Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

erdrückten die Alte fast mit ihren Liebkosungen, hatten unzählige Fragen und dankten immer aufs Neue Gott für diese Stunde, Justinen aber machte, zum ersten Mal in ihrem Leben, die Freude stumm. Hat dich denn der Vater nicht gesehen? und Pistor? fragte Lottchen. Ach, welche herrliche Ueberraschung zu Marianens Hochzeit!

Zu Marianens Hochzeit! sagte Justine, ja wohl, nun sehe ich wahrhaftig erst den grünen Kranz und das festliche Kleid, und Pistor ist der Bräutigam, kein anderer Mensch, das weiß ich. Kinder, es ist kein Unglück so groß, es ist zu etwas gut, aber mir giebt die Freude vollends den Rest. Ich will mich ein bischen setzen, sonst kann ich kein Wort reden. Nein, Niemand hat mich gesehen, bloß das Kind, das Luischen; ich bin durch eine Hinterthür in den Garten gekommen mit einem recht höflichen Burschen, denn ich sah nicht aus wie Jemand, der zur ordentlichen Hausthüre eingeht. Seht mich nur an, Ordnung und Sauberkeit habe ich am schwersten vermißt bei aller meiner Noth. Ich weiß nicht mehr, wie eine Bürste aussieht, und fremder Menschen Gerätschaften, die ich nicht gerne angreife, habe ich mit gar schönem Danke gebrauchen müssen. Kinder, das begreif ich nicht, wie die Leute zum Vergnügen reisen können. Herr des Himmels! in was für Stuben habe ich aushalten müssen! wo der Fußboden wie eine Dreschtenne aussah, und der Staub in hellen Säulen wirbelte, und Tauben und Hühner das Bürger-

erdrückten die Alte fast mit ihren Liebkosungen, hatten unzählige Fragen und dankten immer aufs Neue Gott für diese Stunde, Justinen aber machte, zum ersten Mal in ihrem Leben, die Freude stumm. Hat dich denn der Vater nicht gesehen? und Pistor? fragte Lottchen. Ach, welche herrliche Ueberraschung zu Marianens Hochzeit!

Zu Marianens Hochzeit! sagte Justine, ja wohl, nun sehe ich wahrhaftig erst den grünen Kranz und das festliche Kleid, und Pistor ist der Bräutigam, kein anderer Mensch, das weiß ich. Kinder, es ist kein Unglück so groß, es ist zu etwas gut, aber mir giebt die Freude vollends den Rest. Ich will mich ein bischen setzen, sonst kann ich kein Wort reden. Nein, Niemand hat mich gesehen, bloß das Kind, das Luischen; ich bin durch eine Hinterthür in den Garten gekommen mit einem recht höflichen Burschen, denn ich sah nicht aus wie Jemand, der zur ordentlichen Hausthüre eingeht. Seht mich nur an, Ordnung und Sauberkeit habe ich am schwersten vermißt bei aller meiner Noth. Ich weiß nicht mehr, wie eine Bürste aussieht, und fremder Menschen Gerätschaften, die ich nicht gerne angreife, habe ich mit gar schönem Danke gebrauchen müssen. Kinder, das begreif ich nicht, wie die Leute zum Vergnügen reisen können. Herr des Himmels! in was für Stuben habe ich aushalten müssen! wo der Fußboden wie eine Dreschtenne aussah, und der Staub in hellen Säulen wirbelte, und Tauben und Hühner das Bürger-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="7">
        <p><pb facs="#f0074"/>
erdrückten die                Alte fast mit ihren Liebkosungen, hatten unzählige Fragen und dankten immer aufs Neue                Gott für diese Stunde, Justinen aber machte, zum ersten Mal in ihrem Leben, die                Freude stumm. Hat dich denn der Vater nicht gesehen? und Pistor? fragte Lottchen.                Ach, welche herrliche Ueberraschung zu Marianens Hochzeit!</p><lb/>
        <p>Zu Marianens Hochzeit! sagte Justine, ja wohl, nun sehe ich wahrhaftig erst den                grünen Kranz und das festliche Kleid, und Pistor ist der Bräutigam, kein anderer                Mensch, das weiß ich. Kinder, es ist kein Unglück so groß, es ist zu etwas gut, aber                mir giebt die Freude vollends den Rest. Ich will mich ein bischen setzen, sonst kann                ich kein Wort reden. Nein, Niemand hat mich gesehen, bloß das Kind, das Luischen; ich                bin durch eine Hinterthür in den Garten gekommen mit einem recht höflichen Burschen,                denn ich sah nicht aus wie Jemand, der zur ordentlichen Hausthüre eingeht. Seht mich                nur an, Ordnung und Sauberkeit habe ich am schwersten vermißt bei aller meiner Noth.                Ich weiß nicht mehr, wie eine Bürste aussieht, und fremder Menschen Gerätschaften,                die ich nicht gerne angreife, habe ich mit gar schönem Danke gebrauchen müssen.                Kinder, das begreif ich nicht, wie die Leute zum Vergnügen reisen können. Herr des                Himmels! in was für Stuben habe ich aushalten müssen! wo der Fußboden wie eine                Dreschtenne aussah, und der Staub in hellen Säulen wirbelte, und Tauben und Hühner                das Bürger-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0074] erdrückten die Alte fast mit ihren Liebkosungen, hatten unzählige Fragen und dankten immer aufs Neue Gott für diese Stunde, Justinen aber machte, zum ersten Mal in ihrem Leben, die Freude stumm. Hat dich denn der Vater nicht gesehen? und Pistor? fragte Lottchen. Ach, welche herrliche Ueberraschung zu Marianens Hochzeit! Zu Marianens Hochzeit! sagte Justine, ja wohl, nun sehe ich wahrhaftig erst den grünen Kranz und das festliche Kleid, und Pistor ist der Bräutigam, kein anderer Mensch, das weiß ich. Kinder, es ist kein Unglück so groß, es ist zu etwas gut, aber mir giebt die Freude vollends den Rest. Ich will mich ein bischen setzen, sonst kann ich kein Wort reden. Nein, Niemand hat mich gesehen, bloß das Kind, das Luischen; ich bin durch eine Hinterthür in den Garten gekommen mit einem recht höflichen Burschen, denn ich sah nicht aus wie Jemand, der zur ordentlichen Hausthüre eingeht. Seht mich nur an, Ordnung und Sauberkeit habe ich am schwersten vermißt bei aller meiner Noth. Ich weiß nicht mehr, wie eine Bürste aussieht, und fremder Menschen Gerätschaften, die ich nicht gerne angreife, habe ich mit gar schönem Danke gebrauchen müssen. Kinder, das begreif ich nicht, wie die Leute zum Vergnügen reisen können. Herr des Himmels! in was für Stuben habe ich aushalten müssen! wo der Fußboden wie eine Dreschtenne aussah, und der Staub in hellen Säulen wirbelte, und Tauben und Hühner das Bürger-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:20:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:20:58Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/74
Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/74>, abgerufen am 28.03.2024.