Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

wilden Forst geworden, geboren im Eichenschatten,
erzogen in Bergesklüften, frei und frank über die
Höhen schweifend, und zutraulich von Zeit zu Zeit
zu den Wohnungen des Volkes niederkommend, und
von dem freien Leben draußen ihm Kunde bringend.
Das ist der eigentliche Geist jener Schriften, fern von
Jenem, den man in den neuesten Zeiten in den Noth-
und Hilfsbüchern als eine feuchtwarme, lindernde
Bähung seinen Preßhaftigkeiten aufgelegt, und die,
obgleich vielleicht den augenblicklichen Bedürfnissen
entsprechend, doch eben dadurch Zeugniß geben von
dem chronisch-krankhaften Geist der Zeit.

Wenn man, was wir in diesen wenigen Blättern
über den Charakter und das Wesen dieser Bücher
beigebracht, erwägt; wenn man, so oft die Hoffart auf
unsere feinere Poesie uns übernehmen will, bedenkt,
wie es das Volk doch immer ist, was uns im Früh-
linge die ersten, die wohlriechendsten und erquickend-
sten Blumen aus seinen Wäldern und Hegen bringt,
wenn auch später freilich der Luxus unserer Blumen-
gärten sich geltend macht, deren schönste Zierden aber
immer irgendwo wild gefunden werden; wenn man
sich besinnt, wie überhaupt alle Poesie ursprünglich
doch immer von ihm ausgegangen ist, weil alle In-
stitution und alle Verfassung, und das ganze Gerüste

4.

wilden Forſt geworden, geboren im Eichenſchatten,
erzogen in Bergesklüften, frei und frank über die
Höhen ſchweifend, und zutraulich von Zeit zu Zeit
zu den Wohnungen des Volkes niederkommend, und
von dem freien Leben draußen ihm Kunde bringend.
Das iſt der eigentliche Geiſt jener Schriften, fern von
Jenem, den man in den neueſten Zeiten in den Noth-
und Hilfsbüchern als eine feuchtwarme, lindernde
Bähung ſeinen Preßhaftigkeiten aufgelegt, und die,
obgleich vielleicht den augenblicklichen Bedürfniſſen
entſprechend, doch eben dadurch Zeugniß geben von
dem chroniſch-krankhaften Geiſt der Zeit.

Wenn man, was wir in dieſen wenigen Blättern
über den Charakter und das Weſen dieſer Bücher
beigebracht, erwägt; wenn man, ſo oft die Hoffart auf
unſere feinere Poeſie uns übernehmen will, bedenkt,
wie es das Volk doch immer iſt, was uns im Früh-
linge die erſten, die wohlriechendſten und erquickend-
ſten Blumen aus ſeinen Wäldern und Hegen bringt,
wenn auch ſpäter freilich der Luxus unſerer Blumen-
gärten ſich geltend macht, deren ſchönſte Zierden aber
immer irgendwo wild gefunden werden; wenn man
ſich beſinnt, wie überhaupt alle Poeſie urſprünglich
doch immer von ihm ausgegangen iſt, weil alle In-
ſtitution und alle Verfaſſung, und das ganze Gerüſte

4.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="25"/>
wilden For&#x017F;t geworden, geboren im Eichen&#x017F;chatten,<lb/>
erzogen in Bergesklüften, frei und frank über die<lb/>
Höhen &#x017F;chweifend, und zutraulich von Zeit zu Zeit<lb/>
zu den Wohnungen des Volkes niederkommend, und<lb/>
von dem freien Leben draußen ihm Kunde bringend.<lb/>
Das i&#x017F;t der eigentliche Gei&#x017F;t jener Schriften, fern von<lb/>
Jenem, den man in den neue&#x017F;ten Zeiten in den Noth-<lb/>
und Hilfsbüchern als eine feuchtwarme, lindernde<lb/>
Bähung &#x017F;einen Preßhaftigkeiten aufgelegt, und die,<lb/>
obgleich vielleicht den augenblicklichen Bedürfni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ent&#x017F;prechend, doch eben dadurch Zeugniß geben von<lb/>
dem chroni&#x017F;ch-krankhaften Gei&#x017F;t der Zeit.</p><lb/>
        <p>Wenn man, was wir in die&#x017F;en wenigen Blättern<lb/>
über den Charakter und das We&#x017F;en die&#x017F;er Bücher<lb/>
beigebracht, erwägt; wenn man, &#x017F;o oft die Hoffart auf<lb/>
un&#x017F;ere feinere Poe&#x017F;ie uns übernehmen will, bedenkt,<lb/>
wie es das Volk doch immer i&#x017F;t, was uns im Früh-<lb/>
linge die er&#x017F;ten, die wohlriechend&#x017F;ten und erquickend-<lb/>
&#x017F;ten Blumen aus &#x017F;einen Wäldern und Hegen bringt,<lb/>
wenn auch &#x017F;päter freilich der Luxus un&#x017F;erer Blumen-<lb/>
gärten &#x017F;ich geltend macht, deren &#x017F;chön&#x017F;te Zierden aber<lb/>
immer irgendwo wild gefunden werden; wenn man<lb/>
&#x017F;ich be&#x017F;innt, wie überhaupt alle Poe&#x017F;ie ur&#x017F;prünglich<lb/>
doch immer von ihm ausgegangen i&#x017F;t, weil alle In-<lb/>
&#x017F;titution und alle Verfa&#x017F;&#x017F;ung, und das ganze Gerü&#x017F;te<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0043] wilden Forſt geworden, geboren im Eichenſchatten, erzogen in Bergesklüften, frei und frank über die Höhen ſchweifend, und zutraulich von Zeit zu Zeit zu den Wohnungen des Volkes niederkommend, und von dem freien Leben draußen ihm Kunde bringend. Das iſt der eigentliche Geiſt jener Schriften, fern von Jenem, den man in den neueſten Zeiten in den Noth- und Hilfsbüchern als eine feuchtwarme, lindernde Bähung ſeinen Preßhaftigkeiten aufgelegt, und die, obgleich vielleicht den augenblicklichen Bedürfniſſen entſprechend, doch eben dadurch Zeugniß geben von dem chroniſch-krankhaften Geiſt der Zeit. Wenn man, was wir in dieſen wenigen Blättern über den Charakter und das Weſen dieſer Bücher beigebracht, erwägt; wenn man, ſo oft die Hoffart auf unſere feinere Poeſie uns übernehmen will, bedenkt, wie es das Volk doch immer iſt, was uns im Früh- linge die erſten, die wohlriechendſten und erquickend- ſten Blumen aus ſeinen Wäldern und Hegen bringt, wenn auch ſpäter freilich der Luxus unſerer Blumen- gärten ſich geltend macht, deren ſchönſte Zierden aber immer irgendwo wild gefunden werden; wenn man ſich beſinnt, wie überhaupt alle Poeſie urſprünglich doch immer von ihm ausgegangen iſt, weil alle In- ſtitution und alle Verfaſſung, und das ganze Gerüſte 4.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/43
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/43>, abgerufen am 21.11.2024.