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Goethe, Johann Wolfgang von: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. [s. l.], 1773.

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Franz. Das kann wohl seyn. Das letztemal
daß ich sie sahe, hatte ich nicht mehr Sinne als ein
Trunkener. Oder vielmehr, kann ich sagen,
ich fühlte in dem Augenblick, wie's den Heiligen
bey himmlischen Erscheinungen seyn mag. Alle
Sinne stärker, höher, vollkommener, und doch den
Gebrauch von keinem.
Weislingen. Das ist seltsam.
Franz. Wie ich von dem Bischoff Abschied nahm,
saß sie bey ihm. Sie spielten Schach. Er war sehr
gnädig, reichte mir seine Hand zu küssen und sagte
mir viel vieles, davon ich nichts vernahm. Denn
ich sah seine Nachbarinn, sie hatte ihr Auge auf's
Bret geheftet, als wenn sie einem großen Streich
nachsänne. Ein feiner laurender Zug um Mund und
Wange! Jch hätte der elfenbeinerne König seyn
mögen. Adel und Freundlichkeit herrschten auf ih-
rer Stirne. Und das blendende Licht des Angesichts
und des Busens wie es von den finstern Haaren er-
hoben ward!
Weislingen. Du bist gar drüber zum Dichter
geworden.
Franz. So fühl ich denn in dem Augenblick,
was den Dichter macht, ein volles, ganz von einer
Em-


Franz. Das kann wohl ſeyn. Das letztemal
daß ich ſie ſahe, hatte ich nicht mehr Sinne als ein
Trunkener. Oder vielmehr, kann ich ſagen,
ich fuͤhlte in dem Augenblick, wie’s den Heiligen
bey himmliſchen Erſcheinungen ſeyn mag. Alle
Sinne ſtaͤrker, hoͤher, vollkommener, und doch den
Gebrauch von keinem.
Weislingen. Das iſt ſeltſam.
Franz. Wie ich von dem Biſchoff Abſchied nahm,
ſaß ſie bey ihm. Sie ſpielten Schach. Er war ſehr
gnaͤdig, reichte mir ſeine Hand zu kuͤſſen und ſagte
mir viel vieles, davon ich nichts vernahm. Denn
ich ſah ſeine Nachbarinn, ſie hatte ihr Auge auf’s
Bret geheftet, als wenn ſie einem großen Streich
nachſaͤnne. Ein feiner laurender Zug um Mund und
Wange! Jch haͤtte der elfenbeinerne Koͤnig ſeyn
moͤgen. Adel und Freundlichkeit herrſchten auf ih-
rer Stirne. Und das blendende Licht des Angeſichts
und des Buſens wie es von den finſtern Haaren er-
hoben ward!
Weislingen. Du biſt gar druͤber zum Dichter
geworden.
Franz. So fuͤhl ich denn in dem Augenblick,
was den Dichter macht, ein volles, ganz von einer
Em-
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[60/0064] Franz. Das kann wohl ſeyn. Das letztemal daß ich ſie ſahe, hatte ich nicht mehr Sinne als ein Trunkener. Oder vielmehr, kann ich ſagen, ich fuͤhlte in dem Augenblick, wie’s den Heiligen bey himmliſchen Erſcheinungen ſeyn mag. Alle Sinne ſtaͤrker, hoͤher, vollkommener, und doch den Gebrauch von keinem. Weislingen. Das iſt ſeltſam. Franz. Wie ich von dem Biſchoff Abſchied nahm, ſaß ſie bey ihm. Sie ſpielten Schach. Er war ſehr gnaͤdig, reichte mir ſeine Hand zu kuͤſſen und ſagte mir viel vieles, davon ich nichts vernahm. Denn ich ſah ſeine Nachbarinn, ſie hatte ihr Auge auf’s Bret geheftet, als wenn ſie einem großen Streich nachſaͤnne. Ein feiner laurender Zug um Mund und Wange! Jch haͤtte der elfenbeinerne Koͤnig ſeyn moͤgen. Adel und Freundlichkeit herrſchten auf ih- rer Stirne. Und das blendende Licht des Angeſichts und des Buſens wie es von den finſtern Haaren er- hoben ward! Weislingen. Du biſt gar druͤber zum Dichter geworden. Franz. So fuͤhl ich denn in dem Augenblick, was den Dichter macht, ein volles, ganz von einer Em-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. [s. l.], 1773, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_goetz_1773/64>, abgerufen am 21.11.2024.