<lb/>
zu ihr gleich dem Be&#x017F;ten, und es i&#x017F;t hier, wie bei<lb/>
der Pari&#x017F;er Polizei, nichts Ungewöhnliches, die<lb/>
&#x017F;chlimm&#x017F;ten &#x201E;Wild&#x017F;chützen&#x201C; nach einigen Jahren als<lb/>
For&#x017F;tgehülfen wieder zu finden, denen es alsdann<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0277] Junkerchen auf dem Schaukelpferde, dann wird er über das Scheuerthor an die Stelle des vorigjäh- rigen gehängt, und die Luſtbarkeit beginnt. — Obwohl ſich keiner ausgezeichneten Singorgane er- freuend, ſind die Paderborner doch überaus geſang- liebend; überall — in Spinnſtuben — auf dem Felde — hört man ſie quinkeliren und pfeifen, — ſie haben ihre eigenen Spinn-, ihre Acker-, Flachs- brech- und Rauflieder, das letzte iſt ein ſchlimmes Spottlied, was ſie nach dem Takte des Raufens jedem Vorübergehenden aus dem Stegreif zuſingen. — Sonderlich junge Herren, die ſich, dem Verhältniſſe nach, zu Freiern ihrer Fräulein qualifiziren, können darauf rechnen, nicht ungeneckt vorbei zu kommen, und ſich von zwanzig bis dreißig Stimmen nach- krähen zu hören: „He! he! he! er iſt ihr zu dick, er hat kein Geſchick,“ — oder, „er iſt ihr zu arm, daß Gott erbarm! Den Kuinkel den kuank, der Vogel der ſang, das Jahr iſt lang, oh! oh! oh! laßt ihn gehn!“ Ueberhaupt rühmen ſie ſich gern, wo es ihnen Anlaß zum Streit verſpricht, ihrer Herr- ſchaft, als ob ſie aus Gold wäre; ſtehen auch in ernſteren Fällen aus demſelben Grunde bisweilen zu ihr gleich dem Beſten, und es iſt hier, wie bei der Pariſer Polizei, nichts Ungewöhnliches, die ſchlimmſten „Wildſchützen“ nach einigen Jahren als Forſtgehülfen wieder zu finden, denen es alsdann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/277
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/277>, abgerufen am 25.11.2024.