Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

wieder zu viel oder zu wenig Wein getrunken,
das heißt, er trinkt noch welchen und -- al¬
leine."

Wer verlieh Dir denn diese prophetische
Kraft? oder konntest Du ahnen, daß meine
Augen wacker waren, weil sie heute Nacht al¬
ten Rheinwein schauen sollten, konntest Du
wissen, daß ich gerade heute von dem Patent
und Erlaubnißschein, vom Rathe auf meine
Person ausgestellt, Gebrauch machen werde, um
die Rose und eure zwölf Apostel zu begrüßen?
Und überdieß, war denn heute nicht mein
Schalttag?

Meines Erachtens ist es reine üble Ge¬
wohnheit, die ich von meinem Großvater an¬
genommen, nämlich hie und da Einschnitte zu
machen in den Baum des Jahres und sinnend
dabei zu verweilen. Wenn der Mensch nur
Neujahr und Ostern, nur Christfest oder Pfing¬
sten feiert, so kommen ihm endlich diese Ruhe¬

wieder zu viel oder zu wenig Wein getrunken,
das heißt, er trinkt noch welchen und — al¬
leine.“

Wer verlieh Dir denn dieſe prophetiſche
Kraft? oder konnteſt Du ahnen, daß meine
Augen wacker waren, weil ſie heute Nacht al¬
ten Rheinwein ſchauen ſollten, konnteſt Du
wiſſen, daß ich gerade heute von dem Patent
und Erlaubnißſchein, vom Rathe auf meine
Perſon ausgeſtellt, Gebrauch machen werde, um
die Roſe und eure zwoͤlf Apoſtel zu begruͤßen?
Und uͤberdieß, war denn heute nicht mein
Schalttag?

Meines Erachtens iſt es reine uͤble Ge¬
wohnheit, die ich von meinem Großvater an¬
genommen, naͤmlich hie und da Einſchnitte zu
machen in den Baum des Jahres und ſinnend
dabei zu verweilen. Wenn der Menſch nur
Neujahr und Oſtern, nur Chriſtfeſt oder Pfing¬
ſten feiert, ſo kommen ihm endlich dieſe Ruhe¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="9"/>
wieder zu viel oder zu wenig Wein getrunken,<lb/>
das heißt, er trinkt noch welchen und &#x2014; al¬<lb/>
leine.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wer verlieh Dir denn die&#x017F;e propheti&#x017F;che<lb/>
Kraft? oder konnte&#x017F;t Du ahnen, daß meine<lb/>
Augen wacker waren, weil &#x017F;ie heute Nacht al¬<lb/>
ten Rheinwein &#x017F;chauen &#x017F;ollten, konnte&#x017F;t Du<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, daß ich gerade heute von dem Patent<lb/>
und Erlaubniß&#x017F;chein, vom Rathe auf meine<lb/>
Per&#x017F;on ausge&#x017F;tellt, Gebrauch machen werde, um<lb/>
die Ro&#x017F;e und eure zwo&#x0364;lf Apo&#x017F;tel zu begru&#x0364;ßen?<lb/>
Und u&#x0364;berdieß, war denn heute nicht mein<lb/>
Schalttag?</p><lb/>
        <p>Meines Erachtens i&#x017F;t es reine u&#x0364;ble Ge¬<lb/>
wohnheit, die ich von meinem Großvater an¬<lb/>
genommen, na&#x0364;mlich hie und da Ein&#x017F;chnitte zu<lb/>
machen in den Baum des Jahres und &#x017F;innend<lb/>
dabei zu verweilen. Wenn der Men&#x017F;ch nur<lb/>
Neujahr und O&#x017F;tern, nur Chri&#x017F;tfe&#x017F;t oder Pfing¬<lb/>
&#x017F;ten feiert, &#x017F;o kommen ihm endlich die&#x017F;e Ruhe¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0015] wieder zu viel oder zu wenig Wein getrunken, das heißt, er trinkt noch welchen und — al¬ leine.“ Wer verlieh Dir denn dieſe prophetiſche Kraft? oder konnteſt Du ahnen, daß meine Augen wacker waren, weil ſie heute Nacht al¬ ten Rheinwein ſchauen ſollten, konnteſt Du wiſſen, daß ich gerade heute von dem Patent und Erlaubnißſchein, vom Rathe auf meine Perſon ausgeſtellt, Gebrauch machen werde, um die Roſe und eure zwoͤlf Apoſtel zu begruͤßen? Und uͤberdieß, war denn heute nicht mein Schalttag? Meines Erachtens iſt es reine uͤble Ge¬ wohnheit, die ich von meinem Großvater an¬ genommen, naͤmlich hie und da Einſchnitte zu machen in den Baum des Jahres und ſinnend dabei zu verweilen. Wenn der Menſch nur Neujahr und Oſtern, nur Chriſtfeſt oder Pfing¬ ſten feiert, ſo kommen ihm endlich dieſe Ruhe¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/15
Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/15>, abgerufen am 03.12.2024.