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Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.

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lauten Egoismus des Kampfes das angstvolle Klopfen des
Menschenherzens erhorchen, das aus der innern Einsamkeit
des Egoismus sich heraussehnt in das Glück einer Liebe, die
sich selbst vergißt und leben mag nur in den andern. Wir
ahnen, daß die treibende Grundursache des ganzen Wirt-
schaftskampfes, durch den wir unser Erdennest warm aus-
polstern wollen zu äußerem Glück, hinter der Welt der
Erscheinungen liegt in den tiefsten ewigen Bedürfnissen des
Menschen noch Klarheit des Erkennens, Befriedigung des
Fühlens, Reinheit des Wollens, Kraft des Handelns. Dann
verschieben sich unsrer Betrachtung die Probleme des Lebens:
die geistig ethischen sind nicht Begleiterscheinungen des wirt-
schaftlichen Kampfes, sondern dieser ist nur die äußere Er-
scheinungsform für das Grundproblem: Wahrheit, Glück,
Frieden. Aeußere Erscheinungsform, aber notwendige. Denn
nichts ist schwerer, als ohne äußere Kraftbetätigung innerlich
kräftig zu bleiben, ohne Tüchtigkeit für strenge Arbeit doch
innere Harmonie zu behalten. Die Möglichkeit, auf den Höhen
des Lebens zu den nur Genießenden zu gehören, ist das
furchtbarste Danaergeschenk, das Sterblichen zu teil werden
kann, weil daran allzuleicht das Herz matt und der Wille
lahm wird. Das ist nur zu sehr das Schicksal der "gebil-
deten
" Frauenwelt gewesen. Das "du bist wie eine Blume"
hat allzuoft die Frau in dürre Dornenwirrnis verschlungen,
in die sie sofort ihre Lebenskreise nachlockt. Umgekehrt ist
es ebenso ein menschenunwürdiges Schicksal, im äußern harten
Daseinskampf so aufgerieben zu werden, daß man im Erden-
staub erstickt, und daß nie ein Strahl aus einer höhern Welt
die arme Seele in Ruhe trifft. Das ist das Schicksal der
"Arbeiterin", die unter der doppelten Last keucht, der Lohn-
arbeit und der Mutterschaft, und unter der doppelten Be-
lastung das Glück der einen und den Segen der andern Auf-
gabe nicht mehr zu empfinden vermag. Diese armen Frauen
reiben sich an der Schale der eigentlichen Lebenswerte auf,

lauten Egoismus des Kampfes das angstvolle Klopfen des
Menschenherzens erhorchen, das aus der innern Einsamkeit
des Egoismus sich heraussehnt in das Glück einer Liebe, die
sich selbst vergißt und leben mag nur in den andern. Wir
ahnen, daß die treibende Grundursache des ganzen Wirt-
schaftskampfes, durch den wir unser Erdennest warm aus-
polstern wollen zu äußerem Glück, hinter der Welt der
Erscheinungen liegt in den tiefsten ewigen Bedürfnissen des
Menschen noch Klarheit des Erkennens, Befriedigung des
Fühlens, Reinheit des Wollens, Kraft des Handelns. Dann
verschieben sich unsrer Betrachtung die Probleme des Lebens:
die geistig ethischen sind nicht Begleiterscheinungen des wirt-
schaftlichen Kampfes, sondern dieser ist nur die äußere Er-
scheinungsform für das Grundproblem: Wahrheit, Glück,
Frieden. Aeußere Erscheinungsform, aber notwendige. Denn
nichts ist schwerer, als ohne äußere Kraftbetätigung innerlich
kräftig zu bleiben, ohne Tüchtigkeit für strenge Arbeit doch
innere Harmonie zu behalten. Die Möglichkeit, auf den Höhen
des Lebens zu den nur Genießenden zu gehören, ist das
furchtbarste Danaergeschenk, das Sterblichen zu teil werden
kann, weil daran allzuleicht das Herz matt und der Wille
lahm wird. Das ist nur zu sehr das Schicksal der „gebil-
deten
“ Frauenwelt gewesen. Das „du bist wie eine Blume“
hat allzuoft die Frau in dürre Dornenwirrnis verschlungen,
in die sie sofort ihre Lebenskreise nachlockt. Umgekehrt ist
es ebenso ein menschenunwürdiges Schicksal, im äußern harten
Daseinskampf so aufgerieben zu werden, daß man im Erden-
staub erstickt, und daß nie ein Strahl aus einer höhern Welt
die arme Seele in Ruhe trifft. Das ist das Schicksal der
„Arbeiterin“, die unter der doppelten Last keucht, der Lohn-
arbeit und der Mutterschaft, und unter der doppelten Be-
lastung das Glück der einen und den Segen der andern Auf-
gabe nicht mehr zu empfinden vermag. Diese armen Frauen
reiben sich an der Schale der eigentlichen Lebenswerte auf,

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[4/0007] lauten Egoismus des Kampfes das angstvolle Klopfen des Menschenherzens erhorchen, das aus der innern Einsamkeit des Egoismus sich heraussehnt in das Glück einer Liebe, die sich selbst vergißt und leben mag nur in den andern. Wir ahnen, daß die treibende Grundursache des ganzen Wirt- schaftskampfes, durch den wir unser Erdennest warm aus- polstern wollen zu äußerem Glück, hinter der Welt der Erscheinungen liegt in den tiefsten ewigen Bedürfnissen des Menschen noch Klarheit des Erkennens, Befriedigung des Fühlens, Reinheit des Wollens, Kraft des Handelns. Dann verschieben sich unsrer Betrachtung die Probleme des Lebens: die geistig ethischen sind nicht Begleiterscheinungen des wirt- schaftlichen Kampfes, sondern dieser ist nur die äußere Er- scheinungsform für das Grundproblem: Wahrheit, Glück, Frieden. Aeußere Erscheinungsform, aber notwendige. Denn nichts ist schwerer, als ohne äußere Kraftbetätigung innerlich kräftig zu bleiben, ohne Tüchtigkeit für strenge Arbeit doch innere Harmonie zu behalten. Die Möglichkeit, auf den Höhen des Lebens zu den nur Genießenden zu gehören, ist das furchtbarste Danaergeschenk, das Sterblichen zu teil werden kann, weil daran allzuleicht das Herz matt und der Wille lahm wird. Das ist nur zu sehr das Schicksal der „gebil- deten“ Frauenwelt gewesen. Das „du bist wie eine Blume“ hat allzuoft die Frau in dürre Dornenwirrnis verschlungen, in die sie sofort ihre Lebenskreise nachlockt. Umgekehrt ist es ebenso ein menschenunwürdiges Schicksal, im äußern harten Daseinskampf so aufgerieben zu werden, daß man im Erden- staub erstickt, und daß nie ein Strahl aus einer höhern Welt die arme Seele in Ruhe trifft. Das ist das Schicksal der „Arbeiterin“, die unter der doppelten Last keucht, der Lohn- arbeit und der Mutterschaft, und unter der doppelten Be- lastung das Glück der einen und den Segen der andern Auf- gabe nicht mehr zu empfinden vermag. Diese armen Frauen reiben sich an der Schale der eigentlichen Lebenswerte auf,

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/7>, abgerufen am 26.04.2024.