ihrer Herren Sitte und ihrer Art nach gemeiner Sclaven Weise blähen wollten, und das würde uns wieder sehr empfindlich fallen. Es war wohl allerdings eine herr- liche Zeit, diese Griechische, gerade deswegen weil sie Alles hatte, was uns nach und nach hingeschwunden ist: Lebensmark, und Trotz und freie Besonnenheit im raschen Thun und Treiben; sie mußte Treffliches wohl bilden, und das Trefflichste im engsten Kreise concen- trirt mußte classisch werden. Diese Concentrirung war nicht in der neuen Zeit, dagegen trat das Unendliche ein in sie, und mit dem Uebergang in's Geisterreich konnte nun physische Geschlossenheit nicht mehr bestehen; im Uebersinnlichen sind nicht begränzte scharf, geschnittne Crystalle, aber es ist unendliche Crystallisirbarkeit, ein schwebend Formenreich, das nur mehr Magnet bedarf, um anzuschießen in die einzelne besondere Gestalt. So war die Aufgabe der neuen Zeit eine Unendliche, ihr könnt von einem endlichen Zeitraum nicht fodern, daß er das ganze Problem nett und rein auf einmal euch löse. Das Mittelalter hat kein rein classisches Werk hervorgebracht, aber es hat die Schulschranken der alten sinnlichen Classicität durchbrochen, und eine Andere, Höhere begründet, an der alle Zeiten zu bauen haben, weil in keiner einzeln die Quadratur des Zirkels gefunden werden kann. Den herrlichen Torso der
ihrer Herren Sitte und ihrer Art nach gemeiner Sclaven Weiſe blähen wollten, und das würde uns wieder ſehr empfindlich fallen. Es war wohl allerdings eine herr- liche Zeit, dieſe Griechiſche, gerade deswegen weil ſie Alles hatte, was uns nach und nach hingeſchwunden iſt: Lebensmark, und Trotz und freie Beſonnenheit im raſchen Thun und Treiben; ſie mußte Treffliches wohl bilden, und das Trefflichſte im engſten Kreiſe concen- trirt mußte claſſiſch werden. Dieſe Concentrirung war nicht in der neuen Zeit, dagegen trat das Unendliche ein in ſie, und mit dem Uebergang in’s Geiſterreich konnte nun phyſiſche Geſchloſſenheit nicht mehr beſtehen; im Ueberſinnlichen ſind nicht begränzte ſcharf, geſchnittne Cryſtalle, aber es iſt unendliche Cryſtalliſirbarkeit, ein ſchwebend Formenreich, das nur mehr Magnet bedarf, um anzuſchießen in die einzelne beſondere Geſtalt. So war die Aufgabe der neuen Zeit eine Unendliche, ihr könnt von einem endlichen Zeitraum nicht fodern, daß er das ganze Problem nett und rein auf einmal euch löſe. Das Mittelalter hat kein rein claſſiſches Werk hervorgebracht, aber es hat die Schulſchranken der alten ſinnlichen Claſſicität durchbrochen, und eine Andere, Höhere begründet, an der alle Zeiten zu bauen haben, weil in keiner einzeln die Quadratur des Zirkels gefunden werden kann. Den herrlichen Torſo der
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ihrer Herren Sitte und ihrer Art nach gemeiner Sclaven
Weiſe blähen wollten, und das würde uns wieder ſehr
empfindlich fallen. Es war wohl allerdings eine herr-
liche Zeit, dieſe Griechiſche, gerade deswegen weil
ſie Alles hatte, was uns nach und nach hingeſchwunden
iſt: Lebensmark, und Trotz und freie Beſonnenheit im
raſchen Thun und Treiben; ſie mußte Treffliches wohl
bilden, und das Trefflichſte im engſten Kreiſe concen-
trirt mußte claſſiſch werden. Dieſe Concentrirung war
nicht in der neuen Zeit, dagegen trat das Unendliche
ein in ſie, und mit dem Uebergang in’s Geiſterreich
konnte nun phyſiſche Geſchloſſenheit nicht mehr beſtehen;
im Ueberſinnlichen ſind nicht begränzte ſcharf, geſchnittne
Cryſtalle, aber es iſt unendliche Cryſtalliſirbarkeit, ein
ſchwebend Formenreich, das nur mehr Magnet bedarf, um
anzuſchießen in die einzelne beſondere Geſtalt. So
war die Aufgabe der neuen Zeit eine Unendliche,
ihr könnt von einem endlichen Zeitraum nicht fodern,
daß er das ganze Problem nett und rein auf einmal
euch löſe. Das Mittelalter hat kein rein claſſiſches
Werk hervorgebracht, aber es hat die Schulſchranken
der alten ſinnlichen Claſſicität durchbrochen, und eine
Andere, Höhere begründet, an der alle Zeiten zu bauen
haben, weil in keiner einzeln die Quadratur des Zirkels
gefunden werden kann. Den herrlichen Torſo der
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/319>, abgerufen am 18.12.2024.
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