Gumppenberg, Hanns von: Deutsche Lyrik von gestern. München, 1891 (= Münchener Flugschriften, Bd. 3).Aus der Hand des jungen Manns Kommt das Blut geronnen: Seinen Finger taucht der Hans Seufzend in den Bronnen. Saß ein Seherweib am Born, Sprach mit weiser Zunge: "Keine Rose ohne Dorn -- Merk' dir das, mein Junge!" Hänschen glättet sein Gesicht, Dreht dem Strauch den Rücken: Weil die dumme Rose sticht, Disteln sich zu pflücken. [Zwar es fordert Phantasie, Diese Logik zu glauben: Doch die Hänschenallegorie Kann sich das erlauben.] Disteln haben gleichen Stolz -- Unbescheid'ne Dinger! Ach! schon sitzt der Stichebolz Tief in Hänschens Finger. Hänschen, laß' den Distelstrauch -- Willst du dich erbosen? Sieh', die Disteln stechen auch: Brich du lieber Rosen! [Daß man and're Blumen bricht, Die da gar nicht stechen, Will ich, lieber Baumbach, nicht öffentlich besprechen.] Eine ganz andere Poetennatur von Gestern ist Martin Greif. Bei ihm liegt das Hauptgewicht auf der Einfachheit und Wärme des Gefühls. Dabei hat er eine starke Hinneigung zum Mystischen, nur halb Angedeuteten, weshalb seine Gedichte auch meist nur zwei Strophen haben, in welchen sich dann eine ganze Welt lakonisch und scheinbar einfältig zusammendrängt. Hören wir zwei seiner Erzeugnisse. Der Eierkuchen. Am heiligen Charfreitag Grub ich ein Kräutlein fruh: Jn einem Eierkuchen Schickt' ich's dem Liebsten zu. Aus der Hand des jungen Manns Kommt das Blut geronnen: Seinen Finger taucht der Hans Seufzend in den Bronnen. Saß ein Seherweib am Born, Sprach mit weiser Zunge: „Keine Rose ohne Dorn — Merk' dir das, mein Junge!“ Hänschen glättet sein Gesicht, Dreht dem Strauch den Rücken: Weil die dumme Rose sticht, Disteln sich zu pflücken. [Zwar es fordert Phantasie, Diese Logik zu glauben: Doch die Hänschenallegorie Kann sich das erlauben.] Disteln haben gleichen Stolz — Unbescheid'ne Dinger! Ach! schon sitzt der Stichebolz Tief in Hänschens Finger. Hänschen, laß' den Distelstrauch — Willst du dich erbosen? Sieh', die Disteln stechen auch: Brich du lieber Rosen! [Daß man and're Blumen bricht, Die da gar nicht stechen, Will ich, lieber Baumbach, nicht öffentlich besprechen.] Eine ganz andere Poetennatur von Gestern ist Martin Greif. Bei ihm liegt das Hauptgewicht auf der Einfachheit und Wärme des Gefühls. Dabei hat er eine starke Hinneigung zum Mystischen, nur halb Angedeuteten, weshalb seine Gedichte auch meist nur zwei Strophen haben, in welchen sich dann eine ganze Welt lakonisch und scheinbar einfältig zusammendrängt. Hören wir zwei seiner Erzeugnisse. Der Eierkuchen. Am heiligen Charfreitag Grub ich ein Kräutlein fruh: Jn einem Eierkuchen Schickt' ich's dem Liebsten zu. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0012" n="12"/> <lg n="2"> <l>Aus der Hand des jungen Manns</l><lb/> <l>Kommt das Blut geronnen:</l><lb/> <l>Seinen Finger taucht der Hans</l><lb/> <l>Seufzend in den Bronnen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Saß ein Seherweib am Born,</l><lb/> <l>Sprach mit weiser Zunge:</l><lb/> <l>„<hi rendition="#g">Keine Rose ohne Dorn</hi> —</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Merk</hi>' dir das, mein Junge!“</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Hänschen glättet sein Gesicht,</l><lb/> <l>Dreht dem Strauch den Rücken:</l><lb/> <l>Weil die dumme Rose sticht,</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Disteln</hi> sich zu pflücken.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>[Zwar es fordert Phantasie,</l><lb/> <l>Diese Logik zu glauben:</l><lb/> <l>Doch die Hänschenallegorie</l><lb/> <l>Kann sich das erlauben.]</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Disteln haben <hi rendition="#g">gleichen</hi> Stolz —</l><lb/> <l>Unbescheid'ne Dinger!</l><lb/> <l>Ach! schon sitzt der Stichebolz</l><lb/> <l>Tief in Hänschens Finger.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Hänschen, laß' den Distelstrauch —</l><lb/> <l>Willst du dich erbosen?</l><lb/> <l>Sieh', die Disteln stechen <hi rendition="#g">auch</hi>:</l><lb/> <l>Brich du lieber Rosen!</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>[Daß man <hi rendition="#g">and're</hi> Blumen bricht,</l><lb/> <l>Die da <hi rendition="#g">gar nicht</hi> stechen,</l><lb/> <l>Will ich, lieber Baumbach, nicht</l><lb/> <l>öffentlich besprechen.]</l> </lg> </lg><lb/> <p> Eine ganz andere Poetennatur von Gestern ist <hi rendition="#g">Martin Greif</hi>. Bei ihm liegt das Hauptgewicht auf der Einfachheit und Wärme des Gefühls. Dabei hat er eine starke Hinneigung zum Mystischen, nur halb Angedeuteten, weshalb seine Gedichte auch meist nur zwei Strophen haben, in welchen sich dann eine ganze Welt lakonisch und scheinbar einfältig zusammendrängt. Hören wir zwei seiner Erzeugnisse. </p><lb/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#b">Der Eierkuchen</hi>.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Am heiligen Charfreitag</l><lb/> <l>Grub ich ein Kräutlein fruh:</l><lb/> <l>Jn einem Eierkuchen</l><lb/> <l>Schickt' ich's dem Liebsten zu.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [12/0012]
Aus der Hand des jungen Manns
Kommt das Blut geronnen:
Seinen Finger taucht der Hans
Seufzend in den Bronnen.
Saß ein Seherweib am Born,
Sprach mit weiser Zunge:
„Keine Rose ohne Dorn —
Merk' dir das, mein Junge!“
Hänschen glättet sein Gesicht,
Dreht dem Strauch den Rücken:
Weil die dumme Rose sticht,
Disteln sich zu pflücken.
[Zwar es fordert Phantasie,
Diese Logik zu glauben:
Doch die Hänschenallegorie
Kann sich das erlauben.]
Disteln haben gleichen Stolz —
Unbescheid'ne Dinger!
Ach! schon sitzt der Stichebolz
Tief in Hänschens Finger.
Hänschen, laß' den Distelstrauch —
Willst du dich erbosen?
Sieh', die Disteln stechen auch:
Brich du lieber Rosen!
[Daß man and're Blumen bricht,
Die da gar nicht stechen,
Will ich, lieber Baumbach, nicht
öffentlich besprechen.]
Eine ganz andere Poetennatur von Gestern ist Martin Greif. Bei ihm liegt das Hauptgewicht auf der Einfachheit und Wärme des Gefühls. Dabei hat er eine starke Hinneigung zum Mystischen, nur halb Angedeuteten, weshalb seine Gedichte auch meist nur zwei Strophen haben, in welchen sich dann eine ganze Welt lakonisch und scheinbar einfältig zusammendrängt. Hören wir zwei seiner Erzeugnisse.
Der Eierkuchen.
Am heiligen Charfreitag
Grub ich ein Kräutlein fruh:
Jn einem Eierkuchen
Schickt' ich's dem Liebsten zu.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Rudolf Brandmeyer: Herausgeber
Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription.
(2018-04-05T14:03:19Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-04-05T14:03:19Z)
Weitere Informationen:Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.uni-due.de/lyriktheorie/beiwerk/projekt.html#edition formulierten Richtlinien. Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst). Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |