stattfinden könnte, jedoch den Charakter des Volks zu anschaulich darstellt, als daß wir sie am unge- eigneten Orte glauben sollten. -- Zu jener Zeit stand den Gutsbesitzern die niedere Gerichtsbarkeit zu und wurde mitunter streng gehandhabt, wobei sich, wie es zu gehen pflegt, der Untergebene mit der Härte des Herrn, der Herr mit der Böswillig- keit des Untergebenen entschuldigte, und in dieser Wechselwirkung das Uebel sich fortwährend steigerte. Nun sollte der Vorsteher (Meier) eines Dorfes, allzugrober Betrügereien und Diebstähle halber seines Amtes entsetzt werden. -- Er hatte sich Manchen verpflichtet, Manchen bedrückt und die Gemeinde war in zwei bittere Parteien gespalten. -- Schon seit mehreren Tagen war eine tückische Stille im Dorfe bemerkt worden, und als am Gerichtstage der Gutsherr, aus Veranlassung des Unwohlseins, seinen Geschäftsführer bevollmächtigte, in Verein mit dem eigentlichen Justitiar die Sache abzumachen, war den beiden Herren diese Abänderung keines- weges angenehm, da ihnen recht wohl bewußt war, daß der Bauer seine Herrschaft zwar haßt, jeden Städter aber und namentlich "das Schreibervolk" aus tiefster Seele verachtet. Ihre Besorgniß ward nicht gemindert, als einige Stunden vor der Sitzung ein Schwarm baarfüßiger Weiber in den Schloß- hof zog, wahre Poissarden, mit fliegenden Haaren
ſtattfinden könnte, jedoch den Charakter des Volks zu anſchaulich darſtellt, als daß wir ſie am unge- eigneten Orte glauben ſollten. — Zu jener Zeit ſtand den Gutsbeſitzern die niedere Gerichtsbarkeit zu und wurde mitunter ſtreng gehandhabt, wobei ſich, wie es zu gehen pflegt, der Untergebene mit der Härte des Herrn, der Herr mit der Böswillig- keit des Untergebenen entſchuldigte, und in dieſer Wechſelwirkung das Uebel ſich fortwährend ſteigerte. Nun ſollte der Vorſteher (Meier) eines Dorfes, allzugrober Betrügereien und Diebſtähle halber ſeines Amtes entſetzt werden. — Er hatte ſich Manchen verpflichtet, Manchen bedrückt und die Gemeinde war in zwei bittere Parteien geſpalten. — Schon ſeit mehreren Tagen war eine tückiſche Stille im Dorfe bemerkt worden, und als am Gerichtstage der Gutsherr, aus Veranlaſſung des Unwohlſeins, ſeinen Geſchäftsführer bevollmächtigte, in Verein mit dem eigentlichen Juſtitiar die Sache abzumachen, war den beiden Herren dieſe Abänderung keines- weges angenehm, da ihnen recht wohl bewußt war, daß der Bauer ſeine Herrſchaft zwar haßt, jeden Städter aber und namentlich „das Schreibervolk“ aus tiefſter Seele verachtet. Ihre Beſorgniß ward nicht gemindert, als einige Stunden vor der Sitzung ein Schwarm baarfüßiger Weiber in den Schloß- hof zog, wahre Poiſſarden, mit fliegenden Haaren
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ſtattfinden könnte, jedoch den Charakter des Volks
zu anſchaulich darſtellt, als daß wir ſie am unge-
eigneten Orte glauben ſollten. — Zu jener Zeit
ſtand den Gutsbeſitzern die niedere Gerichtsbarkeit
zu und wurde mitunter ſtreng gehandhabt, wobei
ſich, wie es zu gehen pflegt, der Untergebene mit
der Härte des Herrn, der Herr mit der Böswillig-
keit des Untergebenen entſchuldigte, und in dieſer
Wechſelwirkung das Uebel ſich fortwährend ſteigerte.
Nun ſollte der Vorſteher (Meier) eines Dorfes,
allzugrober Betrügereien und Diebſtähle halber ſeines
Amtes entſetzt werden. — Er hatte ſich Manchen
verpflichtet, Manchen bedrückt und die Gemeinde
war in zwei bittere Parteien geſpalten. — Schon
ſeit mehreren Tagen war eine tückiſche Stille im
Dorfe bemerkt worden, und als am Gerichtstage
der Gutsherr, aus Veranlaſſung des Unwohlſeins,
ſeinen Geſchäftsführer bevollmächtigte, in Verein mit
dem eigentlichen Juſtitiar die Sache abzumachen,
war den beiden Herren dieſe Abänderung keines-
weges angenehm, da ihnen recht wohl bewußt war,
daß der Bauer ſeine Herrſchaft zwar haßt, jeden
Städter aber und namentlich „das Schreibervolk“
aus tiefſter Seele verachtet. Ihre Beſorgniß ward
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ein Schwarm baarfüßiger Weiber in den Schloß-
hof zog, wahre Poiſſarden, mit fliegenden Haaren
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/282>, abgerufen am 25.11.2024.
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