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Mommsen, Theodor: Auch ein Wort über unser Judenthum. Berlin, 1880.

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wie er es ausdrückt, sämmtlich deutsch werden würden. Und wenn
nicht, was dann? ein kleines klares Wort darüber wäre nützlicher
gewesen als all die ziellosen großen. Nur so viel ist klar: jeder
Jude deutscher Nationalität hat den Artikel in dem Sinne aufgefaßt
und auffassen müssen, daß er sie als Mitbürger zweiter Klasse be-
trachtet, gleichsam als eine allenfalls besserungsfähige Strafcom-
pagnie. Das heißt den Bürgerkrieg predigen. Der Ausnahme ein-
zelner Personen und der persönlichen Bekannten, die nach Herrn
v. Treitschkes Vorgang jetzt bei den Antisemiten landläufig ge-
worden ist, hätten er und seine Nachfolger besser sich enthalten.
Wenn ein Jtaliener ein Pasquill auf die deutsche Nation schriebe
und Herrn v. Treitschke persönlich ausnähme, würde ihm nicht
für die doppelte Beleidigung eine doppelte Abfertigung zu Theil
werden? Mit vollem Recht haben diejenigen Juden, denen er nicht
den Rücken dreht, ihn ihm gewiesen. Sicherlich hat er nur einen
platonischen Bürgerkrieg im Sinne gehabt; aber dieser hat, wie
billig, geendigt, wie die platonische Liebe zu endigen pflegt. Die
schlechten Juden bleiben, was sie waren; die guten wenden von
den Christen sich ab; und von den Christen selbst stürzt der Pöbel
aller Klassen sich begierig auf das wehrlose Wild und die Besseren
selber sind zum Theil im Jnnern unsicher und schwankend. Herr
v. Treitschke hat mit gutem Recht einen politischen und mora-
lischen Einfluß auf seine Nation wie heute kein zweiter Publicist;
er wird, wie es üblich ist, für seine hohe Stellung bestraft durch
die Wirkung seiner Fehler.

Diese Hetze des Tages, wie sie in den Judenspiegeln und wie
sie weiter heißen jetzt ihren Lauf hat, kann das Publikum nicht
bannen, aber ächten. Dies wird hoffentlich nicht ausbleiben, und die
entwichene Toleranz zurückkehren, -- nicht diejenige, die sich von selbst
versteht, gegen die Synagoge, sondern die wesentlichere Toleranz gegen
die jüdische von ihren Trägern nicht verschuldete, ihnen als Schick-
sal auf die Welt mitgegebene Eigenartigkeit. Was über die Sonder-
stellung des deutschen Judenthums im Guten wie im Bösen zu
sagen ist -- der Geschichtschreiber wie der Litterarhistoriker un-
serer Zeit kann den Gegensatz nicht unerörtert lassen -- dafür
werden die Schriftsteller, welche in Betracht kommen, sehr wohl eine

wie er es ausdrückt, ſämmtlich deutſch werden würden. Und wenn
nicht, was dann? ein kleines klares Wort darüber wäre nützlicher
geweſen als all die zielloſen großen. Nur ſo viel iſt klar: jeder
Jude deutſcher Nationalität hat den Artikel in dem Sinne aufgefaßt
und auffaſſen müſſen, daß er ſie als Mitbürger zweiter Klaſſe be-
trachtet, gleichſam als eine allenfalls beſſerungsfähige Strafcom-
pagnie. Das heißt den Bürgerkrieg predigen. Der Ausnahme ein-
zelner Perſonen und der perſönlichen Bekannten, die nach Herrn
v. Treitſchkes Vorgang jetzt bei den Antiſemiten landläufig ge-
worden iſt, hätten er und ſeine Nachfolger beſſer ſich enthalten.
Wenn ein Jtaliener ein Pasquill auf die deutſche Nation ſchriebe
und Herrn v. Treitſchke perſönlich ausnähme, würde ihm nicht
für die doppelte Beleidigung eine doppelte Abfertigung zu Theil
werden? Mit vollem Recht haben diejenigen Juden, denen er nicht
den Rücken dreht, ihn ihm gewieſen. Sicherlich hat er nur einen
platoniſchen Bürgerkrieg im Sinne gehabt; aber dieſer hat, wie
billig, geendigt, wie die platoniſche Liebe zu endigen pflegt. Die
ſchlechten Juden bleiben, was ſie waren; die guten wenden von
den Chriſten ſich ab; und von den Chriſten ſelbſt ſtürzt der Pöbel
aller Klaſſen ſich begierig auf das wehrloſe Wild und die Beſſeren
ſelber ſind zum Theil im Jnnern unſicher und ſchwankend. Herr
v. Treitſchke hat mit gutem Recht einen politiſchen und mora-
liſchen Einfluß auf ſeine Nation wie heute kein zweiter Publiciſt;
er wird, wie es üblich iſt, für ſeine hohe Stellung beſtraft durch
die Wirkung ſeiner Fehler.

Dieſe Hetze des Tages, wie ſie in den Judenſpiegeln und wie
ſie weiter heißen jetzt ihren Lauf hat, kann das Publikum nicht
bannen, aber ächten. Dies wird hoffentlich nicht ausbleiben, und die
entwichene Toleranz zurückkehren, — nicht diejenige, die ſich von ſelbſt
verſteht, gegen die Synagoge, ſondern die weſentlichere Toleranz gegen
die jüdiſche von ihren Trägern nicht verſchuldete, ihnen als Schick-
ſal auf die Welt mitgegebene Eigenartigkeit. Was über die Sonder-
ſtellung des deutſchen Judenthums im Guten wie im Böſen zu
ſagen iſt — der Geſchichtſchreiber wie der Litterarhiſtoriker un-
ſerer Zeit kann den Gegenſatz nicht unerörtert laſſen — dafür
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[12/0012] wie er es ausdrückt, ſämmtlich deutſch werden würden. Und wenn nicht, was dann? ein kleines klares Wort darüber wäre nützlicher geweſen als all die zielloſen großen. Nur ſo viel iſt klar: jeder Jude deutſcher Nationalität hat den Artikel in dem Sinne aufgefaßt und auffaſſen müſſen, daß er ſie als Mitbürger zweiter Klaſſe be- trachtet, gleichſam als eine allenfalls beſſerungsfähige Strafcom- pagnie. Das heißt den Bürgerkrieg predigen. Der Ausnahme ein- zelner Perſonen und der perſönlichen Bekannten, die nach Herrn v. Treitſchkes Vorgang jetzt bei den Antiſemiten landläufig ge- worden iſt, hätten er und ſeine Nachfolger beſſer ſich enthalten. Wenn ein Jtaliener ein Pasquill auf die deutſche Nation ſchriebe und Herrn v. Treitſchke perſönlich ausnähme, würde ihm nicht für die doppelte Beleidigung eine doppelte Abfertigung zu Theil werden? Mit vollem Recht haben diejenigen Juden, denen er nicht den Rücken dreht, ihn ihm gewieſen. Sicherlich hat er nur einen platoniſchen Bürgerkrieg im Sinne gehabt; aber dieſer hat, wie billig, geendigt, wie die platoniſche Liebe zu endigen pflegt. Die ſchlechten Juden bleiben, was ſie waren; die guten wenden von den Chriſten ſich ab; und von den Chriſten ſelbſt ſtürzt der Pöbel aller Klaſſen ſich begierig auf das wehrloſe Wild und die Beſſeren ſelber ſind zum Theil im Jnnern unſicher und ſchwankend. Herr v. Treitſchke hat mit gutem Recht einen politiſchen und mora- liſchen Einfluß auf ſeine Nation wie heute kein zweiter Publiciſt; er wird, wie es üblich iſt, für ſeine hohe Stellung beſtraft durch die Wirkung ſeiner Fehler. Dieſe Hetze des Tages, wie ſie in den Judenſpiegeln und wie ſie weiter heißen jetzt ihren Lauf hat, kann das Publikum nicht bannen, aber ächten. Dies wird hoffentlich nicht ausbleiben, und die entwichene Toleranz zurückkehren, — nicht diejenige, die ſich von ſelbſt verſteht, gegen die Synagoge, ſondern die weſentlichere Toleranz gegen die jüdiſche von ihren Trägern nicht verſchuldete, ihnen als Schick- ſal auf die Welt mitgegebene Eigenartigkeit. Was über die Sonder- ſtellung des deutſchen Judenthums im Guten wie im Böſen zu ſagen iſt — der Geſchichtſchreiber wie der Litterarhiſtoriker un- ſerer Zeit kann den Gegenſatz nicht unerörtert laſſen — dafür werden die Schriftſteller, welche in Betracht kommen, ſehr wohl eine

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Auch ein Wort über unser Judenthum. Berlin, 1880, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_judenthum_1880/12>, abgerufen am 21.11.2024.