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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ich ihm schon einmal in die Ohren donnern; so lange liegt es mir auf der Brust, wie ein Mühlstein. Aber jetzt gibt es Anderes zu thun. --

Nach Mittag, als Ellinger schlief, schlich Lottchen auf den Zehen herein, ihre Augen waren naß und glänzten wie verklärt. Ich habe dir viel zu sagen, hob sie an; das Beste zuerst. Ich schlug die Bibel auf, weil ich gar zu betrübt war, Justine thut das oft. Was meinst du, was da vor meinen Augen stand, wie mit feurigen Buchstaben? "Raguel sprach: Ich zweifle nicht, daß Gott meine heißen Thränen und mein Gebet erhört hat." Ist das nicht schön, Mariane? Wir wollen auch nicht zweifeln.

Mariane umarmte sie und wiederholte die Worte. Sie fand einen Trost darin, den der Ruhige nicht ahnet. Dann ist auch der Hauptmann hier gewesen, fuhr Lottchen fort, und hat nach dem Vater gefragt; er geht nicht aus Dresden, bis er weiß, wie Alles ist. Und denke nur, Justine ist schon wieder ausgegangen, angezogen wie zu einer Schlittenfahrt, und mit solchen Umständen, als käme sie zeitlebens nicht wieder, und diesen Zettel an dich hat sie dagelassen.

Mariane entzifferte die Schrift und las: "Mein Herzenskind, ich muß doch wieder fortgehen und werde wohl ein paar Tage und ein paar Nächte weg sein, was gar nicht anders angeht. Ich glaubte, ich wäre eben so sicher vor einem Gange die Treppen hinunter, als mein alter Nußbaumschrank, den vier Männer nicht

ich ihm schon einmal in die Ohren donnern; so lange liegt es mir auf der Brust, wie ein Mühlstein. Aber jetzt gibt es Anderes zu thun. —

Nach Mittag, als Ellinger schlief, schlich Lottchen auf den Zehen herein, ihre Augen waren naß und glänzten wie verklärt. Ich habe dir viel zu sagen, hob sie an; das Beste zuerst. Ich schlug die Bibel auf, weil ich gar zu betrübt war, Justine thut das oft. Was meinst du, was da vor meinen Augen stand, wie mit feurigen Buchstaben? „Raguel sprach: Ich zweifle nicht, daß Gott meine heißen Thränen und mein Gebet erhört hat.“ Ist das nicht schön, Mariane? Wir wollen auch nicht zweifeln.

Mariane umarmte sie und wiederholte die Worte. Sie fand einen Trost darin, den der Ruhige nicht ahnet. Dann ist auch der Hauptmann hier gewesen, fuhr Lottchen fort, und hat nach dem Vater gefragt; er geht nicht aus Dresden, bis er weiß, wie Alles ist. Und denke nur, Justine ist schon wieder ausgegangen, angezogen wie zu einer Schlittenfahrt, und mit solchen Umständen, als käme sie zeitlebens nicht wieder, und diesen Zettel an dich hat sie dagelassen.

Mariane entzifferte die Schrift und las: „Mein Herzenskind, ich muß doch wieder fortgehen und werde wohl ein paar Tage und ein paar Nächte weg sein, was gar nicht anders angeht. Ich glaubte, ich wäre eben so sicher vor einem Gange die Treppen hinunter, als mein alter Nußbaumschrank, den vier Männer nicht

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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/56>, abgerufen am 28.03.2024.