Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

eisen abgetreten. Jch ließ ihn augenblick-
lich vor die Schmiede führen; doch eh das
Eisen geglühet und zurecht gehämmert war,
hatte sich mein Blut schon wieder verkühlt;
als der Gaul zurück kam, wollte ich nimmer
aufsitzen und ließ ihn ganz gemach in den
Stall ziehn.

Hätt' schier eine neue Narrheit began-
gen, wenn der Verstand nicht die Ober-
hand über die Leidenschaft behielt, die den
Willen schon bestochen hatte. Mein innres
Gefühl sagt' mir so klar und deutlich, die
Dame sey keine andre Christenseel als die
Sophie, wie mir's vor etlichen Tagen ge-
sagt hatt', der Leipziger Stundenrufer sey
das größte Dichtergenie. Sonach dürfts
mit dem innern Gefühlssinn gar ungewiß
Ding seyn. Wenn die physiognomischen
Gegenfüßler sollten Recht haben, die das
innre Gefühl aus der Aßimilation vorem-
pfundner Jdeen ableiten: so wärs mit

Hän-

eiſen abgetreten. Jch ließ ihn augenblick-
lich vor die Schmiede fuͤhren; doch eh das
Eiſen gegluͤhet und zurecht gehaͤmmert war,
hatte ſich mein Blut ſchon wieder verkuͤhlt;
als der Gaul zuruͤck kam, wollte ich nimmer
aufſitzen und ließ ihn ganz gemach in den
Stall ziehn.

Haͤtt’ ſchier eine neue Narrheit began-
gen, wenn der Verſtand nicht die Ober-
hand uͤber die Leidenſchaft behielt, die den
Willen ſchon beſtochen hatte. Mein innres
Gefuͤhl ſagt’ mir ſo klar und deutlich, die
Dame ſey keine andre Chriſtenſeel als die
Sophie, wie mir’s vor etlichen Tagen ge-
ſagt hatt’, der Leipziger Stundenrufer ſey
das groͤßte Dichtergenie. Sonach duͤrfts
mit dem innern Gefuͤhlsſinn gar ungewiß
Ding ſeyn. Wenn die phyſiognomiſchen
Gegenfuͤßler ſollten Recht haben, die das
innre Gefuͤhl aus der Aßimilation vorem-
pfundner Jdeen ableiten: ſo waͤrs mit

Haͤn-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0130" n="130"/>
ei&#x017F;en abgetreten. Jch ließ ihn augenblick-<lb/>
lich vor die Schmiede fu&#x0364;hren; doch eh das<lb/>
Ei&#x017F;en geglu&#x0364;het und zurecht geha&#x0364;mmert war,<lb/>
hatte &#x017F;ich mein Blut &#x017F;chon wieder verku&#x0364;hlt;<lb/>
als der Gaul zuru&#x0364;ck kam, wollte ich nimmer<lb/>
auf&#x017F;itzen und ließ ihn ganz gemach in den<lb/>
Stall ziehn.</p><lb/>
        <p>Ha&#x0364;tt&#x2019; &#x017F;chier eine neue Narrheit began-<lb/>
gen, wenn der Ver&#x017F;tand nicht die Ober-<lb/>
hand u&#x0364;ber die Leiden&#x017F;chaft behielt, die den<lb/>
Willen &#x017F;chon be&#x017F;tochen hatte. Mein innres<lb/>
Gefu&#x0364;hl &#x017F;agt&#x2019; mir &#x017F;o klar und deutlich, die<lb/>
Dame &#x017F;ey keine andre Chri&#x017F;ten&#x017F;eel als die<lb/>
Sophie, wie mir&#x2019;s vor etlichen Tagen ge-<lb/>
&#x017F;agt hatt&#x2019;, der Leipziger Stundenrufer &#x017F;ey<lb/>
das gro&#x0364;ßte Dichtergenie. Sonach du&#x0364;rfts<lb/>
mit dem innern Gefu&#x0364;hls&#x017F;inn gar ungewiß<lb/>
Ding &#x017F;eyn. Wenn die phy&#x017F;iognomi&#x017F;chen<lb/>
Gegenfu&#x0364;ßler &#x017F;ollten Recht haben, die das<lb/>
innre Gefu&#x0364;hl aus der Aßimilation vorem-<lb/>
pfundner Jdeen ableiten: &#x017F;o wa&#x0364;rs mit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ha&#x0364;n-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0130] eiſen abgetreten. Jch ließ ihn augenblick- lich vor die Schmiede fuͤhren; doch eh das Eiſen gegluͤhet und zurecht gehaͤmmert war, hatte ſich mein Blut ſchon wieder verkuͤhlt; als der Gaul zuruͤck kam, wollte ich nimmer aufſitzen und ließ ihn ganz gemach in den Stall ziehn. Haͤtt’ ſchier eine neue Narrheit began- gen, wenn der Verſtand nicht die Ober- hand uͤber die Leidenſchaft behielt, die den Willen ſchon beſtochen hatte. Mein innres Gefuͤhl ſagt’ mir ſo klar und deutlich, die Dame ſey keine andre Chriſtenſeel als die Sophie, wie mir’s vor etlichen Tagen ge- ſagt hatt’, der Leipziger Stundenrufer ſey das groͤßte Dichtergenie. Sonach duͤrfts mit dem innern Gefuͤhlsſinn gar ungewiß Ding ſeyn. Wenn die phyſiognomiſchen Gegenfuͤßler ſollten Recht haben, die das innre Gefuͤhl aus der Aßimilation vorem- pfundner Jdeen ableiten: ſo waͤrs mit Haͤn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/130
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/130>, abgerufen am 17.05.2024.